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Volksentscheid Berlin autofreiWie sinnvoll wäre das?

Kommentar von Claudius Prößer

Der Gesetzentwurf zum Verbot privater Autofahrten in der Berliner Innenstadt ist zulässig. Gleichzeitig lädt er zum kreativen Regelmissbrauch ein.

Hier dürfte es keine Ausnahmegenehmigung brauchen: Einbuchtung in einem verkehrsberuhigten Kiez in Kreuzberg Foto: IMAGO / Sabine Gudath

S o viel steht fest: Das Volksbegehren der Initiative „Berlin autofrei“ ist von der Verfassung gedeckt. Der Senat lag falsch mit der Einschätzung, der Gesetzentwurf verstoße gegen Grundsätze wie die allgemeine Handlungsfreiheit. Der Vollständigkeit halber: Es war ein rot-grün-roter Senat, der das Gericht anrief.

Offen bleibt die Frage, wie zielführend und fair es ist, den Autoverkehr mit Verboten aus der Innenstadt herauszuhalten. Hier fällt auf, dass auch viele AkteurInnen der Mobilitätswende, die das grundsätzliche Anliegen teilen, den gewählten Weg nicht freiheraus begrüßen. Da heißt es dann eher, das Urteil sei „gut für die Demokratie“ und man freue sich auf die politische Debatte.

Der Verband Fuss e. V. warnt davor, den „Autozwang durch Anti-Auto-Zwang“ zu ersetzen, Changing Cities findet, der „zentrale Hebel“ sei der Ausbau der Infrastruktur: Wenn es mit ÖPNV und Rad oder zu Fuß angenehm und sicher voranginge, „wären Berlins Straßen schon viel leerer“.

Der Ansatz von Berlin autofrei folgt eben einer ganz anderen Logik – als verbesserte man nicht die Software, sondern tauschte das Betriebssystem aus. Mit dem Ansatz des stetigen Stadtumbaus, der dann auch die Fortbewegungsgewohnheiten verändert – das Prinzip des Mobilitätsgesetzes –, ist das Autoverbot schwer vereinbar.

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Dabei dürfte die Kritik der Linkspartei immer noch die wichtigste sein: Sie fremdelt mit dem „enormen bürokratischen Aufwand“. Mehr Bürokratie klingt irgendwie nebensächlich, aber ein Blick in den Gesetzentwurf lässt eine ganze Menge unguter Szenarien aufscheinen.

Das große Feilschen um Ausnahmen

So sollen neben Polizeiautos, Bussen, Taxis, Lastwagen oder Betonmischern auch viele Berufstätige weiterhin mit Pkw oder Moped auf den Straßen fahren dürfen, wenn das für ihren Handwerks- oder Dienstleistungsbetrieb unabdingbar ist, oder wenn sie nachts arbeiten. Hier dürfte das große Feilschen um Ausnahmen schon beginnen.

Richtig interessant wird es aber bei den privaten Fahrten, von denen anfänglich 12 pro Jahr möglich sein sollen – pro NutzerIn, nicht pro Fahrzeug. Weil das den Personenkreis deutlich weitet, soll die Anwesenheit der NutzerInnen mit „elektronischen Nachweisstellen“ geprüft werden. Und das in Berlin! Dass es Ausnahmen für mobilitätseingeschränkte Menschen, aber auch für alle gibt, die im öffentlichen Raum Diskriminierung erleben, ist richtig, dürfte aber zum kreativen Umgang mit den Regeln einladen.

Und auch das gehört zur Wahrheit: Für viele BerlinerInnen sind Autos immer noch eine sinnvolle Mobilitätsergänzung – auch wenn sie vielleicht gar kein eigenes haben. Autofahren zum Spaß, aus Statusgründen oder reiner Bequemlichkeit ist definitiv Mist, und das schränkt man effektiv durch Umbau der Straßen ein.

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Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1969, lebt seit 1991 in Berlin. Seit 2001 arbeitet er mit Unterbrechungen bei der taz Berlin, mittlerweile als Redakteur für die Themen Umwelt, Mobilität, Natur- und Klimaschutz.
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13 Kommentare

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  • Auf eine mögliche Umsetzung bin ich gespannt. Natürlich müsste die natürlich mit Bürokratieabbau verbunden sein, sonst wäre sie ja auch nicht zeitgemäß. Köstlich!

  • Mal abgesehen davon, dass natürlich im Innenstadtbereich fast alle Autoindizierten Betriebe schließen würden und der ÖPNV sich nichtmal so ratzfatz ausbauen lässt, sei die Frage erlaubt wo das ganze Geldern herkommen soll, um das zu finanzieren… Rechenaufgabe: 30% der Steuereinnahmen der Republik sind irgendwie Aut indiziert. Wenn diese wegbrechen, was dan, liebe Autofreiler…

  • Die Ausnahme für Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind, führt das Gesetz doch ad absurdum.

    Dann dürfte geschätzt mindestens 70% der Berliner Auto fahren wie bisher. Denn von Diskriminierung betroffen sind alle Frauen (also die Hälfte der Gesellschaft), migrantische Personen, nicht-cis-Personen, Kranke, Alte, Übergewichtige.

