Umsetzung der Teillegalisierung: Berlin blockiert Cannabis-Abgabe
Berlin ist das einzige Bundesland, in dem die Anträge von Cannabis Social Clubs nicht bearbeitet werden. Die wollen sich das nicht länger gefallen lassen.
Denn im Gegensatz zu anderen Bundesländern ist es in Berlin auch drei Monate nach der Teillegalisierung und einen Monat nach dem Startschuss für die Social Clubs noch immer nicht möglich, eine Lizenz zu beantragen. Oliver Waack-Jürgensen, Vorstand im Social Club High Ground, berichtet, wie er im vergangenen Monat mit fast allen Bezirken telefoniert hat, in der Hoffnung, dass wenigstens einer seinen Antrag annehmen würde. Freundlich, aber bestimmt habe man ihm überall eine Absage erteilt, berichtet er.
Damit ist er nicht alleine. Denn während alle anderen Bundesländer pünktlich zum 1. Juli eine Zuständigkeitsverordnung vorgelegt haben, steht diese in der Hauptstadt noch immer aus. Die Verordnung, die regelt, wer die Anträge für die Genehmigungen bearbeitet, werde derzeit noch „vorbereitet“, so ein Sprecher der Senatsgesundheitsverwaltung auf taz-Anfrage. Wann sie in Kraft treten wird, könne man noch nicht sagen. An der Umsetzung werde jedoch „intensiv gearbeitet“.
Auf die Frage, warum es in Berlin so lange dauert, verweist die Verwaltung unter Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD) auf die kurze Zeitspanne seit Inkrafttreten des Cannabisgesetzes am 1. April sowie Abstimmungsprozesse zwischen verschiedenen „Playern“. Warum das in anderen Bundesländern in demselben Zeitraum ohne Probleme möglich war und in Berlin nicht, darauf weiß man allerdings auch keine Antwort.
Bezirke sammeln die Anträge, bearbeiten sie aber nicht
In absehbarer Zeit ist jedenfalls nicht mit einer Regelung zu rechnen: Selbst wenn sich die verschiedenen Senatsverwaltungen irgendwann auf eine Zuständigkeit einigen, muss die Verordnung noch dem Senat, dem Rat der Bezirksbürgermeister*innen und dem Abgeordnetenhaus vorgelegt werden. Angesichts der parlamentarischen Sommerpause dürfte sie also frühestens im Herbst vorliegen.
Bis dahin seien gemäß „Auffangzuständigkeit“ die Bezirke für die Bearbeitung der Anträge zuständig, so die Senatsverwaltung. Die sehen sich mangels personeller Kapazitäten dazu aber nicht in der Lage und winken ab. „Hierbei handelt es sich um eine Aufgabe, die sinnvollerweise zentral und in Berlin einheitlich erledigt werden sollte. So, wie es aktuell läuft, funktioniert es nicht“, sagt die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Clara Herrmann, der taz.
Das bestätigt eine taz-Umfrage in den zwölf Berliner Bezirken. Ohne eine Verwaltungsvorschrift des Senats werden dort die Anträge der Cannabis Social Clubs zwar gesammelt, aber nicht bearbeitet, heißt es unisono.
„Sowohl das Ordnungsamt als auch das Gesundheitsamt lehnen eine Wahrnehmung der betreffenden Aufgaben mangels fachlicher Betroffenheit/Expertise ab“, heißt es etwa aus Pankow. In Mitte erklärt man sich in Sachen Anbaulizenzen für nicht zuständig und verweist auf eine Mail-Adresse, die die Senatsgesundheitsverwaltung für Anfragen rund um das Cannabisgesetz eingerichtet hat. Auf eine Anfrage der taz gab es dort auch nach einer Woche keine Antwort.
Nur in Marzahn-Hellersdorf sieht man kein Problem: Bislang sei nur ein Antrag eingegangen, eine Überlastungssituation gebe es daher nicht, so Bezirksstadtrat Gordon Lemm. Der SPD-Politiker hält es für sinnvoll, wenn künftig ein Bezirk für alle die Anträge bearbeiten würde. Als leuchtendes Vorbild wird der eine Antrag in Marzahn-Hellersdorf deshalb nun auch bearbeitet.
15 Anträge auf Anbauvereinigungen
Angesichts des Behördenpingpongs haben bislang nur wenige Anbaugemeinschaften überhaupt einen Antrag gestellt. Laut taz-Bezirksabfrage sind bis Ende Juli insgesamt 15 Anträge eingegangen. Spitzenreiter ist Pankow mit 5 Anträgen, gefolgt von Steglitz-Zehlendorf mit 3, in Friedrichshain-Kreuzberg und Charlottenburg-Wilmersdorf sind jeweils 2 und in Tempelhof-Schöneberg und Marzahn-Hellersdorf 1 Antrag eingegangen. Alle anderen Bezirke vermeldeten keine Anfragen.
Dass die Anträge nicht bearbeitet werden, stellt die Social Clubs vor große Probleme. Denn eigentlich sollten die Anbaulizenzen nach drei Monaten vorliegen – also spätestens am 1. Oktober. Im Mauerpark berichten die Vorstände mehrerer Clubs, bereits Flächen für den Anbau von Hanfpflanzen in Aussicht zu haben, viele davon in Brandenburg.
Doch die meisten zögern, schon jetzt einen Mietvertrag zu unterschreiben, da sie nicht wissen, wie lange das Durcheinander bei Senat und Bezirken anhält. Anbauflächen ungenutzt lassen können sie sich auf längere Zeit finanziell nicht leisten. Potenzielle Vermieter*innen ließen sich aber auch nicht ewig hinhalten.
Niedersachsen hat schon Genehmigungen erteilt
In anderen Bundesländern haben es die Clubbetreiber*innen leichter, wie eine taz-Umfrage ergibt. Bis auf Nordrhein-Westfalen, wo die fünf Bezirksregierungen für die Lizenzen zuständig sind, werden die Anträge überall zentral bearbeitet.
Ganz vorne mit dabei ist Nordrhein-Westfalen mit 46 Anträgen, Baden-Württemberg zählt 36, in Bayern sind es 16, in Rheinland-Pfalz 13 und in Niedersachsen 12. Alle anderen Bundesländer melden einstellige Eingänge. Insgesamt gibt es bundesweit 182 Anträge auf Anbauvereinigungen. Niedersachsen ist dabei das einzige Bundesland, das schon erste Genehmigungen erteilt hat: 7 Anträgen wurde stattgegeben, 5 abgelehnt.
Davon ist Berlin meilenweit entfernt. Eine Blamage, findet der drogenpolitische Sprecher der Linken, Klaus Lederer: „Diese Stadt hat eigentlich eine Tradition progressiver Drogenpolitik“, so Lederer zur taz. Die Verschleppung des Cannabisgesetzes durch den Senat sei „ein Armutszeugnis“.
Für den Streik der Bezirke hat der ehemalige Bürgermeister angesichts des Personalmangels jedoch Verständnis. Zumal es wenig sinnvoll sei, dass sich alle Bezirke in das komplizierte und in seinen Augen überregulierte Legalisierungsrecht einarbeiten. „Das ist völlig dysfunktional. Am Ende haben wir zwölf unterschiedliche Verfahren.“
Cannabis Clubs finden keine Räume
Neben dem Behördenchaos gibt es noch ein weiteres Problem: Die Vorstände der Social Clubs berichten, dass sich die Suche nach einem Ort, an dem die Clubs in Zukunft ihre Blüten an Vereinsmitglieder abgeben können, schwierig gestaltet.
Diese sollten möglichst innerstädtisch sein. Wer im Zentrum wohnt, möchte schließlich nicht für ein paar Gramm Gras jedes Mal an den Stadtrand oder gar nach Brandenburg fahren. Aber in Zentrumslage geht kaum etwas. Ein Vorstand berichtet, sich bereits bei 18 Vermieter*innen Absagen eingeholt zu haben. Die Bereitschaft, an einen Club für Kiffer vermieten zu wollen, scheint gering zu sein.
Auch die Sache mit der Suchtberatung geht laut den Social Clubs nicht voran. Jeder Cannabisverein braucht laut Gesetz einen geschulten Suchtberater. Doch in Berlin würden solche Schulungen derzeit überhaupt nicht angeboten.
Am Ende ihres Treffens gründen die 16 Vorstände dann eine Cannabisclub-Vereinigung. Die will nun einen Gegenschlag vorbereiten: In einer konzertierten Aktion sollen die Bezirksbürgermeister*innen und die Senatsverwaltung mit Anträgen geflutet werden. Sollte nach drei Monaten immer noch nichts passieren, wollen die Cannabisclubs eine Untätigkeitsklage einreichen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr