Überschwemmung in Deutschland: Ohne Versicherung
Die Landesjustizminister prüfen nach der Flutkatastrophe die Einführung einer Pflichtversicherung gegen Naturgefahren. Die Versicherer sind dagegen.
Etliche Hausbesitzer:innen, deren Gebäude den Fluten zum Opfer gefallen ist, haben keinen Versicherungsschutz. Das Problem: Obwohl viele Eigentümer von etwas anderem ausgehen, ist eine Gebäudepolice keine Allgefahrenversicherung. Sie ersetzt nur Schäden, die durch Ursachen entstehen, die im Vertrag aufgelistet sind. Überschwemmung, Starkregen oder Erdrutsche sind nicht Bestandteil einer Standardversicherung. Für diese und weitere Naturgefahren wie den Einsturz eines Dachs durch Schneedruck ist ein Zusatzschutz nötig, die sogenannte Elementarschadenversicherung. Die hat bundesweit aber nicht einmal jedeR zweiteE, in Rheinland-Pfalz sind es unter 40 Prozent.
Die Landesjustizminister:innen haben nach Überflutungen immer wieder über eine Pflichtversicherung diskutiert, zuletzt 2017. „Bei den näheren Prüfungen waren die verfassungsrechtlichen Bedenken schwerwiegender als die Argumente, die dafür sprachen, einer solche Zwangsverpflichtung zuzustimmen“, sagte Biesenbach der taz. Mit einer Pflicht würde der Staat in die Vertragsfreiheit der Versicherer eingreifen – die sich gegen den Annahmezwang wehren. „Ob diese dramatischen und verheerenden Ereignisse jetzt ausreichen, die Diskussion zu einem anderen Ergebnis zu bringen, wird sich zeigen“, sagte Biesenbach. „Ich werde das Bundesjustizministerium bitten, uns hierzu für die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister einen aktuellen Bericht dazu zu übermitteln, ob es die Situation nun anders einschätzt.“ Am Wochenende hatte sich die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) für eine Pflichtversicherung ausgesprochen. Sachsen, Baden-Württemberg und andere Länder haben das bereits in der Vergangenheit befürwortet.
Neu ist die Idee nicht. Bis 1994 mussten etwa in Baden-Württemberg Gebäudebesitzer:innen einen Elementarschutz haben. Heute haben dort noch mehr als 90 Prozent der Häuslebauer:innen diese Versicherung. In der Schweiz ist die Absicherung längst obligatorisch.
Viele bekommen keinen Schutz
In Deutschland dagegen haben die Versicherer 22,1 Millionen Adressen in vier Kategorien für Überflutungsrisiken eingestuft. Von der Einordnung hängt ab, ob Kund:innen Versicherungsschutz bekommen und wie hoch die Beiträge sind. Danach sind 98.000 Adressen in der Kategorie 4 mit mindestens einem Hochwasser in zehn Jahren nach Angaben des Branchenverbands GDV derzeit nicht versicherbar – wären es nach baulichen Maßnahmen aber möglicherweise. Wer eine von 237.000 Adressen der Kategorie 3 hat, muss mit mindestens einem Hochwasser innerhalb von zehn bis 100 Jahren und einer entsprechend hohen Prämie rechnen. Die übrigen Adressen befinden sich in den Kategorien 2 und 1. Dort ist ein Hochwasser extrem selten oder gar nicht zu erwarten – und der Versicherungsschutz unproblematisch. In welche Kategorie die Überflutungsgebiete in Bayern, NRW und Sachsen fallen, kann der GDV nicht sagen.
Die Branche ist „grundsätzlich“ gegen eine Pflichtversicherung, teilte der GDV auf Anfrage mit. Eine Pflichtversicherung nehme jeden Anreiz für Prävention – mehr Schäden und letztlich unbezahlbare Prämien wären die Folge, heißt es.
Verbraucherschützer:innen für Pflicht
Dieses Argument nicht nachvollziehen kann Andrea Heyer von der Verbraucherzentrale Sachsen. Angesichts des großen Leids, das Überflutungen verursachen, werde niemand sehenden Auges auf Prävention verzichten. „Wir treten seit der Elbeflut von 2002 für eine gesetzlich verankerte Versicherungspflicht ein“, sagte sie. Ereignisse wie Starkregen, ein Erdrutsch oder Schneedruck könnten Hausbesitzer:innen überall treffen. Mit einer Versicherungspflicht wäre der Schutz auch für Anlieger in der Kategorie drei und vier bezahlbar, auch wenn die übrigen möglicherweise etwas mehr bezahlen müssen. „In der Schweiz, in der es sowohl eine Pflichtversicherung wie auch eine Versicherungspflicht gibt, liegt die durchschnittliche Prämie für den Elementarschutz bei gut 100 Euro im Jahr“, sagte sie.
Die Ministerpräsident:innen haben 2017 beschlossen, dass nur noch Flutopfer staatliche Soforthilfen erhalten, die keinen Versicherungsvertrag erhalten haben oder ihn nicht finanzieren könnten. Was das für die jetzigen Flutopfer bedeutet, ist noch unklar. Heyer hält es angesichts der nahenden Bundestagswahlen für wahrscheinlich, dass der Beschluss nicht angewandt wird. Eine dauerhafte Lösung sei das aber nicht: „Auf staatliche Zuschüsse, die oft nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind und zinsgünstige Darlehen, die sich nicht jeder leisten kann, gibt es keinen Rechtsanspruch“, sagte sie. Auf eine Versicherungsleistung auf Basis eines Vertrages, mit der ein Wohngebäude wiederaufgebaut werden kann, aber schon.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer