Vom Umgang mit globalen Krisen: Fataler Jetztismus
Als Reaktion auf die Coronapandemie schalten viele in einen Gegenwartsmodus. Doch im Kampf gegen den Klimawandel müssen wir die Zukunft verteidigen.
I n den ersten Monaten der Coronapandemie sprach man oft davon, dass wir durch die Bewältigung dieser Krise lernen würden, wie Krisen insgesamt ernst genommen und bewältigt werden können. Auch ich dachte das. Man glaubte, dass wir – dadurch gestärkt – auch selbstbewusst die ökologischen Katastrophen angehen würden. Mittlerweile denke ich, dass im schlimmsten Fall das Gegenteil eintreten könnte. Aber von Anfang an.
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Mühelos ist es der Gesellschaft gelungen, fast ein gesamtes Jahr Corona zu behandeln, ohne ernsthaft über die direkte Gegenwart hinauszublicken. Wäre es anders gewesen, hätte sich gezeigt, dass Corona zwar überraschend kam, aber keinesfalls eine Überraschung war. „Die Auswirkungen wären kaum abzuschätzen, gleichwohl katastrophal“, schrieben die Verfasser:innen im Grünbuch für Öffentliche Sicherheit schon im Jahr 2015 über die Gefahren von mutierten Sars-Viren in Deutschland.
Die Lehren aus dem 20. Jahrhundert schienen so eindeutig: Gefahr geht von Männern in Kriegslaune aus, vom Faschismus, von dreckigen Industrien und überheblichen Technologien. Und dann kommt das 21. Jahrhundert und präsentiert ausgerechnet die Fledermaus, die von der menschlichen Gier zur Wanderschaft gezwungen wird. Es sind Tiere wie sie, die Zoonosen wie HIV, Ebola, Mers und vermutlich auch Covid-19 bei zu aggressiver Nähe auf Menschen übertragen.
Politik ist in diesen Zeiten immer weniger das, was wahr ist, und wird immer mehr zu dem, was sich gut anfühlt. Kurzatmige Erzählungen verfangen, hohle Souveränität und Schnellschussreaktionen werden belohnt. Nirgendwo wird das deutlicher als in der Coronapolitik. Denn Corona ist eben, entgegen den gängigen politischen Narrativen, kein Einzelfall. Sondern viel eher ein Vorbote, von dem, was kommt, wenn Naturzerstörung und hemmungsloses Emittieren pandemische Zeitalter und ökologische Katastrophen provozieren.
Die Menschen sind ja nicht blöd
Aus dieser Blindheit ergibt sich die politische Unfähigkeit, sich mit dem zu beschäftigen, was jenseits der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz, geschweige denn nach der nächsten Welle, passieren kann – oder muss.
24, ist eine der bekanntesten deutschen Klimaaktivist:innen und Hauptorganisatorin der hiesigen Fridays-for-Future-Bewegung.
Gleichzeitig aber wächst die gesellschaftliche Skepsis gegenüber Quick-Fixes, die Menschen sind ja nicht blöd: Man erlebt ein erschöpfend langsames Impfgeschehen, während das Virus zunehmend mutiert, das Raunen über eine dritte Welle setzt ein. Und ganz zart lugt dahinter die Frage auf, was genau uns davon abhalten sollte, in absehbarer Zeit wieder in eine Pandemie hineinzurasseln.
Diese Stimmung trifft nun auf eine schon länger anwachsende Gegenwartspräferenz. Denn schon deutlich vor Corona haben Teile der Klimabewegung, Medien und Politik angefangen, die Zukunft mit einer relativ unausweichlichen Katastrophe gleichzusetzen.
Das schien einst eine hilfreiche Strategie zu sein: Wenn die Menschen die Krise nicht sehen wollen, bringt man sie zu ihnen. Heute hat sich die Situation jedoch radikal geändert, niemand muss sich mehr ausmalen, wie unbarmherzig ungebremste Krisen sein können. Wir erleben es ja gerade.
Feiern bis zur Apokalypse
Und so hat die Kombination aus coronabedingter Krisenmüdigkeit und erwachsendem Bewusstsein für die nahenden planetaren Kipppunkte ganz nebenbei das Gegenwärtige als beste verfügbare Option zementiert. Wenn die Zukunft schlicht eine extremere Version des Heute sein soll, dann wollen viele nach der nächsten Welle noch lieber nochmal eine Runde Gegenwart verkonsumieren, statt sich mit Zukunftsfragen zu belasten. Feiern bis zur Apokalypse.
Wir erleben eine neuartige Zukunftsverdrossenheit. Kleine Fortschritte gehen unter in einer Welt, die hitzt, schmilzt und flutet wie nie zuvor. 67 Prozent der Deutschen sehen die Klimakrise als große Gefahr. Früher wäre das ein gutes Zeichen gewesen, die Leute wären also bereit, zu protestieren, etwas zu tun. Genau das hat sich jetzt geändert, es fehlt an Perspektive. Wofür lohnt es es sich noch zu kämpfen? Mittlerweile scheint nichts mehr so radikal, wie hoffnungsvoll in die Welt zu blicken.
Als wäre das nicht genug, ist all das nun das Einfallstor für jene, die die stumpfe Singularisierung der Krise nutzen und verhindern wollen, dass die Ausbreitung des Coronavirus symptomatisch und der notwendige Wandel systemisch gedacht werden. Der Versuch, die Stimmen des Wandels und die Idee einer ganzheitlichen Krisenbewältigungsstrategie zu zermürben, nimmt Kampagnencharakter an. Man verspricht schnelle Lösungen, radikalisiert jene, die die Normalisierung von Hunderten Coronatoten pro Tag hinterfragen, und bittet die Klimakrise, nicht mehr zu nerven – man habe ja anderes zu tun.
