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Verschärfte russische AngriffeMit allen Mitteln

Bernhard Clasen
Kommentar von Bernhard Clasen

Laut russischer Propaganda ist die Ukraine kein Staat. Deshalb beraubt der Kreml das Land all dessen, was zur Eigenstaatlichkeit nötig ist.

Eine Pappschachtel mit dem russischen Propaganda-Symbol „Z“ liegt in der Stadt Lyman Foto: Yevgen Honcharenko/epa

A us Russlands Perspektive braucht das vermeintliche Brudervolk in der Ukraine keinen eigenen Staat. Es hat doch den großen Bruder. Und natürlich will man den kleinen Bruder nicht auf Augenhöhe. Je kleiner man ihn macht, desto schneller wird er wieder zum großen Bruder zurückfinden. Immer stärker setzt sich in russischen, regierungsnahen Medien der Begriff vom „Territorium der früheren ukrainischen Sowjetrepublik“ durch, wenn von der Ukraine die Rede ist.

Für Russland gibt es die Ukraine als Staat nicht. Was sich auf dem „Territorium“ abspielt, ist zwar bedauerlich, früher oder später wird der große Bruder jedoch den Hilferuf des kleinen Bruders in Gestalt eines prorussischen selbsternannten Bürgermeisters oder so ähnlich hören und ihm wohlwollend unter die Arme greifen. Bis es so weit ist, wird der große Bruder nicht müde, seinem vermeintlich kleinen Bruder dessen zu berauben, was dieser für seine Eigenständigkeit braucht: Strom, Wasser, Heizung und natürlich eine eigene Regierung.

Den Kollateralschaden in Form von dutzenden Toten wöchentlich nimmt man in Kauf. Vorbei sind die Zeiten, als noch Hoffnung bestand, man könne vom selbsternannten großen Bruder einfach in Ruhe gelassen werden, könne einen eigenen Weg gehen. Wie ein Uhrwerk arbeitet sich der vermeintlich große Bruder gnadenlos an seiner Aufgabe ab: dem „Territorium der früheren Sowjetrepublik Ukraine“ das zu nehmen, was seine Staatlichkeit ausmacht.

Damit auch der letzte Russe kapiert, was man mit dem „Territorium der ehemaligen USSR“ machen soll, wird eine riesige Hassmaschine in den staatlichen Medien in Gang gesetzt, und in Russland sind fast alle Medien staatlich. Früher oder später wird diese Hassmaschine nicht mehr fruchten. Wenn dank heimkehrender Soldaten die Wahrheit über diesen Krieg in jede Ecke des Reiches des vermeintlichen großen Bruders kommt. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion heimkehrende Soldaten erheben.

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Bernhard Clasen
Journalist
Jahrgang 1957 Ukraine-Korrespondent von taz und nd. 1980-1986 Russisch-Studium an der Universität Heidelberg. Gute Ukrainisch-Kenntnisse. Schreibt seit 1993 für die taz.
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14 Kommentare

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  • Man sollte immer sorgfältig zwischen Propaganda und Realpolitik unterscheiden.

    Ich halte das Gegenteil für wahrscheinlicher, nämlich das Russland implizit die Eroberung der kompletten Ukraine aufgegeben hat und damit die Staatlichkeit der Ukraine widerwillig zur Kenntnis genommen hat.

    Damit entfällt nämlich die Notwendigkeit, ein Minimum an Rücksicht gegenüber dem jetzt fremden Land zu zeigen.

  • Putin macht das, was die USA in Vietnam und Afghanistan vorexerzierten: Den Gegner "Zurückbomben in die Steinzeit" - gemeint war die Zivilbevölkerung. Einen Krieg mit dem Imperialisten im Kreml und seinen Schergen wollten und wollen Nato und EU keinesfalls und da haben sie ihre Bevölkerung hinter sich. Ob Putins Regime angesichts der desaströsen Auswirkungen des Krieges implodiert, wie einst der Realsozialismus mit der Niederlage in Afghanistan? Bezahlen müssen die 'Rechnung' vor allem die Menschen der Ukraine mit einer Verelendung über jahrzehnte hin....Wir sind zurück im Zeitalter imperialer Systeme - siehe 1914....

