Umgang mit Rassismus: Aus Hanau nichts gelernt
Selbst nach Hanau und dem NSU haben sich die Sicherheitsbehörden nicht konsequent entwickelt. Doch gegen strukturellen Rassismus helfen nur neue Strukturen.
W ir erleben im Gefolge des Anschlags von Hanau ein regelrechtes Déjà-vu. Die Angehörigen der Opfer klagen über Verdächtigungen und unsensible Behandlung, die Aufklärung ist voller Lücken und Unklarheiten, und die Bekämpfung von Rassismus wirkt alles andere als konsequent. Haben wir diese Dinge nach dem Bekanntwerden der Mordserie des NSU nicht schon mal gehört?
Sicher ist es ein Fortschritt – zumal gegenüber den Anschlägen von Mölln oder Solingen in den 1990er Jahren – dass die Stimmen der Betroffenen eine große Präsenz haben: Deren Unzufriedenheit und die darüber hinausgehende Unzufriedenheit vieler „Schwarzköpfe“ mit den ausbleibenden Konsequenzen ist deutlich spürbar, wenn etwa der Überlebende des Anschlags von Hanau, Piter Minnemann, von „strukturellem Rassismus“ spricht. Genau diese Bezeichnung markiert den Unterschied zu den Worten der Kanzlerin, die zwar keine Ambivalenzen beim Thema zeigt, aber von Rassismus als einem „Gift“ spricht. Wer hat „uns“ dieses Gift verabreicht? In diesem Bild ist „unsere“ Gesellschaft kerngesund, die angebliche Krankheit kommt von außen.
Gehören die Täter von Halle oder Hanau nicht zur Gesellschaft? Haben sie keine Vorbilder, Gleichgesinnten, Eltern? Bekommen sie nicht Legitimation von einem Innenminister, der nach rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz sein Verständnis für die Angreifer äußert und die Migration als „Mutter aller politischen Probleme“ bezeichnet?
Frantz Fanon hat einmal gesagt, Rassismus komme nicht einfach so vor – eine Gesellschaft sei entweder rassistisch oder sie sei es nicht. Auch der Anschlag von Hanau ist nicht unvermittelt geschehen. Seit 2015 gab es in Serie Anschläge auf Unterkünfte von Geflüchteten, die von den Sicherheitsbehörden zu keinem Zeitpunkt als das betrachtet wurden, was sie waren: Rechtsterrorismus. In der radikalen und autoritär-populistischen Rechten grassiert die Idee von dem „großen Austausch“, die besagt, die abgehobenen Eliten der westlichen Länder würden durch Einwanderung bewusst eine Veränderung der Bevölkerung herbeiführen. Diese Leute betrachten sich selbst als Minderheit, und sehen die Gewalt als legitimen Widerstand. Insofern war klar, dass eine große Gefahr von teilweise auch psychisch belasteten Personen ausgeht, die sich nach dem Vorbild etwa von Anders Breivik ideologisch bewaffnen und dann losschlagen. Beim Islamismus haben sich die Behörden auf dieses Szenario eingerichtet und so Anschläge verhindert – warum also hier nicht?.
Märchen von der Ausländerkriminalität
Und was ist in und nach Hanau passiert? Aus den Berichten der Angehörigen geht hervor, dass die Polizeibehörden aus den zahlreichen NSU-Berichten nicht die geringste Konsequenz gezogen haben. Die erste Annahme am Tatort war, es handele sich um eine Art Showdown im Rahmen von „organisierter Ausländerkriminalität“. Das passte auch zu den vorangehenden, bundesweit und regelmäßig stattfindenden Razzien in Shisha-Bars, die nach eigenen Aussagen der Polizei ohnehin nur dazu dienten, das subjektive Sicherheitsempfinden „der Bevölkerung“ zu stärken. Der Verfassungsschutz hat erst seit zwei Jahren einen Präsidenten, der nicht mit der AfD sympathisiert: In Sachen Rechtsterrorismus hinkt die Einrichtung immer noch gnadenlos hinterher.
Die Sicherheitsbehörden haben weder im Gefolge von NSU noch von Hanau eine konsequente Organisationsentwicklung durchlaufen, um sich auf die Vielheit der Gesellschaft einzustellen. Es wird nicht einmal verstanden, dass „Profiling“ nach Hautfarbe oder ethnischen Kriterien nicht nur falsch, sondern auch für die eigene Arbeit völlig kontraproduktiv ist.
Immerhin hat es einen Kabinettsausschuss zu Rassismus gegeben – könnte man erwidern – und der hat ja auch Maßnahmen vorgestellt. Der im November 2020 veröffentlichte „Katalog“ ist allerdings ein Witz. Die 89 Punkte klingen nach viel, sind aber nur eine Auflistung von kaum zusammenhängenden Einzelvorhaben, Dabei wird sogar die „Stärkung von Integrationsmaßnahmen mit Sportbezug“ als Rassismusbekämpfung verkauft. Solche Listen sind so bekannt wie ihre notorische Unwirksamkeit.
Geld ist da, Konzepte aber nicht
Anstatt allerlei zeitlich befristete Maßnahmen anzustoßen, in denen sich wieder aktive Leute schlecht bezahlt aufreiben, sollte es um eine begrifflich durchdachte, systematische und langfristige Strategie gehen. Das würde „Vielheitspläne“ ebenso beinhalten wie das „Mainstreamen“ von Gesetzestexten im Hinblick auf rassistische Effekte; die Realisierung von Chancengleichheit im Bildungsbetrieb so wie die Weiterentwicklung des Gleichbehandlungs-Gesetzes zu einem wirksamen Werkzeug. Wenn Rassismus „strukturell“ ist, dann müssen auch Strukturen verändert oder neu geschaffen werden.
Das Geld dafür ist ja da – es wird nur unwirksam ausgegeben. 13-mal taucht in dem Maßnahmenkatalog das Wort Forschung auf. Aber was soll die Forschung belegen, was wir noch nicht wissen? Gibt es nicht seit Jahrzehnten eine Rassismusforschung hierzulande und zahllose Berichte zum Thema, die gar nicht zur Kenntnis genommen werden? Mittlerweile existiert eine ganze Industrie von Trainings und Beratungen gegen Rassismus, die vor allem lehren, welche Sprache die richtige ist.
Das ist letztlich eine neue Mittelschichtsgymnastik, die am Ende dazu führt, dass vor allem die Gebildeten „achtsam“ sind, während sie gleichzeitig ihre Kinder vor „Problemschulen“ bewahren, um Shisha-Bars einen großen Bogen machen oder dem Fensterputzer arabischer Herkunft in der eigenen Wohnung nicht von der Seite weichen. Fanon hatte ganz recht, Rassismus ist eins der großen Ungleichheitsverhältnisse der Moderne. Symbolpolitik, Sozialtechnologie und die Vermeidung des N-Worts sind sicher nicht genug.
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