Senat lehnt Klima-Volksbegehren ab: Die grüne Heuchelei
Zwei Initiativen wollen Berlin schnell autofrei und klimaneutral machen. Doch die grüne Senatorin spricht sich dagegen aus. Das ist absurd.
Als Bettina Jarasch im vergangenen Sommer noch Spitzenkandidatin der Grünen war, da umwarb sie Klimaaktivist*innen und Umweltverbände. „Wir brauchen jede Form von Druck, auch von der Straße“, erklärte sie im August im taz-Interview.
Das war keine bloße Wahlkampfrhethorik: Ähnlich hatten sich viele hochrangige Berliner Grüne in der vergangenen Legislatur geäußert. Die Taktik dahinter: Was die Ex-Alternativen im Senat nicht durchsetzen können, sollen – bitte schön – Initiativen notfalls per Volksentscheid auf die politische Bühne heben.
So fuhren die Grünen perfekt zweigleisig: Auf der einen Seite hatten sie drei Senator*innenposten, also politische Macht; auf der anderen Seite die Unterstützung guter Teile der vielfältigen außerparlamentarischen Bewegungen in Berlin.
Damit ist es wohl vorbei. Am Dienstag lehnte Jarasch, seit Dezember Berlins grüne Senatorin für Umwelt, Mobilität und Klimaschutz, das Volksbegehren Berlin autofrei ab. Zwei Wochen zuvor hatte sie sich im Namen des rot-grün-roten Senats bereits gegen das Volksbegehren „Berlin 2030 klimaneutral“ ausgesprochen.
Bei den Klimaaktivist*innen der Stadt müssen Jaraschs Sätze Entsetzen auslösen
Beide Initiativen hatten die erste Stufe der direkten Demokratie in Berlin – 20.000 Unterschriften – locker genommen, und beide verfolgen eigentlich urgrüne Ziele: Berlin autofrei will den motorisierten Individualverkehr zu großen Teilen aus der Innenstadt Berlins verbannen; das Klima-Begehren fordert einen deutlich verstärkten Einsatz gegen die Klimakrise.
Es war irritierend zu hören, mit welcher Gelassenheit die Senatorin „Berlin autofrei“ eine Abfuhr erteilte. „Wir brauchen keine autofreie Innenstadt“, stellte sie fest. Bei der Ablehnung beider Volksbegehren wisse sie sich „getragen von der Fraktion und der Partei“. Fehlte nur noch, dass Jarasch in Jubel ausbrach darüber, dass die Volksbegehren nun den Weg über eine erneute Unterschriftensammlung gehen müssen.
Auch wenn von vornherein klar war, dass bei der Regierenden Autobürgermeisterin Franziska Giffey keines der beiden Volksbegehren offene Ohren finden und die SPD-Innsenatorin den Blockadekurs ihres Vorgängers fortsetzen würde – bei den Klimaaktivist*innen der Stadt, die noch ein bisschen Vertrauen in die Grünen hatten, müssen Jaraschs Sätze Entsetzen auslösen.
Denn zum einen sind die Ziele des Senats gar nicht so weit entfernt von denen der Initiativen. Zum anderen: Wenn schon die Grünen den Kampf gegen die Klimakrise nicht forcieren, wenn sogar die Grünen in diesem Senat keine autofreien Innenstädte mehr wollen – wofür steht die Partei dann noch? Zumal die Initiative zuletzt zahlreiche Zugeständnisse gemacht und ihren Gesetzentwurf nach einiger Kritik deutlich überarbeitet hatte.
Auch bei der Enteignung eierten die Grünen rum
Es zeigt sich: Der Versuch der Grünen, zweigleisig zu fahren und die außerparlamentarischen Bewegungen als unterstützendes Moment für mögliche eigene Ziele einzuspannen, konnte in der vergangenen Legislaturperiode funktionieren, weil mit der Abstimmung über die Offenhaltung des Flughafens Tegel überhaupt nur ein einziger Volksentscheid zur Abstimmung kam. Und dieser war von der konservativen Opposition getragen worden.
Die grüne Taktik wird in dieser Legislaturperiode nicht mehr funktionieren, weil es nun zum Schwur kommt. Angedeutet hatte sich das bereits beim Enteignen-Volksentscheid im September 2021. Im Vorfeld der Abstimmung hatten Jarasch und Co. lange versucht, eine Art Mittelweg zu gehen: Eigentlich finde man das Ziel gut, aber die Methode nicht. Am Ende stimmten Jarasch und der damalige Landes- und heutige Fraktionschef Werner Graf nach eigener Auskunft doch mit „Ja“ und für die Enteignung. Wirklich überzeugend zu vermitteln war das aber nicht mehr, prompt warfen Kritiker den Grünen die Instrumentalisierung des Enteignungs-Entscheids vor.
Dieser Vorwurf trifft nun mehr denn je. Ab Herbst, wenn zumindest „Berlin 2030 klimaneutral“ mit der Sammlung von rund 170.000 Unterschriften für die nächste Stufe beginnen könnte, dürfte es daher zur direkten Konfrontation kommen zwischen den Initiativen und dem Senat. Die Grünen riskieren dabei, wichtige Unterstützung in der Zivilgesellschaft zu verlieren und letzte Glaubwürdigkeit in Umweltfragen zu verlieren. Und wie lange die Parteibasis diese politische Schizophrenie angesichts der sich stetig beschleunigenden Erderwärmung mitträgt, ist eine spannende Frage.
Die Aktivist*innen dürfen sich derweil in ihrer Frontalopposition zu den Grünen gerne auf Jarasch selbst berufen. Jene hatte im anfangs erwähnten taz-Interview auch erklärt: „Klimaschutz, so wie wir ihn jetzt brauchen, funktioniert nur, wenn man ihn wirklich radikal angeht.“
Leser*innenkommentare
cuba libre
Berlin autofrei! Yeah. Aber mit Mauer. Der Antiautomobilistische Schutzwall.
cuba libre
Bin gestern mal die Kantstraße langgefahren.
Eine einzige Katastrophe.
Ganz rechts eine Fahrradspur, dann folgt eine Spur für parkende Autos und ganz links - einspurig die Fahrbahn.
Fahrradfahrer habe ich kaum gesehen.
Zudem fährt der Bus Slalom, da es keine völlig durchgehende Busspur gibt.
Hört endlich auf mit dem Unsinn!
Frank Fischer
WAS? Die Grünen interessieren sich nicht für Klimaschutz sobald sie in der Regierung sind und das alles ist nur ein Imagetrick? Jetzt bin ich baff..boar...ihr findet auch alles heraus....boar...öcht ey....
Newjoerg
Ich wäre nicht so gandenlos mit den Grünen, die Heuchelei ist eher eine Anerkennung von Realitäten. Die einzig politisch relevante Frage ist meiner Meinung nach: würde ein Annahme der Initiative die Umstellung auf klimaschonende Technologien in Berlin beschleunigen ja oder nein? Die Grünen sind zu letzterem Schluss gekommen, that's it.
Das Dokument "Berlin-klimaneutral-2030-neu.pdf" ist gut zu lesen und interessant. Ob die dortigen Zahlen realistisch sind? Ich kann es nicht beurteilen, es scheint aber eher Wunschdenken zu sein, Gebäude und Verkehr mithilfe elektrischer Energie klimaneutral zu machen und gleichzeitig die mit der Stromerzeugung verbundenen heutigen Emissionen um 99.83% zu senken (S.10)... Die Einleitung des Dokumentes sagt es selbst: die Klimavision ist "optimistisch-realistisches Maximum".
