Verbandsvertreterin zu Migrationspolitik: „Das stärkt den rechten Diskurs“
Nützlichkeit dürfe nicht das Kriterium für Einbürgerungen sein, sagt Deniz Greschner vom Paritätischen. Auch schärfere Abschieberegeln kritisiert sie.
taz: Frau Greschner, das Forum Migrant*innen im Paritätischen fordert seit vielen Jahren eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Diese Woche hat der Bundestag diese nun beschlossen. Ein Grund zum Feiern?
Deniz Greschner: Ich tue mich schwer damit, zu feiern. Der Bundestag beschließt zwei Gesetze aus dem Bereich Migration. Das Rückführungsverbesserungsgesetz enthält kaum begrüßenswerte Änderungen, das Staatsangehörigkeitsrecht schon – aber auch da haben wir deutliche Kritik. Am Ende des Tages kann man beide Gesetze nicht losgelöst von einem Diskursrahmen betrachten, der sich immer weiter nach rechts verschiebt.
Wie meinen Sie das?
Bei den Abschiebeverschärfungen wird massiv in Grundrechte eingegriffen. So wird etwa die Unverletzlichkeit der Wohnung angetastet, selbst bei Menschen, die gar nicht selbst abgeschoben werden sollen. Menschen werden nachts aus dem Schlaf gerissen, Abschiebungen nicht mehr angekündigt, was eine Retraumatisierung bedeuten kann. Das ist absolut abzulehnen.
Mit der Staatsangehörigkeitsreform wird jetzt aber zum Beispiel der Doppelpass möglich, was Millionen von Menschen den Weg zur Einbürgerung ebnen dürfte.
Ja, das ist sehr zu begrüßen. Genauso wie, dass Menschen künftig früher eingebürgert werden können. Aber das politische Recht auf Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft wird in Zukunft noch mehr als bisher von der Erwerbsleistung von Menschen abhängen. Menschen, die chronisch krank sind, alleinerziehend oder Angehörige pflegen verlieren ihren Anspruch auf Einbürgerung und sind auf das Ermessen der Behörden angewiesen. Wer nicht „nützlich“ ist, soll sein Recht auf Einbürgerung verwirkt haben? Das trägt nicht zum gesellschaftlichen Miteinander bei, sondern stärkt den rechten Diskurs, den wir seit Monaten, ja Jahren sehen.
Die Ampel hatte sich eine progressive Migrationspolitik vorgenommen, zuletzt aber doch sehr viele restriktive Gesetze verabschiedet. Ist ein Schritt wie die Staatsangehörigkeitsreform da nicht ein wichtiger Gegenpol?
Als solcher wird es leider gar nicht kommuniziert. Stattdessen wird es gekoppelt mit massiven Verschärfungen bei Abschiebungen, als brauche es einen Ausgleich, um die Lebensleistung Tausender Menschen anerkennen zu können. Die Ampel hat in ihrem Koalitionsvertrag eine Rückführungsoffensive angekündigt, aber auch viele Verbesserungen, etwa bei der Familienzusammenführung. Diese aber hat der Kanzler mit den Länderchefs bei der Ministerpräsidentenkonferenz im November einfach abgebügelt. Es ist deutlich, wo die Regierung ihren Fokus setzt. Und das erschüttert das Vertrauen rassifizierter Menschen, dass dieses Land sie schützen wird, wenn Vertreibungspläne wie die der AfD jemals Realität werden.
Sie sprechen die Correctiv-Recherche an: Vertreter*innen von AfD, Neonazis, Werteunion und anderen haben offenbar Pläne geschmiedet, um Menschen mit Migrationshintergrund zu deportieren – unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft.
37, ist Co-Sprecherin des Forums der Migrant*innen im Paritätischen und Fachbereichsleiterin „Gesellschaft und Prävention“ beim Multikulturellen Forum.
Ganz ehrlich: Diese Enthüllung hat weder in meinem beruflichen noch im privaten Umfeld jemanden überrascht. Menschen, die potenziell von solchen Plänen betroffen sind, warnen seit Jahren vor dieser Gefahr. Rechte Politik und der rechte Diskurs betreffen diese Menschen schon jetzt ganz konkret. Diese Menschen bangen um ihre körperliche Unversehrtheit und ihr Leben – ihre Sorgen kommen aber in der Realität der meisten Politiker*innen kaum vor. Es wäre ihre Aufgabe, diesen Menschen zu zeigen: Ihr habt unsere Rückendeckung, ihr seid sicher in diesem Land. Mit Gesetzen aber, die Geflüchteten ihre Grundrechte verwehren und sie in „nützliche“ und „nicht nützliche“ Ausländer einteilen, wird das kaum gelingen.
Aber nach den Enthüllungen von Correctiv sind doch Tausende auf die Straße gegangen. Auch Politiker*innen der Ampel, selbst der Bundeskanzler.
Es macht mir Hoffnung, dass nun Tausende auf die Straße gehen. Dennoch fehlte die Empörungswelle, als die Ampel im vergangenen Jahr der massiven Entrechtung Geflüchteter an den EU-Außengrenzen zugestimmt hat. Als der Kanzler erklärt hat, Deutschland müsse endlich mehr abschieben. Als CDU-Chef Friedrich Merz sagte, nicht Kreuzberg sei Deutschland, sondern Gillamoos. Jedes dieser Ereignisse sorgte dafür, dass der rechte Diskurs von der AfD weiter in die Mitte wandert. Es ist längst an der Zeit für einen starken Schulterschluss gegen rechts. Aber es reicht nicht, nur gegen die AfD zu sein. Solche rassistischen Pläne müssen strukturell bekämpft werden, auf allen politischen Ebenen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau
Flugzeugabsturz in Kasachstan
War Russland schuld?