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Umstrittene Passagen bei TTIPKeine Paralleljustiz für Konzerne

Teil des TTIP-Abkommens sollten Sondergerichte für Konzerne sein, um deren Profite zu schützen. Das wollen die EU-Sozialdemokraten verhindern.

Hält sie das Versprechen? Die SPD im Europa-Wahlkampf Bild: dpa

BERLIN taz | Der Widerstand der Anti-TTIP-Aktivisten hat Erfolg: Die geplanten Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada, TTIP und Ceta, werden in wesentlichen Teilen scheitern. Denn die Sozialdemokraten im Europaparlament haben sich kompromisslos darauf festgelegt, dass sie kein Abkommen ratifizieren, das die umstrittenen Klauseln zum Investitionsschutz enthält. „Das ist die rote Linie“, sagt der SPD-Europa-Abgeordnete Bernd Lange. „Und ohne die Sozialdemokraten gibt es keine Mehrheit für die Freihandelsabkommen.“

Lange hat Einfluss auch über die Sozialdemokraten hinaus: Er ist in dieser Woche zum laufenden Berichterstatter des Europäischen Parlaments für TTIP ernannt worden.

Der Widerstand der Europäer ist auch bei den Amerikanern angekommen. Inoffiziell haben sie längst Zweifel, ob sie den Investorenschutz verankern können. „Das wird nichts“, bestätigen US-Verhandlungskreise.

Der Investorenschutz ist umstritten, weil er eine Paralleljustiz etablieren würde: Amerikanische und kanadische Konzerne hätten die Möglichkeit, vor internationalen Schiedsgerichten gegen EU-Länder zu klagen, wann immer die Firmen ihre „legitimen Erwartungen“ auf Profit geschmälert sehen.

Nachverhandlungen bei Ceta

Über das Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) wird noch mindestens ein Jahr lang verhandelt, der Entwurf für den Vertrag mit Kanada (Ceta) ist bereits fertig. Er soll auf einem kanadisch-europäischen Gipfel in Ottawa am 26. September offiziell präsentiert werden.

Trotzdem kündigt Lange an, „dass das EU-Parlament Ceta nachverhandeln wird“, um den Investorenschutz wieder zu entfernen. Damit interpretiert Lange die Macht der Abgeordneten sehr großzügig, denn der Lissaboner Vertrag sieht nicht vor, dass das EU-Parlament bei Freihandelsabkommen mitwirken darf. Es ratifiziert nur die fertigen Verträge – stimmt also zu oder lehnt ab.

Aber von diesen Vorschriften lässt sich Lange nicht beirren. „Die Kommission will bestimmt kein zweites Acta erleben“, droht er unverblümt. Das multinationale Anti-Piraterie-Abkommen war 2012 mit breiter Mehrheit vom EU-Parlament abgelehnt worden.

Die EU-Kommission ist den Kritikern bereits entgegengekommen. Sie hat davon abgesehen, Ceta zu paraphieren. Die Paraphierung ist ein symbolischer Akt, bei dem jede einzelne Seite von den Verhandlungsführern unterzeichnet wird, um zu signalisieren, dass es sich um das endgültige Dokument handelt.

Grüne zweifeln an SPD-Geschlossenheit

„Indem sie auf eine Paraphierung verzichtet hat, macht die EU-Kommission deutlich, dass sie mit Nachverhandlungen rechnet“, sagt Lange. „Jetzt haben wir acht Monate Zeit.“ So lange dauert es, bis der Vertragstext übersetzt und sprachjuristisch geprüft ist. In dieser Zeit möchte Lange Ceta auf die unproblematischen Teile reduzieren – wie den Abbau der Handelshemmnisse in der Automobilindustrie.

Der grüne Europa-Abgeordnete Sven Giegold freut sich, dass von Lange „jetzt zitierfähige Aussagen kommen, die so hart sind“. Allerdings ist Giegold unsicher, ob Lange tatsächlich die Mehrheit der europäischen Sozialdemokraten hinter sich hat. „Die Fraktion ist oft gespalten.“

Zudem sieht Giegold „internen Gesprächsbedarf bei der SPD“, weil sich der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel keineswegs so deutlich äußert wie seine Basis. Lange kann diese Differenz nicht erkennen: „Die europäischen und deutschen Sozialdemokraten sind gegen den Investorenschutz.“

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21 Kommentare

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  • @NOEVIL

     

    PS – Silvano Moeckli gelesen? Es gibt auch mehr, wie z.B.:

     

    "Demokratie – Staatsform, in welcher das "Volk" (griech. demos)... die Gesamtheit... nicht ein Einzelner oder eine kleine Gruppe Mächtiger, die Staatsgewalt innehat...

    ...die moderne Demokratie, die sich [in CH] nach der Amerikanischen und Französischen Revolution durchzusetzen begann, gewährte die Politischen Rechte als [Folge und Bestandteil] der Menschenrechte, deren Garantie eine der Hauptaufgaben des demokratischen Staates wurde..."

