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Ukraine will EU-Beitrittskandidat werdenDie kalte Wahrheit

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die Kriterien für eine EU-Mitgliedschaft sind ebenso streng, wie ein Beitritt der Ukraine unrealistisch ist. Brüssel sollte gegenüber Kiew keine falschen Hoffnungen schüren.

Besser nicht mit dem Herzen denken: Rede von Selenski ans Europäische Parlament am 1. März Foto: Virginia Mayo/AP/dpa

B ilder sind in Kriegen immer Waffen. Aber die Bilder von Putins Krieg in der Ukraine sind eindeutig. Die russische Militärmaschine walzt erbarmungslos ein Land nieder. Die Bevölkerung flieht in U-Bahn-Schächte. Hier die Täter, dort die Opfer.

Der Westen tut fast alles, was unterhalb einer direkten Kriegsbeteiligung möglich ist. Berlin liefert Boden-Luft-Raketen und Panzerabwehrwaffen, ohne zu wissen, ob damit ein Partisanenkrieg befördert wird, der extrem blutig werden wird. Zudem hat der Westen einen umfangreichen „Finanzkrieg“ (Adam Tooze) entfacht. Die militante Metaphorik ist der Sache angemessen. Das Vermögen der russischen Zentralbank – mehrere 100 Milliarden Dollar – im Westen einzufrieren, ist eine kalte Enteignung und zielt, wie die allerdings noch begrenzten Swift-Sanktionen, darauf, die finanziellen Lebensadern Russlands lahmzulegen und so das Regime zu erschüttern.

Niemand weiß, ob dies den wütenden Irrationalismus Putins noch mehr befördern wird. Doch wägt man die Risiken ab, so scheint beides, Waffenlieferung und Finanzkrieg, besser als nichts zu tun. Denn damit würde man Putin noch ermuntern. Soll man noch mehr tun? Präsident Selenski fleht die EU an, die Ukraine aufzunehmen. Wäre das keine großherzige Geste, um den Bedrängten beizuspringen? Ursula von der Leyen hat gesagt: „Sie sind einer von uns und wir wollen sie drin haben“.

Das klingt gut. Aber wen meint von der Leyen mit „wir“? Die EU, die strenge Aufnahmekriterien hat, wohl kaum. Die Ukraine ist weit davon entfernt, es auch nur zum Beitrittskandidaten zu bringen. Der Durchschnittsverdienst ist ein Drittel geringer als in Weißrussland. Die Bekämpfung der exorbitanten Korruption ist auch unter Selenski nicht vorangekommen, so ein Bericht des EU-Parlaments 2021. Die Oligarchen hätten noch an politischem Einfluss gewonnen, Journalisten, die über Korruption und Betrug recherchieren, seien „von Gewalt und Tod bedroht“. Das ist O-Ton EU.

Die EU ist eine funktionale Kompromissmaschine und für heroische Gesten denkbar unbrauchbar. Schon die Osterweiterung war ein Stresstest, der die inneren Bindungskräfte strapazierte. Die EU wird die Ukraine in absehbarer Zeit nicht aufnehmen, selbst wenn der Krieg morgen enden würde. Denn dies wäre ein „imperial overstretch“ – jene Ausweitung, die den Keim der Implosion schon in sich trägt. Das kann in labilen Zeiten niemand wollen.

Es stimmt: Es wirkt herzlos, den Angegriffenen diese Geste zu verwehren. Aber es ist nicht klug, mit dem Herzen zu denken. Und besser, kalt die Wahrheit zu sagen, als mit leeren Versprechungen falsche Hoffnungen zu schüren.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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10 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • "Aber es ist nicht klug, mit dem Herzen zu denken. Und besser, kalt die Wahrheit zu sagen, als mit leeren Versprechungen falsche Hoffnungen zu schüren."



    Wir erleben seit August 2020, dem Beginn der belarusischen Revolution, den größten politischen Transformationsprozess in Europa seit den 1980er Jahren. Für einen der beteiligten Staaten, Russland, bahnt sich eine Zäsur an, die mit der Revolution 1917-22 vergleichbar ist. Mit dem Ende dieses Krieges (und des Putinismus) wird Russland aufhören, ein Imperium zu sein.



