Verlässliche Informationen: Das schwer umkämpfte Gut
Die Pressefreiheit ist fast überall durch illiberale Tendenzen bedroht. Doch gibt es inmitten der größten Krise auch einen Hoffnungsschimmer.
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine macht es deutlich: Unabhängige Medien sind im Jahr 2022 so wichtig und so bedroht wie kaum jemals zuvor. Im Krieg selbst können verlässliche Informationen das Überleben sichern. Journalist*innen ordnen die Kriegshandlungen ein, leisten Aufklärungsarbeit auch mit Blick auf Kriegsverbrechen, wollen verstehen und verständlich machen.
Auch deshalb will die Mehrheit der ukrainischen Journalist*innen im Land bleiben und weiter berichten. In Russland ist die Situation eine andere: Als unabhängiger Journalist oder kritische Reporterin ist es im Land nicht mehr auszuhalten. Seit das drakonische Mediengesetz vom 4. März „falsche“ Berichterstattung mit bis zu 15 Jahren Gefängnis bedroht, verlassen Medienschaffende in Scharen das Land.
Am 15. März wurde Armando Linares ermordet – als schon achter Journalist in Mexiko im Jahr 2022. Im ganzen Jahr 2021 waren dort sieben Journalist*innen ermordet worden. Das dritte Jahr in Folge waren es dort so viele wie in keinem anderen Land der Welt. Quasi alle im Land getöteten Medienschaffenden sind indirekt Opfer im Drogenkrieg. Recherchen über Kartelle und ihren Einfluss auf Politik und Behörden sind lebensgefährlich. In bis zu 99 Prozent der Morde an Journalist*innen kommen die Drahtziehenden ungestraft davon, was als Einladung zur Nachahmung betrachtet werden kann. Mit der mexikanischen Organisation Propuesta Cívica unterstützt Reporter ohne Grenzen Hinterbliebene beim juristischen Kampf für Gerechtigkeit. Auch deshalb konnten inzwischen Mittäter an den 2017 verübten Morden an zwei prominenten Journalisten zu langen Haftstrafen verurteilt werden. Diese Urteile machen ein wenig Hoffnung, dass sich doch etwas bewegt.
Reporter ohne Grenzen hat die Einschränkungen der freien Berichterstattung in Russland seit Langem kritisiert. Schon in den Monaten vor dem Überfall auf die Ukraine war die Repression massiv, die Liste angeblicher „ausländischer Agent*innen“ wuchs rasant an.
Heute droht Russland zu einem medialen schwarzen Loch zu werden – um die Pressefreiheit ist es so schlecht bestellt wie seit dem Ende der Sowjetunion nicht mehr.
Der 3. Mai wurde 1993 von der UN-Vollversammlung zum Welttag der Pressefreiheit erklärt. Die taz panter stiftung hat aus diesem Anlass gemeinsam mit Reporter ohne Grenzen eine Beilage für die taz erstellt. Wir blicken auf die Lage der Presse in Russland und Kuba, in Frankreich und Myanmar, in Afghanistan, im Irak und in der Türkei. Aber wir schauen auch auf den Journalismus in Deutschland in Zeiten von Crowdfunding und Fake News. Und wir fragen Günter Wallraff, warum er sich für den Wikileaks-Gründer Julian Assange einsetzt.
Alle Texte erscheinen online unter taz.de/pressefreiheit
Gefährliche Recherchen zu Korruption, Politik und Kriminalität
Weltweit nehmen illiberale Tendenzen mit Blick auf die Medien zu. Abseits von Kriegen und Krisen leben Journalist*innen vor allem dann gefährlich, wenn sie über die Verstrickungen korrupter Politiker*innen mit der organisierten Kriminalität berichten.
Nicht umsonst ist Mexiko das Land mit den meisten getöteten Journalist*innen. In China wirft das Regime im weltweiten Vergleich die meisten Medienschaffenden ins Gefängnis. In Hongkong, einst ein Vorbild der Pressefreiheit, mussten mit Apple Daily und Stand News die letzten unabhängigen Medien schließen.
In Afghanistan wiederum radieren die Taliban die vergangenen 20 Jahre, in denen eine sehr vielfältige Medienlandschaft entstanden ist, vollständig aus. In vielen Ländern haben die Regierungen die Covid-19-Pandemie genutzt, um mit Gesetzen gegen Fake News ihr eigenes Narrativ zu unterstützen.
Auch in Europa steht die Pressefreiheit unter Druck. In Ungarn hat Viktor Orbán über 80 Prozent der Medien unter mehr oder weniger direkte Kontrolle gebracht. In diesen Medien kam der Wahlkampf seines Widersachers Peter Marki-Zay quasi nicht vor – Orbáns erneuter Wiederwahl zum Ministerpräsidenten Anfang April hat das sicher nicht geschadet.
Verachtung für kritische Journalist*innen
Das ungarische Vorbild verfängt: Auch der gerade abgewählte slowenische Ministerpräsident Janez Janša machte aus seiner Verachtung für kritische Journalist*innen keinen Hehl. Die in Polen regierende PiS ihrerseits hat den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wie ihr Pendant Fidesz in Ungarn, zu einem staatlichen Propagandainstrument gemacht.
In Deutschland ist in den vergangenen zwei Jahren kaum ein Wochenende vergangen, an dem es keine Beleidigungen von Journalist*innen, keine Schläge oder Schubsereien, keine veröffentlichten Klarnamen und Adressen von Medienvertreter*innen gegeben hätte.
Im Jahr 2020 hatte Reporter ohne Grenzen 65 gewaltsame Angriffe auf Journalist*innen gezählt. Schon diese Zahl bedeutete einen starken Anstieg (2019: 13). 2021 nahm die Gewalt gegenüber Medienschaffenden hierzulande weiter zu auf mindestens 80 verifizierte Fälle.
Es gibt aber auch positive Entwicklungen. Das Schicksal der ukrainischen und russischen Medien löste europaweit eine enorme Welle der Hilfsbereitschaft aus: Redaktionen machen unbürokratisch Arbeitsplätze für bedrohte Kolleg*innen frei, zivilgesellschaftliche Organisationen legen zügig Hilfsprogramme und Projekte auf, Stiftungen und einzelne Menschen spenden viel Geld.
Um dieses zu kanalisieren und zügig dorthin zu lenken, wo es am dringendsten gebraucht wird, hat RSF gemeinsam mit der Rudolf-Augstein-Stiftung und der Schöpflin Stiftung den JX Fund aufgelegt, einen europäischen Fonds für Exiljournalismus. Denn das ist fast allen Journalist*innen gemein, die ihre Heimat verlassen müssen: Sie wollen arbeiten, wollen weiter berichten, sei es über die Ukraine, über Russland, über Belarus oder Afghanistan.
Dieser Text ist Teil einer Beilage der taz Panter Stiftung und von Reporter ohne Grenzen in der taz vom 3. Mai 2022, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit.
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