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Urteil zu Räumungen im Hambi„Ein Schlag in die Magengrube“

2018 beendete die Polizei die Besetzung des Hambacher Walds mit der Begründung mangelnden Brandschutzes. Das war vorgeschoben, sagt ein Gericht jetzt.

Die Räumung im Hambacher Forst war rechtswidrig Foto: Michael Trammer/imago

Aachen taz | Die Räumung der Baumhäuser im Hambacher Forst im Herbst 2018 war rechtswidrig. Das entschied das Verwaltungsgericht Köln am Mittwochnachmittag. Ein einstiger Baumhausbewohner hatte geklagt. Das Gericht stellte fest, die damals als Begründung genannten Brandschutzbestimmungen seien nur vorgeschoben gewesen. Letztlich habe die Aktion nur dazu gedient, Braunkohlegegner aus dem Wald zu entfernen. So konnte der Energiekonzern RWE die geplanten Rodungen für seinen Braunkohleabbau ab Oktober besser vorbereiten. Dies allein sei aber kein Grund, einen öffentlichen Wald zu räumen.

Rückblende: Die NRW-Landesregierung hatte im Sommer 2018 Begründungen gesucht, wie sie die WaldbesetzerInnen loswerden könnte, die teils seit Jahren dort lebten. Im September wies sie die Stadt Kerpen und den Kreis Düren, denen der Wald je etwa zur Hälfte gehört, an, die gut hundert Baumhäuser zu räumen: Baumhäuser seien auch Häuser und könnten brennen, deshalb müssten sie den Brandschutzanforderungen genügen.

Es folgte der teuerste Polizeieinsatz des Landes NRW mit mindestens 30 Millionen Euro Kosten. Ein junger Mann stürzte während der Räumungen in den Tod. Und kaum war der Wald brandschutzgerecht leer, verhängte das Oberverwaltungsgericht Münster einen Rodungsstopp, der bis heute gilt. Der Wald scheint gerettet.

„Klatsche für die Landesregierung“

In der Widerstandsszene schlug die Meldung vom Urteil bombengleich ein. Umweltpädagoge Michael Zobel, der seit 2014 mit über 70.000 Menschen bei seinen Sonntagsspaziergängen im Hambacher Wald war, nennt das Urteil eine „Klatsche für die Landesregierung: Ministerpräsident Armin Laschet vorneweg, aber auch Innenminister Herbert Reul und Frau Scharrenbach“ (alle CDU). Bauministerin Ina Scharrenbach hatte damals die Brandschutzidee entwickelt. Die Polizei leistete Vollzugshilfe.

Dass der Brandschutz vorgeschoben war, wussten alle, sagt Zobel, spätestens nachdem ein Video mit Laschet („Ich brauchte doch einen Vorwand“) geleakt worden war. Zobel: „Die Politik kriegt nichts geregelt, ständig müssen Gerichte das korrigieren, was die selbstherrliche NRWE-Landesregierung anstellt.“ Erst vor zwei Wochen habe sie den rechtswidrigen Bebauungsplan des Steinkohlekraftwerks Datteln 4 „um die Ohren bekommen und jetzt dieser Schlag in die Magengrube“. Ein Treffer nach dem anderen: „Ich frage mich, wann der k.o. kommt.“

„Zufälliger Zeitpunkt“

Zobel sagt, er teile „die klammheimliche Freude“ vieler, „aber eigentlich ist die Freude weder klamm noch heimlich, sondern eine, die ich gerne offen zeige“. Am Sonntag macht er seinen 89. Waldspaziergang, „die Gerichtsentscheidung wird sicher ein herausragendes Thema werden“.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Die beklagte Stadt Kerpen könnte vor dem Oberverwaltungsgericht Münster in Berufung gehen. „Unmittelbare praktische Folgen“, so Gerichtssprecher Michael Ott, habe das Urteil eh nicht, außer dass die Stadt Kerpen keine Kosten eintreiben könnte. Dass diese sehr politische Entscheidung gerade jetzt gefallen ist, sei „zufällig, den langfristigen Terminkalendern der Richter geschuldet und ohne jede Absicht so kurz vor der Bundestagswahl“.

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16 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Die CDU/CSU wird immer offener zu einer Partei, die die Verteilung der Pfründe in diesem Lande absichert und dabei auch vor Tricksereien und offenem Rechtsbruch nicht zurückschreckt.Man muss die illegale Räumung des Hambacher Forstes mit dem Agieren der bayrischen Polizei im Umfeld der IAA zusammendenken.



    Wer die noch wählt, ist nicht mehr zu retten.

  • "Dass der Brandschutz vorgeschoben war, wussten alle, sagt Zobel, spätestens nachdem ein Video mit Laschet („Ich brauchte doch einen Vorwand“) geleakt worden war."



    Na, Moment mal: Brandschutz für einen Wald, den man zu roden vorhat, halte ich für eine hoch glaubwürdige Simulation deutschen Bürokratentums. Das traut man seinen lokalen Ämtern mit anderen Dingen genau so auch zu. ;)

  • Keine rechtlichen Konsequenzen?



    Was ist eigentlich aus der RAF geworden?

  • Bernd Müllender , Autor des Artikels,

    Jede und jeder der WaldbewohnerInnen 2018 kann jederzeit auf Schadenersatz klagen, der Kläger des VG Köln und auch alle anderen Betroffenen. Dieses Urteil im Rücken erhöht die Chancen mutmaßlich deutlich. Ginge dann indes nicht vor dem VG, sondern in Zivilverfahren vor Amts- oder Landgerichten.

    • @Bernd Müllender:

      Schonn. Wenn das mit der staatlichen Haftung nur nicht so kompliziert wäre.

      unterm——- servíce —-



      Zu meinen Studi-Zeiten gab‘s den Versuch ein einheitliches weitreichendes Staatshaftungsrecht - was den Namen verdiente - zu schaffen.



      Weg von Verschuldensprinzip - rechtswidrig reicht. Gescheitert.



      de.wikipedia.org/w...echt_(Deutschland)



      Btw andere Länder sind da noch weit rigoroser.



      Erinner Straßburg: Bombendrohung => eine Ds 21 in der Nähe geparkt: Halter mit Maghreb-Namen => weggesprengt!



      Sah keinen Centime!

      So geht das

  • Unter einem vorwand lassen Laschet und sein innenminister Reul tausende polizisten aus ganz deutschland aufmarschieren. In den wochen der räumung leisten die beamten insgesamt rund eine million arbeitsstunden. Der nrw-ministerpräsident und möchtegernkanzler und seine erfüllungsgehilfen im bauministerium, dem innenministerium und der polizeiführung hetzen polizeibeamte und demonstrierende aufeinander. Was macht das mit den bürgern auf beiden seiten wenn sie nicht auf die rechtmäßigkeit polizeilichen handelns vertrauen können? Gab es einwände von der polizeiführung? Was fühlen die eingesetzten beamten wenn sie heute wissen rechtswidrige polizeiliche maßnahmen durchgeführt zu haben?

    Die cdu und rwe haben sich an der freiheitlichen demokratischen grundordnung vergangen. Im hambacher forst wie auch beim schwarzbau datteln IV. Wenn repräsentanten unseres staates keinen respekt vor den gesetzen unseres landes haben, was unterscheidet einen ArminLaschet dann noch von einem Viktor Orbán, einem Recep Tayyip Erdoğan, einem Aljaksandr Lukaschenka?

    • @hinnerk untiedt:

      Laschet mit solchen Autokraten gleichzusetzen ist albern.

      • @Reinhard Roller:

        Alle vier der Genannten betreiben munter Rechtsbeugung, da nehmen sie sich nichts.

        Oder wie würden Sie das nennen?

      • 9G
        95820 (Profil gelöscht)
        @Reinhard Roller:

        "was unterscheidet einen ArminLaschet dann noch von einem Viktor Orbán, einem Recep Tayyip Erdoğan, einem Aljaksandr Lukaschenka?"



        Eine rhetorische Frage ist keine Gleichsetzung...



        Aber Sie haben Recht. Laschet und Reul würden niemals mit groben Polizeimethoden einen Wald räumen lassen. Die bringen ganz subtil den "Brandschutz" ins Spiel.

      • @Reinhard Roller:

        Wer vorsätzlich Recht beugt, bricht oder umgeht muss sich Vergleiche mit diesen Tätern schon gefallen lassen.

  • "Das war vorgeschoben, sagt ein Gericht jetzt."

    Ist doch jetzt scheißegal...



    Das nächste mal macht man es wieder genau so... erst handeln und dann darf 3 Jahre Später so n Laienrichter n Spruch ablassen im Namen des Volkes, zum Wohle der Demokratie.

    Müssen die Verantwortlichen, Ministerpräsident, Innenminister, Polizeichef,... irgendwas befürchten? Eher nicht. Also warum sollte man das nächste mal irgend was anders machen?

  • Na hörnmer doch bei meinen früheren Kollegen mal rein - wa.

    “… Der Kläger war damals Bewohner einer der Anlagen im Hambacher Forst und hält die Zerstörung seiner Wohnung für rechtswidrig.

    Dem ist das Gericht im Ergebnis gefolgt. Zur Begründung führte es aus, die Maßnahme leide an verschiedenen rechtlichen Mängeln. Vor allem sei aus der Weisung des Ministeriums erkennbar, dass die Räumungsaktion letztlich der Entfernung der Braunkohlegegner aus dem Hambacher Forst gedient habe. Das aber sei nicht Zweck der angewandten baurechtlichen Regelungen zum Brandschutz, die insofern nur vorgeschoben worden seien. Überdies sei schon die Bezeichnung der zu beseitigenden Anlagen als „Baumhäuser“ unbestimmt, da eine Vielzahl unterschiedlicher Anlagen geräumt und beseitigt worden seien. Zudem sei vor Erteilung der Weisung nicht hinreichend geprüft worden, welche der Anlagen bauliche Anlagen im Rechtssinn seien und damit überhaupt von den Bestimmungen des Brandschutzes erfasst würden.

    Gegen das Urteil können die Beteiligten einen Antrag auf Zulassung der Berufung stellen, über den das Oberverwaltungsgericht in Münster entscheiden würde.“ Az.: 23 K 7046/18



    www.vg-koeln.nrw.d...21_09_08/index.php

    kurz - Sauber. Viel vernichtender geht’s nicht • => Die Exekutive hat mit geltendem Recht - “Fußball gespielt!“



    Erbärmlich! & Sojet wie Laschie de Ocher Prent - will Kanzlerkandidat sein!



    Nich to glöben un rein tonn katolsch warrn! - 🤢🤮🤑 - Bruch des Amtseides!



    & => Ooch wieder klar =€



    (ps ein Antrag auf Zulassung der Berufung - sofern überhaupt gestellt - dürfte ersichtlich keine Aussicht auf Erfolg haben!)

    Soweit mal

    • @Lowandorder:

      Können dann jetzt alle geschädigten Schadenersatz bekommen?



      Sachbeschädigung und möglicherweise Körperverletzung?



      Oder seelische Schäden (posttraumatische Belastungsstörungen, PTBS) durch ungerechtfertigtes staatliches Handeln könnten auch Körperverletzung und anerkennungsfähig sein.

      Da wird sich dann wieder das Verwaltungsgericht drum kümmern müssen.

      • @Friderike Graebert:

        Tja. Also was der Jungspund von Pressesprecher da verlautbart hat - ts ts.



        Für die Verwaltungsgerichte mag das zutreffen. Die wären insoweit zu Ihrem auch nicht zuständig & allein daraus ergibt sich (zunächst mal) nichts weiteres. Auch & gerade nicht im allgemeinen. But.

        Im übrigen - kenn mich im Haftungsrecht nicht so aus - müßte sich mal ein kundiger Anwalt dransetzen.



        Ob sich das lohnt - ist eine andere Frage.

  • Wo waren die Parlamentarier?



    Ach, ja, die waren ja dafür. Und haben den Kohleausstieg noch mal um 18 Jahre verschoben.



    Auch von den Grünen sieht man nix mehr auf der Straße.



    (Es gibt Gründe, warum sie sich das auch nicht mehr trauen sollten)

  • Laschet... Laschet... so heist doch auch einer, der Bundeskanzler werden will. Ist das Zufall?

    ;-P