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Umgang mit der Aiwanger-AffärePräzise Anklage, bitte

Lukas Wallraff
Kommentar von Lukas Wallraff

Weder Aiwanger noch Ministerpräsident Söder fanden richtige Worte in der Flugblatt-Affäre. Doch auch Aiwangers Kritiker machten Fehler.

Wahlplakat mit Hubert Aiwanger Foto: Stefan Zeitz/imago

D ie Aiwanger-Festspiele gehen weiter. Auf den ersten Blick nach Bayern sieht es so aus, als hätte es nie ein Hetzblatt in seiner Schultasche und kein widersprüchliches Geschwurbel des erwachsenen Aiwanger gegeben. Nach seinem Freispruch durch Markus Söder tingelt der Vizeministerpräsident scheinbar frisch gestärkt durch die Bierzelte und wird gefeiert. CDU-Chef Friedrich Merz nennt Söders Umgang mit dem Fall Aiwanger „bravourös“, der Kanzler nimmt ihn „zur Kenntnis“. Ist Deutschland also auf dem rechten Auge blind, so wie Olaf Scholz auf dem jetzt schon ikonischen Augenklappen-Foto nach seinem Joggingunfall?

Ganz und gar nicht. Die öffentliche Aufregung im ganzen Land hält unvermindert an und zeigt, wie ernst der Umgang mit dem schrecklichsten Kapitel der deutschen Geschichte nach wie vor zu Recht genommen wird. Nichts in Deutschland ist wichtiger als eine glasklare Haltung zu den NS-Verbrechen und zum rechtsextremen Hass von heute.

Klar ist auch, dass weder Aiwanger noch Söder die richtigen Worte dazu gefunden haben. Im Vordergrund stehen bei CSU und Freien Wählern offenkundig der pure Machterhalt und das Bedürfnis, die unangenehme Sache abzuhaken. Ob sie damit langfristig durchkommen, ist offen. Es hängt davon ab, ob noch weitere, belegbare Verfehlungen Aiwangers ans Licht kommen – und wie sich die politische Konkurrenz weiter zu dem Fall verhält.

Chance auf Resozialisierung

Leider wurden auch bei der Kritik an Aiwanger Fehler gemacht. Das artikulierte Entsetzen über das Hetzblatt war zwar berechtigt, weil eine derart sadistisch-widerliche NS-Verherrlichung noch nie bei einem späteren Regierungspolitiker der Nachkriegsgeneration entdeckt wurde. Doch in der Empörung haben viele unterschätzt, wie stark der Verweis auf das jugendliche Alter des politisch Angeklagten zur Tatzeit wirkt. Nicht nur bei Rechten. Gerade Linke sollten sich über diese Nachsicht nicht erheben. Die Chance auf Resozialisierung ist ja keine rechte Idee.

Wer trotzdem sofort nach Bekanntwerden der ersten Berichte Aiwangers Rücktritt fordert, läuft Gefahr, dass Aiwangers abgeschmackte Opfermärchen bei vielen noch mehr verfangen. Wer Rechte angreift, muss in der Haltung klar, aber auch in der Anklage präzise sein und angemessene Konsequenzen fordern: also erst einmal Aufklärung. Wer von Anfang an „Entlassung“ ruft, wenn eine Hetzschrift auftaucht, zu der sich der Bruder des Angeklagten bekannt hat, schießt über das Ziel hinaus und muss sich nicht wundern, wenn ­Aiwanger bei einer Nicht-Entlassung als vermeintlicher Sieger dasteht.

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Lukas Wallraff
taz.eins- und Seite-1-Redakteur
seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens
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8 Kommentare

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  • Zitat: Klar ist auch, dass weder Aiwanger noch Söder die richtigen Worte dazu gefunden haben. Im Vordergrund stehen bei CSU und Freien Wählern offenkundig der pure Machterhalt und das Bedürfnis, die unangenehme Sache abzuhaken.

    Das impliziert aber, dass beim Wähler ein anderer Umgang oder persönliche Konsequenzen zu einem anderen Wahlverhalten geführt hätten, welche FW und CSU geschadet hätten. Ich halte das für ziemlich unwahrscheinlich.

    Zwar ist der Umgang Aiwangers mit den Vorwürfen ziemlich unfähig und eigentlich sollte diese offen zur Schau gestellt Inkompetenz, mit einer Krisensituation umzugehen, Konsequenzen haben. Aber noch nicht einmal das.

    Als Fazit deutet das letztlich nur auf eines hin, das Gesamtbild der Ampel beim Wähler ist derart desaströs, dass sich Aiwanger und Söder noch nicht einmal mehr selbst schaden können!

  • Es ist nicht ein einzelnes Schüler-Flugblatt, das so kritisch ist, sondern dass es eine Kontinuität gibt von einem Antisemitischen Hetzblatt zu seiner Demokratiefeindlichkeit in Erding.

    www.faz.net/aktuel...ulze-18974945.html

    > Es geht darum, dass der stellvertretende bayerische Ministerpräsident, demokratisch gewählt, Teil der parlamentarischen Demokratie, davon schwadroniert, man müsse sich die Demokratie zurückholen, und so die Leute in Wahrheit gegen die Demokratie aufwiegelt. — Schulze

    Aiwanger hat nicht gelernt, dass er Unrecht hatte, sondern nur, dass er die Grenze zur Strafbarkeit nicht überschreitet.