Schließlich erklärt die konservativ-liberale Ecke – hochstrategisch – die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens für unmöglich. Weil die Coronakrise ja gezeigt habe, dass wir doch nicht so gut in Krisenbewältigung sind. Erst Corona, danach tiefer rein in das Wachstum um jeden Preis. Klimaschutz wird stilisiert als Langzeitform der Coronapolitik: kein Spaß mehr, keine Freiheiten mehr, kein Mehr mehr.
Eine krisenmüde Gesellschaft
Es ist eine krisenmüde Gesellschaft, die nicht mehr zu hoffen wagt, und die noch in diesem Jahr ganz unbeabsichtigt große politische Rückschritte einbüßen könnte. Auf der einen Seite. Die andere Seite gibt es aber auch.
Denn es wird auch so unfassbar deutlich, warum der Jetztismus der Regierung nicht mehr aufgeht, warum die Chancen großer Umbrüche dieses Jahr größer sind denn je. Die Kraftlosigkeit, die Krisen so groß zu denken, wie sie sind, ist an der Oberfläche angekommen. Und gleichzeitig verlangt sie längst, endlich abgelöst zu werden.
In den 1970er Jahren entwickelte der Soziologe Aaron Antonovsky ein salutogenetisches Gesundheitskonzept. Dabei fragt er nicht, warum Menschen krank werden, sondern warum sie gesund bleiben – trotz potenzieller Risiken. Entscheidend seien dabei drei Aspekte: das Gefühl, Zusammenhänge des Lebens zu verstehen (Verstehbarkeit); das Gefühl, gestalten zu können (Handhabbarkeit); und der Glaube an den Sinn des Lebens. Wenn all das erfüllt ist, setzt eine Kohärenz ein, eine globale Orientierung. Antonovsky lesen hilft zu verstehen, warum es gerade so leicht ist, am Rad zu drehen: Die Coronakrise als Inbegriff von multidimensionalem Unverständnis; kaum jemand empfindet Macht über die eigene Lebensgestaltung, und Sinnfragen sind schon lange ungeklärt.
Das Ende der Singularitäts-Illusion
Ginge es aber auch anders? Was wäre, wenn Verstehbarkeit durch Ehrlichkeit und das Ende der Singularitäts-Illusion der Coronakrise hergestellt würde? Und die Handhabbarkeit durch ein verwegen-radikales Konzipieren klimagerechter Coronabewältigung – durch eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Strategie, die dort investiert, wo Resilienz und breites Wohlergehen gestärkt werden, und es dort lässt, wo Ungerechtigkeiten und Klimakrise gesteigert werden?
Und was wäre, wenn die Sinnfrage zusammengebracht wird mit der Schönheit, den Reichtümern dieser Welt, mit der ökologischen Vielfalt, den gesellschaftlichen Möglichkeiten, für die es sich zu kämpfen lohnt?
Dabei hilft es, genau hinzuschauen und zu erkennen, dass die Gleichsetzung von Corona und Klimapolitik den Wesenskern der politischen Herausforderungen verkennt. Coronapolitik ist eine zwangsläufige politische Verneinung: Nein zu Ansteckungen, Nein zu Begegnungen, Nein zu Nähe, Nein zu Kultur und Bewegungsfreiheit.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Klimapolitik hingegen ist eine umfassende Bejahung, und was für eine: Ja zum Erhalt der Lebensgrundlagen, Ja zu sauberer Luft, Ja zur Artenvielfalt, Ja zu gesicherten Arbeitsplätzen, Ja zur Freiheit auf einem sicheren Planeten, Ja zur gerechten Transformation. Ja,ja, ja!
Wahlen können Welten bewegen
Seit Kurzem sind die USA wieder Teil des Pariser Abkommens. Wird Joe Biden nun für uns die Welt retten? Nein. Aber darum geht es auch nicht, wichtig ist etwas anderes: Wahlen können Welten bewegen. Und dabei kommt es nicht nur auf die Stimmzettel an. Sondern auf den politischen Wandel, der im Vorfeld antizipiert wird – durch breiten, gesellschaftlichen Druck und selbstbewusste Bewegungen.
Das Jahr 2021 ist durch viele Wahlen, Koalitionsverhandlungen und Gipfel ein entscheidungsdichtes Jahr. Überall könnte zementiert werden, was durch große gesellschaftliche Beben in den letzten Jahren in Gang gesetzt wurde. Es ist keinesfalls unmöglich, eine parlamentarische Mehrheit für 1,5 Grad zu organisieren. CDU und SPD haben sich noch nicht entschieden, ob sie meinen, mit Klimaschutz gewinnen oder verlieren zu können. Und so wird diese Unentschlossenheit in der Programmatik von der Entschlossenheit in der materiellen Welt überlagert – das Ergebnis sind neue Kohlekraftwerke und Gas-Pipelines.
Das muss aber nicht so bleiben. Es geht längst nicht mehr nur darum, in einem Stück aus dieser Pandemie herauszukommen. Sondern darum, Zukünfte zu verteidigen, die noch möglich sind. Damit es einen Wandel geben kann, der uns hinaus aus diesen multiplen Krisen und hinein in eine gerechtere Welt bringt, braucht es die Leute, die jetzt nicht klein beigeben – auch und gerade, wenn es hart ist.
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