Ungarns geplantes LGBTQ-Referendum: Orbán hat das Ohr am Volk
Die Ungar*innen sollen sich per Plebiszit zu den LGBTQ-feindlichen Gesetzen äußern. Es wird als Antwort auf den EU-Widerstand verkauft.
Das Vorhaben ist Ministerpräsident Viktor Orbán und seiner Regierung so wichtig, dass am Mittwoch dafür sogar eigens Gesetze geändert wurden. Derzeit herrscht in Ungarn immer noch ein coronabedingter Ausnahmezustand und Referenden sind verboten. Doch das gilt jetzt nicht mehr.
Im Juli war ein Gesetz in Kraft getreten, wonach Minderjährige keinen Zugang mehr zu Informationen über Homosexualität, Transsexualität und Geschlechtsumwandlungen erhalten dürfen. So sind in Lehrplänen, Filmen und Werbung, die für Menschen unter 18 zugänglich sind, nur noch Darstellungen heterosexueller Lebensweisen gestattet.
Das Referendum sei nötig, um dem heftigen Widerstand gegen die Maßnahmen der EU entgegenzutreten, erklärte Ministerpräsident Viktor Orbán am Mittwoch in einem auf Facebook geposteten Video. Die EU habe ihre Macht missbraucht, indem sie wegen des Gesetzes rechtliche Schritte gegen Ungarn einleitete, erklärte er. „Wenn der Druck auf unser Heimatland so stark ist, kann nur der gemeinsame Wille des Volkes Ungarn verteidigen.“
Post an alle Haushalte
Unter dem Namen „nationale Konsultation“ läuft bereits seit mehreren Wochen eine Volksbefragung. Zu diesem Zweck hat die Regierung an alle acht Millionen Wahlberechtigten einen Fragebogen verschickt. „Die NGOs von George Soros attackieren Ungarn wegen des Kinderschutzgesetzes. Wir wollen aber keine sexuelle Propaganda in unseres Kitas und Schulen. Was meinen sie?“, lautet eine der Fragen, die als verkappte Antworten daherkommen.
Unterdessen wollte sich die EU-Kommission zu dem Referendum nicht äußern. Ein Sprecher verwies auf Nachfrage der taz auf ein Vertragsverletzungsverfahren, das die Brüsseler Behörde in der vergangenen Woche wegen des LGBTQ-Gesetzes eingeleitet hatte. Kommissionschefin Ursula von der Leyen begründete das EU-Verfahren damit, dass niemand wegen seiner sexuellen Orientierung diskriminiert werden dürfe.
„Europa wird es nie zulassen, dass Teile seiner Gesellschaft stigmatisiert werden: wegen der Person, die sie lieben, wegen ihres Alters, wegen ihrer politischen Meinungen oder wegen ihrer religiösen Überzeugungen“, sagte die CDU-Politikerin. Die Kommission werde „alle ihr zur Verfügung stehenden Instrumente einsetzen“, um die Gleichheit und die Achtung der Würde zu verteidigen.
Allerdings wählte von der Leyen eine vergleichsweise stumpfe Waffe. Ein Vertragsverletzungsverfahren kann zwar zu Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof führen und Geldstrafen nach sich ziehen. Zunächst hat die Regierung in Budapest aber zwei Monate Zeit, um sich zu dem EU-Verfahren zu äußern. Bis dahin passiert gar nichts. Auch bis zur Klage würde noch einmal einige Zeit vergehen.
Weitere Verstöße
Das Europaparlament hatte nach dem Inkrafttreten des umstrittenen LGBTQ-Gesetzes gefordert, sofort Finanzhilfen für Ungarn aus dem EU-Budget zu kürzen. Von der Leyen will diese neue Möglichkeit aber erst im Herbst anwenden. Die Diskriminierung von LBGTQ-Menschen sei per se kein Grund für Kürzungen, heißt es in Brüssel. Diese seien nur möglich, wenn das EU-Budget gefährdet wäre.
Immerhin hat die EU-Kommission im aktuellen, am Dienstag vorgestellten Rechtsstaatsbericht weitere Verstöße Ungarns gegen die EU-Werte dokumentiert. Dieser Bericht könnte im Herbst als Grundlage für Finanzsanktionen dienen. Zum Schwur dürfte es aber erst im September oder Oktober kommen. Die Wartezeit will Premier Viktor Orbán offenbar nutzen, um die EU vorzuführen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut