Umweltbelastung durch Nitrat: Wasserverschmutzung? Wir doch nicht
Woher kommt das Nitrat im Grundwasser? Ein Teil der Landwirte sieht Kläranlagen als Hauptverursacher. Experten sagen etwas anderes.
Anders als viele Bauern behaupten, sind Abwässer nur den kleineren Teil der Wasserverschmutzung mit dem potenziell gesundheitsschädlichen Nitrat verantwortlich. „Schätzungen zufolge liegt der Anteil von Kläranlagen und undichten Abwasserkanälen an den Nitrat-Emissionen bei lediglich 22 Prozent“, sagte Antje Ullrich, Wasserexpertin des Umweltbundesamts, der taz.
Der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz bestätigte diese Tendenz für das Bundesland mit den meisten Nutztieren.
Die Stickstoffverbindung Nitrat etwa aus Düngern wie Gülle oder indirekt aus menschlichen Exkrementen belastet das Grundwasser, aus dem das meiste Trinkwasser gewonnen wird. In der Umwelt trägt zu viel Dünger zum Aussterben von Pflanzen- und Tierarten sowie zum Klimawandel bei. Zudem droht Deutschland eine hohe Geldstrafe der EU, weil die Nitratgrenzwerte immer wieder überschritten werden. Deshalb plant die Bundesregierung, die Düngung vor allem in besonders belasteten Gebieten stärker zu begrenzen.
Auch dagegen demonstrierten vor kurzem zehntausende Bauern in mehreren Großstädten. Denn weniger Dünger bedeutet oft auch kleinere Ernten und höhere Kosten, um die Gülle anderweitig zu entsorgen. Deshalb rief die Bewegung hinter den Bauerndemos, „Land schafft Verbindung“, dazu auf, eine Petition gegen die Belastung von Wasser durch Kläranlagen und Kanalisationen zu unterzeichnen.
Mehr als 11.000 Menschen unterschrieben den Text. In Interviews kontern Vertreter der Bewegung Vorwürfe gegen die Landwirtschaft gern mit dem Hinweis auf die Stickstoffquellen in Haushalten und Industrie. Auch der Bauernverband Schleswig-Holstein zum Beispiel suggeriert etwa durch Beiträge auf Internetseiten wie Facebook, dass die Abwässer mindestens genauso umweltschädlich seien wie die Emissionen durch Dünger.
Petition will Landwirtschaft entlasten
Die Petition an den Deutschen Bundestag fordert, dass Hausabwässer „nicht länger ungeklärt in Gewässer eingeleitet werden dürfen.“ Bei „Regenereignissen“ würden Abwässer aus Mischwasserkanälen für Niederschläge und Haushaltsabwasser „unkontrolliert in die Bäche abgegeben“. In dem Text der Petition heißt es darüber hinaus, dass viele Kanäle „marode“ seien.
„Bisher schien es politischer Konsens, dass für die Nährstofffrachten sowie alle ungewünschten Stoffe in den Flüssen ausschließlich die Landwirtschaft verantwortlich sei“, heißt es in der Petition. „Diese Darstellung ist nun unhaltbar.“ Auch weil das Düngerecht wieder verschärft werden solle, müsse „die eingeleitete Nährstofffracht ermittelt“ und politisch „bewertet“ werden.
Für Martin Weyand, Hauptgeschäftsführer Wasser und Abwasser beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) ist die Petition „fehlgeleitet“: „In der Wissenschaft werden alle Quellen der Nitratbelastungen aufgeführt. Von einseitigen Darstellungen kann deshalb keine Rede sein“, sagte er der taz. Die Abwasserverordnung solle die Oberflächengewässer ausdrücklich vor Einträgen beispielsweise aus Haushalten schützen.
Allerdings gelten die Bauern als Hauptverursacher. „Mehr als 50 Prozent der reaktiven Stickstoffverbindungen gelangen in Deutschland über die Landwirtschaft in die Umwelt“, schreibt das Umweltbundesamt. Industrie, Verkehr und private Haushalte verursachten also weniger Ausstoß.
Der Beitrag der Landwirtschaft
„Insgesamt rund 75 Prozent der Stickstoffeinträge in die Oberflächengewässer sind landwirtschaftlich beeinflussten Eintragspfaden zuzuordnen“, sagt Ullrich. Nur etwa 2 Prozent kämen daher, dass Mischwasserkanäle überlaufen. Weitere 2 Prozent stammten aus Regenwasser, das direkt beispielsweise in Flüsse eingeleitet wird. Kleine Kläranlagen für weniger als 50 Einwohner sind laut Umweltbundesamt lediglich für 1 Prozent der Stickstoffeinträge in Oberflächengewässer verantwortlich.