    –Georg Kreis, Andreas Suter, hls-dhs-dss.ch/textes/d/D9926.php, dhs.ch > Demokratie und dort u.a. auch Direkte Demokratie => Politische Rechte

    • @vjr:

      Corrigendum:

       

      soll heissen: ...[später in CH]...

      statt: ...[in CH]...

  • @NOEVIL

     

    Interessant, danke! Klar, Herr Gabriel ist ja der Kollege von Frau Merkel (CDU/SPD). Übrigens - Koali-/Opposition gibt es bei uns auch nicht mehr, seit 1919, zu dumm ja, die Leute auszuschliessen.

     

    Was die Protestparteien – AfD, DieLinke, NPD etc. – betrifft, kann ich mir vorstellen, dass sie sich in einer echt partizipativen Gesellschaft so gut wie am Rande bewegen würden, wenn es sie dann noch gibt. Heisst ja auch "From protests to participation", die Entwicklung zu mehr, und dann zur echten, Demokratie.

     

    Zum Thema Hüten des Volkes, das man schützen muss, indem man den "grossen Lümmel" draussen vor hält... Da habe ich mein kafkaeskes Schockerlebnis anlässlich einer Veranstaltung der SPD-Stiftung in Berlin schriftlich verarbeiten "müssen", als: "Angst vor dem deutschen Volke? ...aus 'Dem Deutschen Volke' kann ja ein durch und durch konstruktives 'Durch den Willen des Volkes' werden", zu lesen auf: http://vjrott.com/de/131122.html

     

    Die ECI/EBI ist eine sehr gute Leistung – und die Geschichte lesenswert, wie sie die damals jungen Deutschen in den EU Konvent eingebracht haben, obwohl sie drin nichts zu suchen hätten (s.a.o. "draussen vor"), und in den Entwurf der EU Verfassung, folglich in den Lissabonner Vertrag: "A rollercoaster ride towards democracy", zu lesen auf: http://democracy-international.org/rollercoaster-ride-towards-democracy

     

    Und ja, bleiben sie dran, an den Mächtigen der EU und in ihrem Land. So lange bis sie zu Menschen werden, die für Menschen arbeiten. Und mit ihnen.

  • Die einzige Partei, die TTIP und CETA gänzlich verhindern wollen, ist DIE LINKE. Alles andere ist widerwärtiges geheuchele, besonders von der SPD. Und dier SPD-Basis? Wer einen (GROKO) Koalitons-sozialsystemzerstörungs-Vertrag mit der "Christlichen" Union schließt, hat jegliche Glaubwürdigkeit verloren. Ich hoffe auf die Wahlen in 2017!

  • Wäre gut, wenn sich das EU Parlament die Kompetenzen einfach nimmt und sich der Sache annehmen würde, sie gründlich ausdiskutiert, und die EUropäischen Schlüsse zieht – für die Menschen. Auch wenn noch nicht so ganz mit ihnen.

     

    Denn eben gestern Abend hat mich die Nachricht erreicht, dass "Barosso II"*) den Antrag zur Genehmigung der Unterschriftensammlung unter die Europäische Bürgerinitiative "StopTTIP" nicht genehmigt hat.**)

     

    Ich, im und von südlich des Rheins:-) staune – wieso muss man eine Unterschriftensammlung, eine Volksinitiative genehmigen lassen?

     

    Als ich die Nachricht weiter las, bekam ich ich den Eindruck, dass "Barroso II" die – ihr zur Genehmingung vorgelegte – Sache nicht genehm ist und sie sie somit nicht behandeln wünscht. Ich meine, es sieht hier – im Prinzip und in der Substanz – durchaus als einer ins "Rechtliche" eingepackte "Obrigkeitsentscheid".

     

    Warum sollen die Menschen in EUropa an ihren gemeinsamen Dingen nicht teilhaben sollen? Sie mitgestalen? Über das Gemeinsame mitentscheiden, die Verantwortung mittragen? Dabei auch irren können, und aus ihren Irrtümmern den Weg suchen? Und finden? Und daraus lernen?

     

    PS – so läuft's bei uns, hier***) kann man nachlesen "...die Art und Weise, in der politische Akteure kommunizieren und Einfluss ausüben, um zu verbindlichen kollektiven Entscheidungen zu gelangen..."

     

    _________

     

    * die EU Kommission:-)

     

    **) StopTTIP, 11.9.14: "Europäische Kommission will Bürgereinfluss bei TTIP und CETA ausschalten – Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP abgelehnt / Bündnis kündigt Widerstand an" – http://stop-ttip.org/europaeische-kommission-will-buergereinfluss-bei-ttip-und-ceta-ausschalten

     

    ***) Silvano Moeckli (Uni St. Gallen): "Politische Willensbildung" – http://hls-dhs-dss.ch//textes/d/D17367.php, oder im "Historischen Lexikon der Schweiz" suchen: http://dhs.ch > Politische Willensbildung

    • @vjr:

      Sigmar Gabriel ist deutscher Wirtschaftsminister, aber er steht nicht für die EU.

       

      Herr Lange darf sich sicher sein, dass wir CETA und TTIP im Auge behalten - nicht nur bis zur Ratifizierung - auch darüber hinaus - auch TISA - und ganz sicher nicht blauäugig. So sollte sich auch Herr Lange nicht präsentieren. Sonst verliert er ziemlich schnell seine Glaubwürdigkeit.

       

      Wir werden sehen, wie es sich weiter entwickelt. Sollte die von Ihnen (VJR) beschriebene Behandlung von Bürgerentscheiden und Unterschriftenaktionen ignoriert werden, würde das bei Bekanntwerden ziemlich sicher eine nachhaltige Erosion der EU-Zustimmung zu Folge haben und der AFD einen ungeheuren Zulauf verschaffen. Deutschland als eines der Ur-EU-Länder könnte bröckeln - nicht vom Rand sondern von seiner demokratischen Mitte her. Wer das für schlicht undenkbar hält, der hat wahrscheinlich 1989 auch nicht an den Mauerfall geglaubt.

       

      Also erst mal abwarten und die Aktionen weiter unterstützen.

      • @noevil:

        "Sigmar Gabriel ist deutscher Wirtschaftsminister, aber er steht nicht für die EU."

         

        Klar, aber die Entscheide – auch "seine" – fallen ja in der EU.

  • Natürlich ist die Ablehnung der Firmen-Paralleljustiz wichtig und richtig. Aber ich sehe die Gefahr, dass die Kritik an TTIP und CETA allein auf diesen einen Punkt reduziert wird. Damit macht man die Freihandelszone zum Trojanischen Pferd. So werden dann die Verträge als "Entgegenkommen" des Kapitals und "Verhandlungserfolg" der Kritiker präsentiert, obwohl die Paralleljustiz nur einer von vielen kritikwürdigen Aspekten ist. TTIP und CETA bleiben ein Horror, selbst wenn man letztlich auf die Paralleljustiz verzichtet. Daher kann es wohl nur darum gehen, TTIP und CETA ganz zu stoppen, wie ja auf den Schildern der Sozialdemokraten zu lesen ist. Aber ich befürchte, dieser Zusammenhang überfordert die Sozialdemokraten.

  • Die "internationalen Schiedsgerichte"

    sind ja keine "Gerichte" im Wortsinn.

    Dort tagen keine Richter, sondern Rechtsanwälte, sie tagen nicht öffentlich, und Berufung gibt es auch nicht.

    Es sind eigentlich private Schiedsstellen, die in keinster Weise verpflichtet sind, die Öffentlichkeit über ihre Aktivität zu informieren.

    .

    Es gibt übrigens keine Möglichkeit, das TTIP zu kündigen. Das ist im Vertrag nicht vorgesehen.

    Eine Entscheidung für die Ewigkeit.

    • @Kein Genfutter bitte!:

      Das stimmt, außerdem muss man auch wissen, dass die Richter bei diesen Tribunalen gleichzeitig als Anwälte für diverse Firmen arbeiten und diese bereits jetzt schon in solchen Schlichtungsverfahren vertreten. Also ein klarer Interessenkonflikt. Einer der bekanntesten Fälle dürfte das Tribunal eines Tabakkonzerns gegen die restriktiven Gesetze zum Raucherschutz in Uruguay und Australien sein.

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Allein mir fehlt der Glaube...

    Gabriel wird sich der Lobby beugen. Er ist sich selbst der Nächste, sonst zählt für den gar nichts. Er wird den Abgeordneten Lange disziplinieren, ganz nach dem bekannten Muster: entweder Du machst was wir wollen oder Du wirst nie wieder einen aussichtsreichen Listenplatz bekommen. Und dann kippt Lange um und alle anderen ebenso. Darauf kann man Wetten abschließen.

  • Wenn sie schlau wären würden sie TTIP und CETA ganz verhindern.

    • @antares56:

      diese ganze Kleinstaaterei führt zu nichts. Wir brauchen eine Weltregierung.

      • @Gabriel Renoir:

        Sie meinen das ernst?

  • Die Meldung ist leider eine Ente: die “Sozialdemokraten” wollen es gerade nicht verhindern, sondern durchsetzen. Und mit welchem Trick, das zeigt SPD-Chef Siegmar Gabriel:

     

    Erst machte er sich für TTIP stark incl. des Abschaffens der Demokratie, das gerne euphemistisch als “Investorenschutz” bezeichnet wird. Dann bekam er Gegenwind. Nun drehte er sein Fähnchen, und “wollte” TTIP ohne “Investorenschutz”. Aber nun, leider leider, geht es nicht anders, und er ist nun doch für “Investorenschutz”.

     

    Kurz: das ist ein Ablenkungsmanöver. Die (ehemaligen) “Sozialdemokraten” werden TTIP wenn möglich einfach durchwinken.