  • Söder hat sehr geschickt die Empörung auf das Flugblatt reduziert (geframed) bei dem man isoliert betrachtet Aiwanger tatsächlich relativ leicht entlasten kann aufgrund Alter, Vergangenheit.



    Juristisch kann man ihn DESwegen kaum belangen!

    Dabei wurde durchgängig übersehen, ausgeblendet und ignoriert, dass es um den jetzigen Aiwanger geht, der unerträglich hetzt, spaltet und den Staat schwächt.



    Seine abscheulichen Ausdrücke und sein Hass wurden kaum benannt. Viele mussten schon für harmlosere Worte gehen!

    Hier kommen dann die rechten Seilschaften durch, die sich feiern für mehr als grenzwertiges Auftreten und wie sie damit durchkommen.



    Zu diesen Seilschaften gehören jetzt auch Söder und Merz.

    Das ist SEHR gefährlich.

  • Und noch eni Artikel über Aiwanger. ich muss immer an die Antwort eines amerikanischen Politikers auf eine Frage von einem Journalisten denken:



    "Mir ist es egal was sie über mich schreiben, Hauptsache Sie schreiben meinen Namen richtig"

    Die bayerischen Wähler rechts der Mitte (etwa 70%) werden sich von der Empörung in der Presse und den ÖR Medien nicht nur nicht beeindrucken lassen sondern im Gegenteil wird da das "jetzt erst recht" und das "Denen zeigen wirs" Gefühl aufkommen. Von daher nützt die Aufregung Aiwanger, und schadet der CSU und den Grünen. Aber macht ruhig weiter..

  • UNABHÄNGIG VON AIWANGER UND FRÜHEREN VÖLLIG DEPLATZIERTEN 'FLIEGENCHISSÄUẞERUNGEN':



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    "Nichts in Deutschland ist wichtiger als eine glasklare Haltung zu den NS-Verbrechen und zum rechtsextremen Hass von heute."



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    DAS GILT ÜBERALL FÜR DIE RELATIVIERUNG VON FASCHISMUS UND TERROR!



    DAS PROBLEM IST DIE GEDULDETE ENTGLEISUNG UND DIE SCHLEICHENDE ENTGRENZUNG RECHTEN GEDANKENGUTES:



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    "Durch die russische Propaganda werden Ukrainer immer wieder als Faschisten verunglimpft. Gleichzeitig fehlt es in der Ukraine an einer differenzierten Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, vor allem der des Zweiten Weltkriegs. Dass diese mitunter Wasser auf die Mühlen der Kremlpropagandisten ist, zeigte sich jüngst bei einem Interview von Tilo Jung im Format Jung & Naiv mit dem ukrainischen Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk. Dabei weigerte sich Melnyk, Stepan Bandera als Faschisten zu bezeichnen, und gab schwammige Antworten auf die Fragen nach einer Beteiligung Banderas an Massenmorden der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) im Zweiten Weltkrieg."



    Aus berlinerzeitung.de



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    deutschlandfunkkultur.de



    "Es sei vor allem die kroatische Rechte, die sich derzeit darum bemühe, etwa den Ustascha-Gruß „Za dom spremni“, der auch in einem Lied von „Thompson“ vorkomme, wieder zu verwenden. Und die durch anhaltende Verwendung der Symbolik der Ustascha als etwas „altes Kroatisches“, deren Verbrechen und tausendfache Morde zu relativeren."



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    WIR IN DEUTSCHLAND SOLLTEN KEINE NEUEN ANGRIFFSFLÄCHEN FÜR INTERNATIONALE KRITIK BIETEN, AUF GAR KEINEN FALL.



    DASS DIE ERREGTHEIT RIESENGROẞ IST, LIEGT AN DER SENSIBILITÄT FÜR DAS THEMA, AUCH EIN ERFOLG UNSERES SCHULSYSTEMS, SPÄTESTENS SEIT DEN SECHZIGERN.

  • "Wer trotzdem sofort nach Bekanntwerden der ersten Berichte Aiwangers Rücktritt fordert..."

    Ich weiss nicht,wie es Euch allen geht. Ich habe mir "nach Bekanntwerden..." sehr wohl die Zeit genommen, auf seine Reaktion darauf zu warten.

    Erst nach dieser halte ich Forderungen nach seinem Rücktritt für berechtigt. Aber jetzt... sowas von.

  • Genaus so siehts aus. Der SZ Artikel und die frühen Rücktrittsforderungen kurz vor einer Wahl wären zur Farce verkommen und man hätte durchaus von einer politische Kampagne sprechen können, würde Aiwanger nicht so dermaßen miserabel mit dem Sachverhalt umgehen.



    Wird jetzt tiefer gegraben und mehr gefunden, so dass er zurücktreten muss, dann ist das in aller erster Linie seiner unangemessenen, unglaubwürdigen und selbstgefälligen Reaktion auf die Vorwürfe zu verdanken. Und wie man sieht, hätte sich von Anfang an weit mehr rechchieren lassen, als ursprünglich im Raum stand.

    • @Deep South:

      Aiwanger ist eben rechts und dabei nicht einmal verlogen. Das macht ihn für manche zum "Freiheitshelden" und er genießt die Opferrolle, wie Trump und die anderen aufrechten Rechten. Das wird man doch nochmal sagen dürfen!