Umgang mit Verschwörungsideologie QAnon: Als Psychose betrachten
Die QAnon-Ideen sind so abwegig, dass man sich eigentlich schämt, sie auszusprechen. Und doch ist es lehrreich, sie genauer zu betrachten.
A uf den Demonstrationen von Coronaleugnern in den letzten Wochen war immer wieder das Symbol der QAnon-Bewegung zu sehen. Auch in den sozialen Medien versucht man derzeit, diesen Verschwörungsmythos, der seinen Ursprung in den USA hat, in die deutschsprachige Debatte einzuschleusen.
Was die Anhänger dieses Kults glauben, ist so idiotisch, dass man sich eigentlich schämt, es wiederzugeben. Sie beziehen sich auf einen mysteriösen QAnon, angeblich ein ranghoher Regierungsmitarbeiter, der im Internet immer wieder unbelegte Anschuldigungen und Prophezeiungen in die Welt gesetzt hat, die sich mit schöner Regelmäßigkeit als falsch erwiesen.
So existiere angeblich in den USA ein Ring von Kinderschändern, die Minderjährige foltern und sie Politikern, Schauspielern, Mitgliedern der „Elite“ als Sexsklaven zuführen. Donald Trump sei von ranghohen Militärs ins Amt gebracht worden, um dieser „Kabale“ ein Ende zu bereiten. Darum sei auch der Corona-Lockdown inszeniert worden – um diese Kinder aus unterirdischen Tunneln im Central Park zu befreien.
Was zunächst ein Internetphänomen war, taucht inzwischen immer öfter auch im öffentlichen Raum auf. Propagandasender wie Fox oder Russia Today berichteten über QAnon. Auf Demos gegen Black-Lives-Matter-Kundgebungen findet sich das Q auf Transparenten und T-Shirts. Mehr als ein Dutzend republikanische Kandidaten für den US-Kongress haben sich zu dem Verschwörungsmythos bekannt. In Deutschland verzapft unter anderem Xavier Naidoo derartigen Unfug im Netz. Auch der Attentäter von Hanau verbreitete in seinem Bekennervideo QAnon-Nonsens.
ist Professor für Medienwissenschaft an der Hochschule Mainz. Bei Reclam hat er gerade das Buch „Texte zur Theorie des Internets“ veröffentlicht.
In den USA hat das FBI nach mehreren Anschlägen von Q-Anhängern die Bewegung als Terrorgefahr eingestuft. Auch der deutsche Verfassungsschutz wäre gut beraten, sich mit dem Phänomen zu beschäftigen, das hierzulande weitere Gewalttaten triggern könnte – vielleicht schon am Wochenende, wenn Teilnehmer der verbotenen Demonstrationen von Coronaleugnern doch nach Berlin kommen und ihr Mütchen kühlen wollen.
Öffentlich verbreiteter Bockmist
Aber so abwegig die QAnon-Ideen auch sind, ist es dennoch instruktiv, sich diese Verschwörungserzählung genauer anzusehen, um zu verstehen, wieso sie allem gesunden Menschenverstand zum Trotz geglaubt wird. Es geht dabei nicht darum, „die Menschen zu verstehen“ – wer öffentlich so einen Bockmist verbreitet, hat das Recht verwirkt, ernst genommen zu werden. Eher muss man die QAnon-Masche betrachten wie ein Psychoanalytiker eine Psychose, die ja in verzerrter und vom Unterbewusstsein entstellter Form auch etwas über wirkliche Probleme des Patienten verrät.
So betrachtet, adressieren Verschwörungstheoretiker oft real existierende soziale Konflikte, für welche sie freilich vollkommen absurde Interpretationen und Lösungsvorschläge liefern. Schon der Slogan der Bewegung „Where We Go One We Go All“, der als Hashtag #WWG1WGA in den sozialen Medien kursiert – was er genau bedeuten soll, ist so unklar wie das meiste im Weltbild der Q-Anhänger –, verweist vielleicht auf ein Bedürfnis nach gesellschaftlicher Solidarität, die vielen nach vier Jahrzehnten neoliberaler Verwüstung des amerikanischen Gemeinwesens fehlt.
Ein Bedürfnis, das von Parteien, Gewerkschaften oder Religion nicht mehr gestillt wird. Man könnte sich zwar auch politisch darüber empören, dass 1 Prozent der Amerikaner 30 Billionen Dollar besitzt, während der Durchschnittslohn in den USA seit 40 Jahren nicht mehr gestiegen ist. Oder darüber, dass die drei reichsten US-Bürger zusammen mehr Geld haben als die ärmsten 160 Million ihrer Landsleute, wobei Afroamerikaner überdurchschnittlich stark von Armut betroffen sind. Oder darüber, dass 45,7 Millionen Amerikaner keine Krankenversicherung haben.
Doch wem das zu kompliziert ist und wer für seine verständlichen Ängste vor sozialer Deklassierung ein einfaches Feindbild zum Abreagieren braucht, der findet es in angeblich gut vernetzten Eliten und „Globalisten“, die vermeintlich über dem Gesetz stehen und sich ungestraft an Kindern vergehen können. Leider finden sich immer auch Beispiele, die solche – oft antisemitisch konnotierten – Ansichten scheinbar unterfüttern.
US-Justiz funktioniert besser für Reiche
Der Banker Jeffrey Epstein konnte wirklich jahrzehntelang Minderjährige missbrauchen und war mit Celebritys von den Clintons über Trump bis Prinz Andrew befreundet. Nach seiner ersten Verurteilung 2006 wurde er von einem Richter, der später unter Donald Trump Arbeitsminister der USA wurde, vor einer ernst zu nehmenden Strafe bewahrt und konnte über ein Jahrzehnt weiter Halbwüchsige missbrauchen.
Donald Trump selbst hat damit geprahlt, dass er auf offener Straße jemanden erschießen könne, ohne dafür belangt zu werden – was bei einem Justizsystem, das vor allem für diejenigen funktioniert, die sich teure Anwälte leisten können, als Zuspitzung realer Ungerechtigkeit verstanden werden kann. Und was die „Globalisten“ betrifft – der Protest gegen die neoliberale, profitorientierte Globalisierung, die für weltweite Ausbeutung und Umweltzerstörung verantwortlich ist, ist seit den 90er Jahren ein linkes Projekt von Organisationen wie Attac.
Für solchen realpolitischen Widerstand wird man die Schreihälse, die sich gegenwärtig unter dem Banner von QAnon zusammenraufen, wohl nicht gewinnen können. Bei dieser Art von Faktenresistenz kann man nur darauf warten, dass ihr Treiben irgendwann langweilig wird. Aber linke Politik hat hier durchaus Ansatzpunkte für einen Aktivismus, der diese Probleme einfach mal angeht – etwa durch höhere Steuern für Reiche, die Abschaffung von Steuerparadiesen, Stärkung der Gewerkschaften, Krankenversicherung für alle und ein faires Justizsystem. Dass in den USA und auch in Deutschland allerhand im Argen liegt, ist nämlich keine Verschwörungstheorie.
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