USA kündigen INF-Vertrag auf: Rüstungskontrollverlust
Die USA steigen aus dem INF-Vertrag aus. Auf das drohende Ende des Rüstungsvertrags könnte nun ein neues Wettrüsten folgen.
Nach dem Ausstieg der USA aus dem Vertrag über das Verbot von landstationierten Mittelstreckenraketen und Marschflugkörpern mit Reichweiten von 500 bis 5.500 Kilometern droht ein neues atomares Wettrüsten. Dabei könnte es nicht nur um neue atomare Mittelstreckenraketen in Deutschland und anderen europäischen Nato-Staaten sowie in Russland gehen, sondern auch um strategische Atomwaffen – stationiert auf den Landterritorien, U-Booten und Kampfbombern der USA und Russlands.
Die derzeitige Kontroverse zwischen den Nato-Hauptstädten und Moskau erinnert an die Zeit Ende der 1970er Jahre. So wie aktuell mit der Behauptung, Moskau habe unter Verstoß gegen den INF-Vertrag eine neue landstationierbare Mittelstreckenrakete mit einer Reichweite von 2.600 Kilometern produziert, warf ab 1977 die damals noch rein westliche Militärallianz der Sowjetunion vor, mit landgestützten Mittelstreckenraketen vom Typ SS-20 übermäßig aufzurüsten. Sie forderte deren Abbau.
Als Moskau dies ablehnte, traf die Nato im Dezember 1979 ihre als „Doppelbeschluss“ verkaufte Entscheidung zur Stationierung von Pershing-II-Raketen und Marschflugkörpern in Westdeutschland und vier weiteren Nato-Staaten. Auf die Stationierung folgten Verhandlungen zwischen Washington und Moskau, die im Dezember 1987 mit der Unterzeichnung des INF-Abkommens endeten.
In dessen Folge wurden dann bis Ende Mai 1991 fast 3.000 Mittelstreckenraketen beider Seiten verschrottet. Anschließend zogen Washington und Moskau auch sämtliche atomaren Artilleriegranaten aus Europa ab.
Mit der Produktion der Pershing II hatten die USA schon lange vor dem Doppelbeschluss begonnen. Aktuell läuft es ähnlich: Der US-Kongress bewilligte der Trump-Regierung bereits für das Haushaltsjahr 2018 eine erste Tranche von 500 Millionen Dollar zur Entwicklung einer neuen Mittelstreckenrakete für eine mögliche Stationierung in Europa.
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) schließt solch eine Stationierung zwar bislang noch aus, doch Johann Wadephul, stellvertretender Fraktionschef der Union im Bundestag, kritisierte die Haltung von Maas am Freitag als „grundlegend falsch“. Wenn Russland „nicht zum Verzicht auf sein neues Raketensystem bereit“ sei, müsse „die Nato sich auch diese Option vorbehalten“. Mit seiner Haltung „untergräbt der Außenminister die Geschlossenheit des Bündnisses und schwächt damit die Verhandlungsposition gegenüber Russland“, erklärte der CDU-Politker. Es dürfe „keinen deutschen Sonderweg geben“.
SPD und CDU nicht weit auseinander
1982 waren von Unions-PolitikerInnen schon fast wortgleiche Erklärungen zu hören, als die SPD nach dem Verlust ihrer Regierungsmehrheit vom Nato-Doppelbeschluss abrückte.
Aktuell sind SPD und CDU/CSU allerdings weit weniger auseinander, als die Kontroverse zwischen Wadephul und Maas vermuten lässt. Der SPD-Außenminister hat Anfang Dezember den Gipfelbeschluss der Nato-Alliierten mitgetragen, mit dem sich diese voll hinter die Behauptung der Trump-Administration stellten, dass Moskau den Vertrag verletzt habe.
Die Darstellung Moskaus, das neu entwickelte Raketensystem bleibe mit einer Reichweite von lediglich 480 Kilometern unterhalb der Verbotsgrenze des INF-Vertrags, wurde bislang nicht ernsthaft überprüft. Die Kritik Moskaus, von dem in Rumänien stationierten Nato-Raketenabwehrsytem ließen sich Tomahawk-Marschflugkörper der USA abschießen, wurde auch von der Bundesregierung bislang nicht ernst genommen.
Der außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion, Stefan Liebich, kritisierte die Haltung der Bundesregierung. „Die Bundesrepublik Deutschland hat wie die Nato die Schuld einseitig Russland zugeschrieben, ohne eigene Erkenntnisse über deren Raketen zu haben. Man hat sich einfach auf die Einschätzung der Amerikaner verlassen“, sagte Liebich der taz. Er hätte erwartet, dass sich Deutschland stattdessen für gegenseitige Kontrollen einsetze.
Der Ausstieg der USA aus dem INF-Vertrag tritt erst Anfang August endgültig in Kraft. Es bleiben noch sechs Monate, um die gegenseitigen Vorwürfe zu überprüfen. Dazu müssten die Inspektionsmechanismen wieder in Kraft gesetzt werden, die galten, bis die USA und die Sowjetunion 1991 alle Mittelstreckenraketen verschrotteten. (Mitarbeit: Tobias Schulze)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer