Unterbundene Buchdiskussion in Israel: Gedankenpolizei am Werk
Die umstrittene Buchdiskussion in Tel Aviv ist abgesagt worden – nach staatlicher Intervention. Das ist der eigentliche Skandal.
D ie Buchdiskussion, die das Goethe-Institut und die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Israel geplant hatten, ist bis auf Weiteres abgesagt. Man muss sich das vor Augen führen: Hier wird – nach staatlicher Intervention seitens der israelischen Regierung und anderer Akteure in Deutschland – gezielt eine Diskussion über ein kritisches Buch unterbunden.
Dies ist der eigentliche Skandal. Denn niemand dürfte wirklich wie behauptet im Sinn gehabt haben, auf der Veranstaltung den Holocaust mit der Nakba, also der Flucht und Vertreibung von Araber*innen aus Palästina, zu vergleichen oder gar gleichzusetzen.
Das Buch der Autorin Charlotte Wiedemann ist keine Hetzschrift, sondern der Versuch, eine differenzierte Debatte über Erinnerungskultur zu führen. Dabei macht sie sich – übrigens eher am Rande – auch Gedanken über den Nahostkonflikt und die Position von Deutsch-Palästinenser*innen in einer Gedenkkultur, in der der nationalsozialistische Judenmord zu Recht eine zentrale Stellung einnimmt.
Doch die Frage, wie sich Gedenkkulturen Erfahrungen von Menschen öffnen können, die in ihrem Gepäck das Erbe kolonialer Gräueltaten oder auch das der Vertreibung aus Palästina tragen, hat Kräfte auf den Plan gerufen, die eben jenen Stimmen keinen Platz einräumen wollen. Wessen Großeltern einst aus Haifa, Jaffa oder Deir Jassin vertrieben wurden, möge weiter schweigen!
Der ursprüngliche Termin der Podiumsdiskussion, der Jahrestag der Novemberpogrome, war unklug gewählt. Allerdings gilt auch hier: Es sollte um das komplexe Thema Erinnerungskulturen gehen. An keiner Stelle sollte die Nakba mit dem Holocaust gleichgesetzt werden. Wer das behauptet, verkürzt die Debatte bewusst, um andere zum Schweigen zu bringen. Es ist kein Zufall, dass die Bild-Zeitung eine angebliche „Holocaust-Verharmlosung“ skandalisierte, aber den Gegenstand der Debatte, das Buch, mit nicht einem einzigen Wort erwähnte.
Festzuhalten bleibt: Es ging um den Inhalt, nicht um das Datum. Gemeinsam haben israelische Regierung, Bild-Zeitung, die Deutsch-Israelische Gesellschaft und einzelne Politiker*innen wie der FDP-Abgeordnete Frank Müller-Rosentritt wichtige Stimmen in den Debatten über deutsche Erinnerungskultur und den Israel-Palästina-Konflikt unterdrückt. Das ist besorgniserregend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Mehr Zugverkehr wagen
Holt endlich den Fernverkehr ins Deutschlandticket!
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Stromspeicher für Erneuerbare Energien
Deutschland sucht die neue Superbatterie
Jette Nietzard gibt sich kämpferisch
„Die Grüne Jugend wird auf die Barrikaden gehen“