  • Ich muss hier jetzt mal ganz plump fragen - nicht dass der Angriff auf die Ukraine nicht schlimm genug wäre-, aber die Behauptung, dass Putin die Ukraine nicht anerkennt oder gar völlig vernichten will, woher genau kommt die, hat das Putin wirklich mal selbst behauptet oder zum Ziel erklärt?



    Das ist keine rhetorische Frage, sondern eine, auf die ich wirklich gern eine Antwort hätte, wenn möglich.



    Ich kann kein Russisch und ich habe auch keinen Zugang zu russischen Medien. Und auch bei uns in den Medien wird Putin in Person und seine Reden höchst selten gesendet. Jedenfalls habe ich noch nie aus seinem Mund gehört, dass er die Ukraine nicht anerkannt oder vernichten oder in Russland "integrieren" will. Nicht dass seine anderen Aussagen weniger wirr wären, aber ich wüsste es doch gern genauer bzw differenzierter.



    Alles, was ich tatsächlich von ihm selbst Geäußertes kenne, ist bisjetzt, dass er die Ukraine als eigenständigen Staat zwar anerkennt, aber er da mal aufräumen muss, weil er ihn für nationalistisch geführt hält, der die russischsprachige Bevölkerung im Donbass und auf der Krim unterdrückt und schikaniert und Putin (der große Befreier), diese Gebiete befreien muss und zu ihrem eigenen Schutz natürlich, ans russische Mutterland anschließen wird.



    Das ist das mir bekannte, erklärte Kriegsziel Putins, sprich soll enden wie in Georgien, was wie gesagt, in keiner Weise akzeptabler ist, sich einfach so eben mal, fremdes Staatsterritorium zu holen, wenn man behauptet, die Bewohner in diesem Gebiet wollen das selbst...



    Ich wüsste aber dennoch gerne mal klip und klar, hat Putin selbst wirklich je gesagt, dass er die Ukrainer nicht anerkennt und vernichten will oder als russisches Staatsgebiet komplett annektieren will oder wird das interpretiert und gemutmaßt aus russischen Medien, die ja nun wohl sehr nationalistisch sind und sogar bereits schon in eigenen Szenarien, Atombomben auf England und Deutschland abgeworfen haben?



    Für mich ist das schon ein Unterschied.

    • @Edda:

      Ich glaube, er hat tatsächlich gesagt, dass die Ukraine in DIESEN Grenzen eine Kunstschöpfung ist. Im Kern dreht sich das um Chrushtshovs Schenkung der Krim. Und die Tatsache (nachzulesen in "Die Macht der Geographie" des BBC-Korrespondenten Tim Marschall), dass der Donbas von Lenin zur Ukraine gepackt wurde. Der Westen um Lwiw ist Kriegsbeute aus dem 2. Weltkrieg, wurde aber schon immer stark von Ukrainern bewohnt. Hintergrund ist, dass Stalin immer darauf achtete, dass er Grenzen so zieht, dass ethnisch halbwegs homogene SSRs vermieden werden, damit die Bevölkerung nicht unabhängig werden will.



      Soweit ich das sehe, sagt er: Die Ukraine so ist künstlich. Daher nehmen wir die Gebiete zurück, die "eigentlich" russisch sind. Schlimm genug, denn da sind große Teile der Ressourcen und der Meereszugang.



      Im Kern steht m.E. dahinter: Ukraine in NATO (auch nur als NATO-Partner) = Gefahr. Also Vorwand finden, die Ukraine in einen kaputten Rumpfstaat zu verwandeln.



