Verdi-Chef Frank Werneke über die Ampel: „Völlig irre Entscheidungen“
Die Geduld der Gewerkschaften mit der rot-grün-gelben Bundesregierung schwindet. Verdi-Chef Frank Werneke beklagt „unglaublichen Vertrauensverlust“
Der zentrale Fehler sei, die Kosten für Investitionen in die industrielle Transformation in den Regelhaushalt zu pressen. „Das Resultat sind zweifelhafte Gegenfinanzierungen mit erheblicher sozialer Unwucht“, beklagte Werneke. Als ein Beispiel für solch „völlig sachfremde Gegenfinanzierungen, die teilweise absurd sind“, nannte er die geplanten Kürzungen der Regionalisierungsmittel. Denn das bedeute eine empfindliche Schwächung des öffentlichen Personennahverkehrs, was genau in die falsche Richtung gehe.
„Schlicht dreist“ sei auch der vereinbarte Griff in die Kassen der Bundesagentur für Arbeit, wo mehr als 5 Milliarden Euro eingespart werden sollen. Die Kürzung des Bundeszuschusses in die gesetzliche Rentenversicherung sei ebenfalls falsch. Ein weiteres Beispiel seien die Kürzungen in der Landwirtschaft. Dass die Bauern dagegen protestieren, könne er verstehen. „Um den Wahnsinn noch zu toppen“, beabsichtige auf der anderen Seite die Bundesregierung nach wie vor, die staatliche Einnahmebasis durch das sogenannte Wachstumschancengesetz – ein Lieblingsprojekt der FDP – weiter zu schwächen. Er sei daher froh, dass die Länder das Gesetz im Bundesrat bisher aufgehalten haben.
Es gebe derzeit eine gesellschaftlich sehr aufgeladene und kritische Stimmung, die auch unter den Verdi-Mitgliedern zu spüren sei, warnte Werneke. Es sei „schon schlimm genug“, dass sich die SPD und die Grünen von der FDP „im Nasenring durch die Arena ziehen“ ließen. „Aber dass sie das dann auch noch als goldig verkaufen, führt zu einem unglaublichen Vertrauensverlust und zu einer tiefen Abkehr von der Sozialdemokratie in unserer Mitgliedschaft“, sagte Werneke, der selbst SPD-Mitglied ist, in Richtung von Bundeskanzler Olaf Scholz. „Und das Ganze ist ein tägliches Fest für die AfD.“
Für eine der Hauptursachen für die große Unzufriedenheit mit der Ampel hält der Verdi-Chef deren Vorgehen beim CO2-Preis. Ein stärkerer Anstieg des CO2-Preises, ohne gleichzeitig ein sozial gestaffeltes Klimageld einzuführen, führe zu einer „harten sozialen Schieflage“. Denn die Anhebung treffe insbesondere Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen. „Die Einnahmen aus einer erhöhten CO2-Bepreisung dürfen nicht allein zur Wirtschaftsförderung genutzt werden, sondern es muss darüber auch der soziale Ausgleich über ein Klimageld finanziert werden“, forderte Werneke. „Das Klimageld darf nicht auf die lange Bank geschoben werden.“
Gemeinsamer Aufruf von Sozial- und Umweltverbänden
In einem gemeinsamen Aufruf mit Sozialverbänden wie der Arbeiterwohlfahrt, dem Paritätischen, der Diakonie oder der Volkssolidarität sowie den Umweltorganisationen BUND und Greenpeace fordert Verdi daher jetzt die Bundesregierung zum umgehenden Handeln auf: „Die Bundesregierung muss Wort halten und, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, das Klimageld als sozialen Ausgleichsmechanismus schnellstmöglich einführen“, heißt es in dem Aufruf.
Darüber hinaus müsse kräftig in Klimaschutz, Bildung, Gesundheit, Pflege, Wohnen und ökologische Infrastruktur investiert werden. Dafür sei eine Reformierung der Schuldenbremse erforderlich. Zukunftsinvestitionen müssten von der Schuldenbremse ausgenommen und über Kredite finanziert werden können, so die Verbände in ihrem Aufruf.
Ohne eine Reform der Schuldenbremse, die mehr Investitionen ermögliche, oder zumindest ein „Sondervermögen“ nach dem Vorbild des Bundeswehrsondervermögens werde der Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft nicht gelingen und gleichzeitig die Akzeptanz für die Klimawende schwinden, warnte Werneke. „Jetzt müssen die Weichen für mehr Investitionen und Zukunftsorientierung gestellt werden“, verlangte er.
Gestiegene Mitgliederzahl
Weit zufriedener als auf die Ampel schaut Werneke auf die eigene Bilanz. Die Tarifauseinandersetzungen etwa im öffentlichen Dienst oder bei der Deutschen Post haben Verdi im zurückliegenden Jahr erstmals nach langer Zeit wieder einen kräftigen Mitgliederzuwachs beschert. Mehr als 193.000 Beschäftigte erklärten 2023 ihren Einritt. Dem standen 153.000 Abgänge durch Austritt, Ausschluss wegen fehlender Beitragszahlungen, Übertritt zu einer anderen Gewerkschaft oder Tod gegenüber.
Das ergibt zusammen ein Nettoplus an Mitgliedern von mehr als 40.000. Damit gehören Verdi insgesamt nun rund 1.897.500 Menschen an. Eine vergleichbar positive Mitgliederentwicklung habe es zuletzt bei den Verdi-Vorläuferorganisationen Mitte der Achtzigerjahre gegeben, hob Werneke hervor. Eine logische Konsequenz des Zuwachses ebenso wie der erkämpften Lohnerhöhungen ist, dass sich Ver.di über gestiegene Einnahmen freuen darf. 512 Millionen Euro nahm sie im vergangenen Jahr an Mitgliedsbeiträgen ein, ein Plus von 21,6 Millionen Euro.
Interessant ist, dass der Bezirk Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit einem Mitgliederzuwachs um 3,37 Prozent am besten abgeschnitten hat. „Das zeigt, dass allen Unkenrufen zum Trotz gewerkschaftliches Engagement und Solidarität im Osten quicklebendig sind“, sagte Werneke. Das sei „die notwendige Antwort auf das Anwachsen antidemokratischer Kräfte“. Wobei sich Verdi zwar rühmen kann, mit nunmehr 168.000 Mitgliedern die größte Einzelgewerkschaft in der Region zu sein, der gewerkschaftliche Organisationsgrad im Osten im Vergleich zum Westen gleichwohl weiterhin deutlich unterdurchschnittlich ist.
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