Im Grundwasser kommen 88 Prozent des Nitrats von Landwirtschaftsflächen unterhalb der Wurzelzone, wie das Umweltbundesamt der taz mitteilt. Es beruft sich auf eine Studie, die es demnächst offiziell veröffentlichen will. „Die Mengen aus Abwasserkanälen sind sicher geringer als die aus der Landwirtschaft“, sagt auch Frank Brauer, Abwasserexperte des Umweltbundesamts.
Wenn hauptsächlich Lecks in Abwasserkanälen das Grundwasser belasten würden, müsste unter Siedlungen besonders viel Nitrat gemessen werden. Doch laut Umweltbundesamt wird der Schwellenwert von 50 Milligramm pro Liter nur an 6 Prozent der Messstellen überschritten. Satte 33 Prozent sind es in Regionen, in denen vorwiegend Ackerflächen oder Sonderkulturen sind.
„Grundsätzlich ist es richtig, dass die Landwirte nicht allein für die Nitratbelastungen verantwortlich sind“, teilt Niedersachsens Wasserwirtschaftsamt mit. „Sie sind es aber überwiegend, da Kläranlageneinleitungen, auch Punktquellen genannt, in Niedersachsen lediglich 3 Prozent der Gesamtstickstoffeinträge beziehungsweise 11 Prozent der Phosphoreinträge in die Oberflächengewässer ausmachen.“
Der Anteil von Regenwasserüberläufen bei der Mischwasserkanalisation sei noch deutlich geringer als der aus Kläranlageneinleitungen. Stickstoffeinträge „aus urbanen Systemen“ in das Grundwasser, zum Beispiel über undichte Kanalisationen „sind aber gegenüber einem Stickstoffüberschuss aus der Landwirtschaft unbedeutend/vernachlässigbar“.
EU-Nitratrichtlinie verletzt
„Das ist der Versuch einiger Vertreter der Landwirtschaft, von ihren eigenen Problemen abzulenken“, sagt deshalb Wasserwerke-Vertreter Weyand über die Petition. „In der Landwirtschaft wird die EU-Nitratrichtlinie mit dem Grenzwert von 50 Milligramm in den besonders belasteten ‚roten‘ Gebieten nicht eingehalten. Wir halten aber alle Werte der kommunalen Abwasserrichtlinie und der Abwasserverordnung ein.“ Die Einträge aus dem Abwasser seien durch die Einführung der dritten Reinigungsstufe in Klärwerken deutlich zurückgegangen.
Wie findet Weyand, dass nach seinen Worten „abseitige, wissenschaftlich nicht belegbare Behauptungen“ über die Ursachen der Nitratbelastung auch von Institutionen wie Bauernverbänden verbreitet werden? „Es gibt ja Ausarbeitungen, die von den zuständigen Behörden und Stellen gemacht werden“, antwortet der Funktionär. Die sollten endlich alle zur Kenntnis nehmen.
Der Name des Hauptpetenten ist öffentlich nicht einsehbar. Eine Bitte der taz um Kontaktaufnahme über das Sekretariat des Bundestags-Petitionausschusses war erfolglos.
„Die Nährstofffeinträge von Kläranlagen in Oberflächengewässer sind zweifelsfrei gegeben und in ihrer Höhe nicht qualifiziert“, teilte Dirk Andresen, Sprecher von „Land schafft Verbindung“ der taz mit. Darauf wolle die Bewegung hinweisen. Diese Emissionen müssten auch berücksichtigt werden. „Klar ist auch, dass der Beitrag aus Abwässern im Vergleich zum Beitrag der Landwirtschaft deutlich geringer ausfällt“, räumte Kirsten Hess, Pressesprecherin des Bauernverbands Schleswig-Holstein gegenüber der taz ein. „Aber in der öffentlichen Diskussion wurde dieser Beitrag bisher nicht entsprechend berücksichtigt. Uns ging es darum, auf diese Schieflage hinzuweisen“, so Hess: „Wir wollten damit nicht vom anteiligen Beitrag der Landwirtschaft an diesem Problem ablenken“.
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