Völkermord an den Armeniern: Genozid leugnen und Tee trinken
Die linke US-Demokratin Ilhan Omar hat sich in einer Abstimmung über die Anerkennung des Genozids an den Armeniern enthalten. Wie kann das sein?
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B esser spät als nie. Die USA haben es geschafft, das Massaker an den Armeniern als Völkermord anzuerkennen, mehr als hundert Jahre zu spät. Das US-Repräsentantenhaus stimmte am 96. Jahrestag der Gründung der Türkischen Republik dafür, den Genozid an den Armeniern auch als solchen zu benennen. Die Türkei leugnet bis heute, dass es 1915 zu einem Völkermord kam.
In Schulbüchern, im Fernsehen, in Social Media wird häufig weder die Existenz noch die spätere Ermordung der Armenier erwähnt. Man tut oft so, als wären die Armenier entweder niemals da gewesen oder als hätten sie sich plötzlich in Luft aufgelöst. Und je nachdem, wie es gerade passt, wird die Geschichte auch noch umgedreht: Nicht die Türken hätten die Armenier umgebracht, sondern es seien die Armenier gewesen, die die Türken umgebracht haben. Geschichtsrevisionismus at it's best.
Erdoğan sagte, der Beschluss des Repräsentantenhauses, den Genozid anzuerkennen, hätte keinen Wert. Er sagte außerdem, der Vorwurf des Völkermords sei die „größte Beleidigung des türkischen Volkes“.
Ilhan Omar, Mitglied im Repräsentantenhaus für die Demokraten, ist laut ihrem Twitter-Profil Mutter, Refugee, intersektionale Feministin und wie sie von sich selbst sagt: „Amerikas Hoffnung und Albtraum des Präsidenten“. Sie enthielt sich bei der Abstimmung, anstatt klar Stellung zu beziehen. Wie kann das sein?
Mit Allah gegen Israel
Omar hat doch nichts zu befürchten. Sie lebt nicht in der Türkei und wird nicht im Gefängnis landen oder wie der Journalist Hrant Dink auf offener Straße erschossen. Höchstens würden die guten Beziehungen, die sie zu Erdoğans Regime unterhält, geschwächt. Sie könnte etwa weniger Spenden von Türkei-nahen Lobbygruppen erhalten oder von Erdoğan nicht mehr zum Tee empfangen werden (wie noch im Jahr 2017).
Omar ist in Somalia geboren, mit acht Jahren vor dem Bürgerkrieg geflohen, hat vier Jahre in einem Flüchtlingscamp in Kenia gelebt, bevor sie mit ihrer Familie in die USA ausgewandert ist. Sie ist neben Rashida Tlaib die erste muslimische Abgeordnete im US-Kongress. Sie gilt als „neue amerikanische Hoffnung“, ist Trump-Gegnerin, wird dafür auch rassistisch angefeindet und bekommt Morddrohungen.
Omar setzt sich für einen intersektionalen Feminismus ein, für gerechte Einwanderungspolitik, Healthcare, Rechte von LGBTQ, Abschaffung der Studiengebühreren. Das sind alles gute Sachen. Doch Omar ist auch bekannt für Sätze wie: „Israel has hypnotized the world, may allah awaken the people and help them see the evil doings of Israel.“
Intersektional gegen die Armenier
Sie bezeichnet den IS und al-Qaida nicht als Terrororganisation, fordert Sanktionen gegen Israel, stimmt aber gegen Sanktionen für die Türkei, den Iran und Venezuela. Ihre intersektionale Haltung schließt Kritik an Klassismus, Rassismus, Sexismus ein, nicht aber an Antisemitismus, den sie reproduziert. Das sind doppelte Standards.
Doppelte Standards liegen auch vor, wenn der Genozid an den Armeniern gegen transatlantischen Sklavenhandel und den Völkermord an der indigenen Bevölkerung ausgespielt wird. Das hat Omar in einem Statement gemacht. Omar benutzt denselben Geschichtsrevisionismus wie die Türkei. Aber: Fakten wie einen Genozid und 1,5 Millionen ermordete Armenier sind nicht verhandelbar.
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