Vor dem Spitzentreffen zur Coronakrise: Über 5.000 Neuinfektionen

Am Mittwochnachmittag trifft sich Angela Merkel mit den Länderchef:innen. Die Kritik am Beherbergungsverbot wächst. Die Infektionszahlen steigen weiter.

Eine Seifenblase fliegt vor Menschen mit Mund-Nasen-Schutz.

Die Zahlen steigen immer weiter: Wie reagiert die Politik? Foto: Sebastian Gollnow/dpa

BERLIN taz/dpa | Die Coronalage in Deutschland ist ernst, das soll auch die Art des Spitzentreffens zwischen Bundeskanzlerin und Länderchefs an diesem Mittwochnachmittag zeigen. Denn zum ersten Mal seit Mitte Juni hat Angela Merkel (CDU) wieder zu einem rein analogen Gespräch geladen: Aus allen 16 Landeshauptstädten werden die Regierungschefs also ins Berliner Kanzlerinnenamt anreisen. Verhandlungen Aug’ in Aug’ also.

Wie ernst die Coronasituation mittlerweile wieder ist, das zeigen die neuesten Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI). Nach dessen Angaben vom Mittwochmorgen haben die Gesundheitsämter in Deutschland erstmals seit April mehr als 5.000 Neuinfektionen mit dem Coronavirus innerhalb eines Tages gemeldet. Insgesamt belief sich die Zahl laut RKI auf 5.132. Das waren mehr als 1.000 Fälle mehr als noch am Vortag. Der letzte Höchstwert seit April waren 4.721 neu nachgewiesene Fälle am Samstag gewesen. Am Mittwoch vergangener Woche hatten die Gesundheitsämter dem RKI 2.828 Neuinfektionen mitgeteilt.

Zuletzt waren Mitte April die Zahlen so hoch wie aktuell. Allerdings sind die Werte nicht miteinander vergleichbar, weil mittlerweile wesentlich mehr getestet wird – und damit auch mehr Infektionen entdeckt werden. Das RKI schreibt zur momentanen Situation: „Aktuell ist ein beschleunigter Anstieg der Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten. Daher wird dringend appelliert, dass sich die gesamte Bevölkerung für den Infektionsschutz engagiert.“ Der Anteil der Covid-19 Fälle nehme in der älteren Bevölkerung leicht zu. Senioren gelten in der Regel als anfälliger für eine schwere Covid-19-Erkrankung als Jüngere.

Die neuen Zahlen machen Druck: Die Erwartungen an das Bund-Länder-Treffen sind groß – und in den vergangenen Tagen noch mal weiter gestiegen. Auch die Kritik am Regelungswirrwarr der verschiedenen Länder in Bezug auf Inlandsreisen hatte sich zuletzt weiter hochgeschaukelt. Entzündet hatte sich diese vor allem an vor einer Woche beschlossenen Übernachtungsverboten für Menschen aus inländischen Risikogebieten. Am Dienstag und Mittwoch meldeten sich Gegner wie Befürworter abermals zu Wort.

Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, forderte die Rücknahme der Unterbringungsverbote für Reisende, die sich aus einem Coronarisikogebiet in andere begeben. Er bezeichnete diese Regelungen in der Düsseldorfer Rheinischen Post als „überflüssig und sogar schädlich“.

Selbst während des starken innerdeutschen Reiseverkehrs im Sommer mit vollen Stränden an Nord- und Ostsee habe es keine „bedeutsame Steigerung des Infektionsgeschehens“ gegeben, sagte der Ärztepräsident. Die Menschen seien durch die unterschiedlichen und schlecht kommunizierten Maßnahmen verunsichert und verwirrt. „Das trägt sicher nicht zu mehr Akzeptanz der Anti-Corona-Politik von Bund und Ländern bei“, warnte Reinhardt.

Ähnlich äußerte sich der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen: „Jeder kann erkennen, dass ständig neue Maßnahmen wie das Beherbergungsverbot Unsinn sind“, sagte er der Bild-Zeitung. „So verspielen wir die unbedingt notwendige Akzeptanz für die weiterhin wichtigen Maßnahmen.“

Im Pro-Lager trat besonders Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig in Erscheinigung: „Ich bin nicht für eine Lockerung des Beherbergungsverbots, und das wird Mecklenburg-Vorpommern auch nicht mitmachen“, sagte die SPD-Politikerin am Dienstag in der ARD. Ihr Land sei mit strengen Regeln von Anfang gut durch die Pandemie gekommen, ergänzte sie. Unterstützung erhielt Schwesig von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne).

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) wandte sich dagegen, die Beherbergungsverbote ganz „über Bord zu werfen“. Allerdings plädierte er in der Bild-Zeitung dafür, den sogenannten Inzidenzwert auf den Prüfstand zu stellen. Mit diesem Wert wird definiert, ob eine Stadt oder Region als Coronarisikogebiet gilt oder nicht. Grundsätzlich gebe es Gesprächsbedarf über die Kriterien zur Verhängung von Beherbergungsverboten, betonte Kretschmer.

RKI dämpft Hoffnungen

Auch die Gegner des Beherbergungsverbots – das in 12 von 16 Ländern umgesetzt wird und bedeutet, dass Menschen aus inländischen Risikogebieten nicht in Hotels und anderen Unterkünften übernachten dürfen – trommelten für sich. Der Sinn dieser Maßnahme zur Pandemieeindämmung wird auch von Virologen inzwischen bezweifelt.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller – der neben Bremen, Thüringen und NRW dieses Verbot ablehnt – bekräftigte am Dienstag seine Kritik. „Das Beherbergungsverbot macht keinen Sinn und schafft nur Verwirrung und Unverständnis“, sagte der SPD-Politiker dem Portal ThePioneer.

Vor allem der Wunsch nach mehr Klarheit und Einheitlichkeit wurde deutlich. „Wir benötigen Klarheit für die Menschen in Deutschland – dies gilt insbesondere für innerdeutsche Reisen“, sagte etwa Unionsfrak­tionschef Ralph Brinkhaus. Auch Bayerns Regierungschef Markus Söder (CSU) mahnte: „Wir müssen jetzt in dieser Woche gemeinschaftlich die Weichen stellen, sonst besteht die Gefahr, dass es außer Kontrolle geraten könnte.“

Diskutiert werden könnte beim Bund-Länder-Treffen auch über die Schulen. Das Ziel ist, diese möglichst lange offen zu halten. Zwei Unions-Bundestagsabgeordnete brachten dazu am Dienstag eine mögliche Verlängerung der Weihnachtsferien ins Spiel – wurden später aber zurückgepfiffen.

Derweil dämpfte das RKI am Dienstag die Hoffnungen auf eine baldige Rückkehr in den gewohnten Alltag. Der würde auch mit Einführung eines Corona-Impfstoffs zunächst eingeschränkt bleiben, heißt es in einem neuem RKI-Strategiepapier – einschließlich Maskentragen und Abstandsgeboten. Auch wenn die Impfung „ein wichtiger Teil der Pandemiebekämpfung“ sei, werde das nicht ausreichen, zumal ein Impfstoff zunächst nur begrenzt verfügbar sein werde.

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