Wie weit das alles von der Realität entfernt ist, schwant einem auf Seite 31: " ...Die Verwaltung ist das Rückgrat der Transformation ... Dank Personalaufstockung und Digitalisierung werden Termine, Genehmigungen und Gelder schnell vergeben. Unbürokratisch und bürgernah fungiert auch das Klimaschutzmanagement ..."
Anstellen einer "Anordnung wie die Welt 2030 zu sein hat", sind ganz konkrete Projekte vielleicht zielführender: Reduktion Autoverkehr in der Stadt, massive Gebäude- und Heizungsanierungsintiative incl. der Frage wer das bezahlt (also ein Mieten- UND CO2-Deckel für Wohnungen) und ja: eine effiziente, engagierte Verwaltung der Stadt Berlin.
tomás zerolo
@HUP
Ich kann verstehen, dass es Ihnen nicht gefällt. Demokratie ist nun mal schwierig, müssen Sie sich mal erklären lassen.
Und das mit den Kosten haben Sie auch nicht verstanden. Was soll wen extra kosten, wenn Berlin jetzt autofrei ist?
Im Gegenteil: die Gesamtkosten dürften viel geringer sein. Win-win!
cuba libre
@tomás zerolo Ich glaube SIE haben Win-Win nicht verstanden.
All den Autofahrern zu verbieten in ihrer Stadt unterwegs zu sein, aber der Bevölkerung Subventionen für den Kauf von neuen E-Autos ungefragt abzuknöpfen, ist alles andere als win-win.
Das ist Öko-Diktatur!
Laura Marwitz
Das ist keine Überraschung.
Die Grünen schummeln sich mit ihrer Rhetorik in Ämter und wenns dann drauf ankommt tatsächlich zu handeln, ist nichts.
Schröder hat erst letztes Jahr gesagt die Grünen seien im Kern eine konservative Partei und ich denke er hat Recht.
cis-moll
Das ist eine politische Strategie der Grünen, die sich auf allen politischen Ebenen wiederfindet: In Bochum haben die Grünen im Stadtrat beim Bürgerbegehren Radentscheid sogar Unterschriften gesammelt, um ihn dann anschließend zusammen mit SPD, FDP uns CDU für unzulässig zu erklären und etwas völlig Schwammiges für den Radverkehr zu beschließen...
Die Grünen sind inzwischen eine Feel Good Partei ohne Kraft geworden, die müssen viel zu viel Rücksicht nehmen, um die neue breite Wählerschaft nicht zu verlieren.
hup
Das ist das neue hippe Ding in Berlin, alles über populäre Volksbegehren durchsetzen zu wollen. Ein bisschen so, als die Sekten vor einiger Zeit massenweise in kleine Dörfer auf dem Land zogen, um dort die Mehrheiten in den Gremien zu übernehmen, um dann die Dörfer zu kontrollieren und sich fest und alles bestimmend zu installieren. Hat auch nicht geklappt. Es steht halt alles im Kontext und Berlin ist keine Insel, die auf kosten anderer durchsetzt, was sonst nirgends Chance hat. Für mich ist die neue grüne Haltung ein Zeichen erwachsener Ernsthaftigkeit - man kümmert sich mehr um die Mitte, als die Fringe, mehr um machbare Evolution als um populäre Revolution.
Vielleicht müssen die Volksbegehrer eine eigene Partei gründen, so wie in den 80ern die Grünen gegründet wurden - erst als Marsch durch die Institutionen geplant, der als Marsch in die Institutionen endet - mit Änderungsoptenzial, aber weit abseits der radikalen Ideen der GründerInnen.
Heide Gehr
@hup Sollen die Menschen in Berlin halt abstimmen dürfen. Dann müssen die Initiatorinnen gegebenenfalls auch damit leben, dass ihre Ideen so (noch) nicht mehrheitsfähig und auf demokratische Weise momentan nicht durchsetzbar sind. Wie heißt es immer so schön: das muss eine Demokratie aushalten. Ob es die Initiatorinnen aushalten?