Vorkommnisse in Köln und Pressekodex: Neue Dimension der Empörung
In Berichten über die sexuellen Übergriffe während der Silvesternacht in Köln wird die Herkunft der Straftäter offensiv benannt. Was soll das?
Es ist das Angstszenario, das Pegida und andere Rechtspopulisten sowie Rechtsfeministinnen wie Alice Schwarzer schon lange an die Wand malen: eine Horde von Männern arabischer Herkunft fällt über „unsere“ deutschen Frauen her, um sie sexuell zu belästigen und auszurauben, wenn nicht sogar zu vergewaltigen.
Etwas Vergleichbares, so scheint es, hat sich in der Silvesternacht in Köln ereignet. Nach allem, was man bisher weiß, hat dort eine Gruppe von Kriminellen die chaotische Situation vor dem Hauptbahnhof ausgenutzt, um sich unbehelligt über Dutzende von Opfern herzumachen. Ist das ein Beweis für die „Maskulinisierung“ des öffentlichen Raums“, die angeblich durch die vielen männlichen Flüchtlinge drohe, die nach Deutschland kommen?
Die Polizei beeilte sich in ihren ersten Stellungnahmen, solchen Vorurteilen den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem sie betonte, bei den Tätern habe es sich nicht um Flüchtlinge gehandelt, sondern um polizeibekannte Intensivtäter, die in dieser Nacht offenbar gezielt und als Gruppe aufgetreten seien. Die Polizei war von der Situation überfordert, weil sie zeitgleich mit rund Tausend Menschen konfrontiert war, die mit Böllern und Raketen vor dem Dom randalierten.
Für die Rechtspopulisten ist der Fall aber ein Fanal, sie sehen sich in ihren liebsten Befürchtungen bestätigt. Auch ihr Lügenpresse-Vorwurf bekommt neue Nahrung durch die Tatsache, dass es mehrere Tage gebraucht hat, bis der Vorfall von Medien bundesweit aufgegriffen wurde.
Menetekel für die Zukunft der Republik
Dabei liegt das nur daran, dass es sich um ein lokales Ereignis gehandelt hat, dessen Dimension erst langsam deutlich geworden ist. Die Kölner Lokalpresse hat früh und ausführlich über die Ereignisse berichtet, sobald die ersten Augenzeugenberichte und Anzeigen vorlagen, und auch die Kölner Polizei sah sich früh gezwungen, dazu Stellung zu nehmen.
Nun wird der Vorfall von interessierter Seite zum Menetekel für die Zukunft der Republik erklärt. Das ist völlig maßlos. Längst vorbei sind auch die Zeiten, in denen es zu den journalistischen Standards gehörte, die Nationalität oder Herkunft von mutmaßlichen Straftätern nicht zu nennen.
Im Pressekodex, den sich die im Deutschen Presserat zusammen geschlossenen Medien einmal freiwillig und aus gutem Grund auferlegt haben, heißt es dazu, die Nennung der Religion oder Herkunft der Täter sei nur dann erwähnenswert, wenn es einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Tat gebe. Zu beachten sei, „dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte“.
Druck der rechten Gegenöffentlichkeit
Diese Standards sind längst erodiert. Denn in Zeiten von sozialen Medien und Internet ist es ohnehin eine Illusion zu glauben, bestimmte Informationen ließen sich außen vor lassen. Und unter dem Druck der rechten Gegenöffentlichkeit aus dem Netz, die schnell mit dem Vorwurf bei der Hand ist, „die Medien“ würden aus falsch verstandener Toleranz und „politischer Korrektheit“ die Verbrechen von Migranten verschweigen oder schönfärben, sind auch seriöse Medien im vorauseilendem Gehorsam dazu übergegangen, die Herkunft von Straftätern offensiv zu benennen – jedenfalls, so lange es sich um migrantische Straftäter handelt.
Dabei stellt sich auch in diesem Fall für seriöse Medien und die Polizei die Frage, ob die Herkunft der Täter im Vordergrund stehen muss oder nicht. Für die rechten Ankläger und Populisten ist die Sache dagegen klar: für sie sind solche Verbrechen selbstverständlich und einzig und allein auf die mutmaßliche „Kultur“ der Täter zurück zu führen, und auf sonst nichts.
Jeder Einzelfall mutmaßlicher „Ausländerkriminaliät“ und „muslimischer Gewalt“ wird von ihnen mit großer Angstlust zum Beweis dafür aufgebauscht, dass das Abendland im Untergang begriffen ist. Augenzeugenberichte und bloße Behauptungen, Gerüchte und Halbwahrheiten verbreiten sich über die sozialen Medien wie ein Lauffeuer.
Emma spricht von „Terror“
Als Brandbeschleuniger dient die implizite Unterstellung, es handele es sich um eine irgendwie „kulturspezifische“ Form der Kriminalität. Als ob es in Deutschland ohne Einwanderer keine Diebstähle, keine Vergewaltigungen und keine Morde gäbe. Angesichts der massenhaften sexualisierten Gewalt an Silvester in Köln sprechen manche nun von „einer völlig neuen Dimension“ der Kriminalität.
„Das hat es in Deutschland so noch nie gegeben“, behauptet die Emma, spricht von „Terror“ und fühlt sich an den Tahrir-Platz erinnert. Und Ex-Familienministerin Kristina Schröder (CDU) twitterte: „Sie wurden lang tabuisiert, aber wir müssen uns mit gewaltlegitimierenden Männlichkeitsnormen in muslimischer Kultur auseinandersetzen“.
Fragwürdig daran war nicht nur die Grammatik, sondern auch die Forderung – als ob gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen in der deutschen, nicht-muslimischen Mehrheitskultur kein Problem wären. Denn was wäre anders gewesen, wenn es sich bei den Tätern nicht um „nordafrikanische“, sondern um urdeutsche Männer gehandelt hätte? Für die betroffenen Frauen nicht viel.
Aber die öffentliche Reaktion wäre anders ausgefallen. Viele hätten den betroffenen Frauen nicht geglaubt, den Vorfall bagatellisiert oder ignoriert oder gar den Frauen selbst die Schuld gegeben. Diejenigen, die den Vorfall tiefer gehängt hätten, sind die gleichen, die jetzt besonders empört tun.
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