      Schlimm genug. Wichtig ist hier, dass Putin auch nicht Georgien annektiert hat, sondern nur die Gebiete, die eher pro-russisch waren (Osseten und Abchasen wollten nie wirklich Georgier sein).

      • @Kartöfellchen:

        Die Krim ist Russisch? Ich dachte eigentlich das die Krimtataren da ältere Rechte haben...

  • "Wenn dank heimkehrender Soldaten die Wahrheit über diesen Krieg in jede Ecke des Reiches des vermeintlichen großen Bruders kommt." *Wenn*.... denn so viele wie wünschenswert kommen ja offenbar gar nicht heim... und dass die wenigen Heimkehrer hartnäckig schweigen, das kennen wir noch von den deutschen Weltkriegssoldaten...

  • Liebe TAZ, warum so viel Putin-Versteher hier? "Für Russland ist die Ukraine kein Staat" ist eine absurde Satz, das keine seriöse Journalismus unterstützen kann.



    Dass Russland die territoriale Grenzen von Ukraine, so wie Syrien, Georgien usw. erst anerkennt und danach besetz hat mit der ehemalige USRR null zu tun. Lieber Herr Clasen, bitte ein bisschen mehr Recherche und ein wenig wenig Verständnis.

    • @CallmeIshmael:

      Die UdSSR kann sehr wohl als Fortsetzung des Imperialismus des Zarenreiches unter roter Fahne verstanden werden.

      Russland ist in gewissem Sinne die letzte Kolonialmacht. Anders als westliche Länder hat sich Russland eben immer Nachbarn einverleibt.

      • @Suryo:

        Ok, da hab ich wohl was nicht mitgekommen...



        Wen der ehemaligen Sowjetrepubliken, die bereits unabhängig waren oder anderer Nachbarn, hat sich denn Russland "immer einverleibt".



        Ich meine nicht, die völkerrechtswidrigen Teilannektionen fremden Staatsterritoriums, wie in Georgien, dass Russland bis heute immer noch zu 20% besetzt hält oder die ebenso rechtswidrige Besetzung der Krim, sondern wirklich einverleibt, also komplett geschluckt, wie Sie behaupten?

        • @Edda:

          Die UdSSR war faktisch nichts anderes als ein Russisches Reich. Die Ukrainische SSR, Weissrussland, Zentralasien und insbesondere die drei baltischen Republiken wurden von Moskau aus regiert. Satellitenstaaten dieses Imperiums waren zB Polen und die DDR, die natürlich auch nicht gegen den Willen Moskaus handeln konnten. Wie kann man darin keine Form des Kolonialismus sehen?

          Davon mal abgesehen, dass Russland selbst natürlich immer noch diverse Landesteile hat, deren Bevölkerungen sich seinerzeit auch nicht freiwillig unter die Herrschaft des Zaren begeben hatten.

    • @CallmeIshmael:

      Liebe @Callmeishmael, ich empfehle Ihnen diesen kostenlosen Online-Übersetzer, um TAZ-Artikel zum Lesen in Ihre gewünschte Zielsprache zu übersetzen:



      www.deepl.com/translator



      Das vermeidet Missverständnisse. Die Ergebnisse von DeepL sind wirklich sehr gut.

    • @CallmeIshmael:

      Clasen setzt sich doch eindeutig kritisch mit dieser Perspektive auseinander. Hat nichts mit Verständnis für russisches Denken, sondern mit Erklärung russischen Handelns zu tun.

      • @Piratenpunk:

        language problems here - as Barbara stated.

    • @CallmeIshmael:

      Wenn der Verfasser des Artikels schreibt: "...Für Russland gibt es die Ukraine als Staat nicht.", dann stellt er ihr hier die Einstellung Russlands bzw. Putins zur Ukraine dar und eben nicht seine eigene. Lesen Sie den letzten Absatz aufmerksam durch, und alle klärt sich von selbst.