    Und die kalte Wahrheit für die EU, bzw. den Westen insgesamt ist: Nicht nur die Ukraine, sondern mindestens vier weiteren Staaten (Moldawien, Belarus, Georgien und Russland) wird man Modelle der ökonomischen und politischen Annäherung und Integration anbieten müssen. Und das wird kosten. Nicht für jeden dasselbe Modell, und die bürokratisch-technischen "Vorkriegstermini" - Beitrittskandidat etc -, die im ukrainisch-europäischen Dialog aktuell verwendet werden, fassen es sicher nicht korrekt. Weil niemand z.Z. genau weiß, wie diese Modelle aussehen werden. Wir wissen ja noch nicht einmal, wie es genau ausgehen wird (wie hoch werden die ukrainischen Reparationsforderungen sein? Wie weit wird die bereits einsetzende Kernschmelze der russischen Wirtschaft gehen? Wird Moldawien noch von Russland in diesen Krieg reingezogen? etc.).



    Aber in jedem Falle sollte klar sein, dass wir uns eines weder sicherheitspolitisch noch ökonomisch leisten können: Ein halbes Dutzend gescheiterter Staaten von der EU-Ostgrenze bis Wladiwostok.

    • @Barbara Falk:

      "Für einen der beteiligten Staaten, Russland, bahnt sich eine Zäsur an, die mit der Revolution 1917-22 vergleichbar ist. Mit dem Ende dieses Krieges (und des Putinismus) wird Russland aufhören, ein Imperium zu sein."

      Im welcher Glaskugel ist das zu sehen?

  • "Die Oligarchen hätten noch an politischem Einfluss gewonnen, Journalisten, die über Korruption und Betrug recherchieren, seien „von Gewalt und Tod bedroht“



    Das finden wir z.B. in Malta, oder in Ungarn also in der EU auch! Das ist also kein Grund den Beitritt zu verweigern.

    • @Sonnenhaus:

      Indem wir die Anzahl der Länder, in denen die Regeln der EU nicht gelten, vergrößern, stärken wir die EU?

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Wir stärken die EU, indem wir den Korruptionsvorwurf nicht bequem auf die Ukraine (und Russland projizieren) sondern aufhören, Hauptprofiteur und Helfershelfer dieser Korruption zu sein. Das Geld wird ja seit 20 Jahren gern genommen und hat eine ganze Geldwaschindustrie generiert und zu unserem Wirtschaftswachstum beigetragen.

        • @Barbara Falk:

          Russland und er Ukraine geht es erst besser, wenn die Oligarchen ihre Macht, also ihr Geld, verlieren. Mit der EU geht das nicht, denn Privateigentum ist das wichtigste Heiligtum in der EU. Es geht nur in den Ländern.

  • Hätte man diese Wahrheit schon 2013 ausgesprochen, wäre der Ukraine viel Leid erspart geblieben. Erst Hoffnung wecken und dann von nichts wissen wollen.

  • "Und besser, kalt die Wahrheit zu sagen, als mit leeren Versprechungen falsche Hoffnungen zu schüren."

    Sehr richtig. Nur hätte man das von Anfang an tun müssen.

  • 4G
    47491 (Profil gelöscht)

    Das weiss Selenski doch auch. Natürlich fleht er darum. Aber er ist Comedian und Schauspieler, also nicht doof.



    Natürlich weiss er, dass - egal unter welchen Umständen - die Ukraine nicht morgen aufgenommen werden könnte. Selbst wenn man alle Regeln ignorieren würde.

    Das weiss er. Das ist von seiner Seite genauso eine Geste wie die Aussage von Frau von der Leyen: "Hier, wir gehören zu euch. Wir tun alles um zu zeigen, dass wir eure Nachbarn sind. Und das bleiben wollen."

  • 8G
    83635 (Profil gelöscht)

    Hat die Leyen nicht von einem Eilverfahren gesprochen? Ich kenne die Ukraine ein wenig und würde zu allerallergrösster Zurückhaltung raten auch ganz abgesehen von weiteren politischen Implikationen. Polen und Ungarn (z.B.) sind dagegen harmlose Beispiele.