Verfassungsrichter aus Ostdeutschland: Der Mythos der letzten Chance

Die Besetzung einer Verfassungsrichterstelle in Karlsruhe stockt. Brandenburg will unbedingt einen Richter mit ostdeutscher Biografie durchsetzen.

Richter in roten Roben unter Bundesadler

HüterInnen der Demokratie und Meinungsfreiheit: Das Bundesverfassungsgericht Foto: Uli Deck/dpa

Seit März soll der Bundesrat einen Nachfolger für Verfassungsrichter Johannes Masing wählen. Doch die SPD, die das Vorschlagsrecht hat, kann sich nicht auf einen Kandidaten einigen. Auch am letzten Freitag gingen die Ländervertreter ohne Wahl nach Hause. Die nächste Gelegentheit ist am 3. Juli.

Es geht um die wohl wichtigste Richterstelle am Bundesverfassungsgericht, zuständig für Meinungsfreiheit und Datenschutz. Mit dem Rechtsprofessor Martin Eifert steht ein hochqualifizierter Kandidat bereit, der perfekt passen würde. Aber der Brandenburger SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke beharrt auf der Wahl des Potsdamer Sozialrichters Jens Möller, der sich noch nie wissenschaftlich mit Meinungsfreiheit und Internet beschäftigt hat. Woidkes Argument: Mit dem 59-jährigen Möller gebe es nun die letzte Chance, einen Juristen mit DDR-(Oppositions)-Erfahrung nach Karlsruhe zu schicken.

Tatsächlich gab es bisher keinen Verfassungsrichter mit ostdeutscher Biographie. DDR-Juristen galten als zu systemnah. Oppositionelle waren eher Pfarrer und wer erst nach der Wende mit dem Jurastudium begann, musste zunächst seinen Weg machen, um für Karlsruhe präsentabel zu sein.

Dem Osten wurden Verfassungsrichter also nicht verweigert. Es gab einfach keine Kandidaten. Auch Brandenburg hat 30 Jahre lang niemand vorgeschlagen. Selbst im Fall von Jes Möller war es wohl eher so, dass zuerst der Kandidat parat stand und dann das passende Narrativ entwickelt wurde. Die SPD ist deshalb in keiner Weise verpflichtet, einen fachlich für die anstehende Stelle nicht geeigneten Kandidaten zu wählen.

Auf DDR-Erfahrung kommt es heutzutage in Karlsruhe ohnehin nicht mehr an. Die großen Verfahren mit DDR-Bezug (um die Bodenreform, DDR-Spione und die gekürzten Renten für DDR-Eliten) fanden in den ersten fünfzehn Jahren nach der Wende statt. Das ist lange her. Auch wenn Möller nun zurecht nicht zum Zuge kommt: In den kommenden Jahren bestehen noch viele Gelegenheiten, (jüngere) Verfassungsrichter mit ostdeutscher Herkunft zu wählen.

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Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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