    Die einzigen, die nicht mehr in Berlin Auto fahren dürften, wären danach gesunde, hetero cis-Männer.

  • Der Entscheid müsste sich eigentlich mit dem Ausbau der Radwege , dem ÖPNV und dem Abbau von öffentlichen Parkplätzen beschäftigen als das reine Verbot von Autos. Man muss das Autofahren in der Stadt so unattraktiv wie möglich gestalten.

    Die Idee, bestimmte Straßen zu Einbahnstraßen zu machen, ist auch eine super Idee, um eine Verkehrsberuhigen in den Seitenstraßen zu erzielen.

  • "Ausnahmen für mobilitätseingeschränkte Menschen, aber auch für alle gibt, die im öffentlichen Raum Diskriminierung erleben" - spätestens daran wird es scheitern. Innerstädtisches Autofahren nur noch für Queere oder Migranten? Oder Frauen?

    Aber Sie haben recht, die praktisch-bürokratische Dimension wird von Polit-Theoretikern gerne unterschätzt bzw. als unwichtiges Detail abgetan. Das führt dann zu klassischen "Das Gegenteil von gut ist gut gemeint"-Possen.

  • Wenn man merkt, dass die kleinen Veränderungen nichts bringen, s.h. die Masse an Autos einfach nicht verringern, dann muss man radikalere Veränderungen wagen. Und Zeit für eine langsame Anpassung, bis auch der letzte freiwillig aus Vernunftgründen auf's unnötige Autofahren verzichtet, haben wir definitiv nicht mehr.

  • nichts wird so heis gegessen wie es gekocht wird.



    Es gibt viele Städte die bemerkt haben, das es gut ist Autofrei Abschnitte in der Innenstadt zu haben. Das fördert die Lebensqualität, den Tourismus und entgegen aller Unkerei das Betreiben kleiner Läden.



    Nur weil es rechtens ist eine autofrei Stadt zu fordern muss man nicht gleich vor Schreck in Ohnmacht fallen und schreien "Verkehrskatastrophe".



    Einfach mal kreativ mit dem Thema umgehen und aus dem Abgasmoloch eine lebenswerte Stadt machen. Mal umsehen auf der Welt, es gibt genug gelungene Beispiele.

  • "Wenn es mit ÖPNV und Rad oder zu Fuß angenehm und sicher voranginge, „wären Berlins Straßen schon viel leerer“."

    Damit ist alles gesagt, und das gilt überall. Wenn ich Einschränkung ohne sinnvolle Alternative erlasse, werde ich auf Widerstand stoßen und viel, sehr viel Zeit, Energie und Geld verschwenden.

    Die allerwenigsten fahren tagtäglich Auto weil sie irgend einen Fetisch haben. Sie fahren Auto weil es keine Alternative gibt, oder die Alternative doppelt so lange dauert. Fragen sie mal jemanden nach seinem Weg zu Arbeit. Niemand gibt ihnen die Distanz an, immer nur wie lange es dauert ...

  • Jede Diskussion hierüber ist sinnlos, weil das Volk garantiert dagegen entscheidet.

    • @Suryo:

      Sehen sehr viele Berlinerinnen anders!

  • über 50% aller Jobs kann man im Home-Office machen. Wenn man den Anteil von Home-Office erhöht, dann gibt es schon weniger Verkehr und mehr Platz für die, die nicht im Home-Office arbeiten können.

  • Manche müssen aus beruflichen Gründen fahren.

    Andere wohnen weit außerhalb des Rings, und da ist es ohne Auto eine Qual und später das Parkplatzsuchen mit.

    Aber wer sich das freiwillig antut, irgendwo in Zentrumsnähe zu wohnen und ein eigenes Auto zu besitzen ist echt selbst schuld.

  • Also, das mit "12 Fahrten pro Jahr" ist natürlich völlig hirnrissig, wer soll das nachhalten und genehmigen? Und wer will dafür ein Auto halten?

    Klüger wäre einfach eine Verkehrsplanung, die es Autos schwerer macht und allen anderen einfacher. Dafür gibt es überall Beispiele, die gut funktionieren. Z.B. eine Aufteilung in Gebiete, in denen Autos auf einen Ring aus Straßen müssen, anstatt direkt zwischen diesen Gebieten fahren zu können, was dann Autofahrten länger macht und Rad- und Fußverkehr Vorteile verschafft. Das lässt sich recht einfach mit Einbahnstraßen, Fußgängerzonen und Sperrungen erreichen, aber man muss das natürlich politisch auch wollen.

    Das Hauptproblem ist wirklich, dass alle immer meinen, sie müssten das Rad quasi völlig neu erfinden, anstatt sich mal europaweit anzusehen wie andere das machen und funktionierende Lösungen zu übernehmen.

    Man sollte vielleicht auch endlich mal mit dem unendlichen Platzverbrauch von Autoverkehr argumentieren. Ein einziges Auto mit einem Insassen verbraucht bei 50 km/h 3 Meter Fahrbahnbreite, 4 Meter Länge und 10 Meter Abstand. 42 Quadratmeter, das ist die Größe einer komfortablen Wohnung. Irrsinn.