Twitter und Aufmerksamkeit: Weltrettung wird nicht getwittert
Die Bad Boys der Welt beherrschen das Spiel der negativen Aufmerksamkeit. KlimaaktivistInnen ziehen jetzt nach mit Kartoffelbrei – gut so!
H eute Morgen war ich kurz versucht, mal wieder bei Twitter vorbeizuschauen. Es war die sensationslustige Stimme in meinem Kopf, die, im Kreis tanzte und rief: Elon Musk ist jetzt Chef, mal gucken, wie abgeknallt es da jetzt zugeht! Allein sein überall zitierter Tweet „the bird is freed“ – der Twitter-Vogel ist befreit – hat mich so aufgeregt, dass ich, wie nach dem ersten köstlich-fettig-knusprigen Chip, sofort mehr wollte.
Hab’s dann aber doch gelassen, erstens hätte ich mir ein neues Passwort überlegen müssen, zweitens las ich das Kleingedruckte: Die Plattform müsse „warm und einladend für alle“ sein, schrieb Musk. Och nö, gähnte die Stimme und drehte sich nochmal um. Und erinnerte sich dann auch schnell wieder daran, dass genau dieser koffeinhigh-ähnliche permanente Erregungszustand – oh – jemand ist genau meiner Meinung!; iih – jemand ist komplett irrer Meinung – mich ja vor ein paar Jahren überhaupt erst müde aus dieser Voliere namens Twitter hatte schleichen lassen.
Bislang war es ja so, dass vor allem die Falschen – im Sinne von natürlichen politischen Gegnern von Linken, Liberalen, Liebevollen – das Prinzip verinnerlicht hatten, dass negative Aufmerksamkeit gute Aufmerksamkeit ist. Trump hat damit immerhin eine Wahl gewonnen, Netanjahu steht mit einem Bein beinahe im Knast und gewinnt bald vielleicht noch eine Wahl – die Liste von Leuten, über die medial wenig Gutes gesagt wird und die trotzdem triumphieren, lässt sich beliebig verlängern.
Klar, Trump, Netanjahu, all die Bad Boys der Politik vertreten halt auch einfach die Interessen ihrer Wähler. Aber das Spiel, auch noch so begründete und berechtigte Kritik für sich zu verwandeln, haben sie trotzdem besser drauf als Grüne, Linke und Sozis zusammen. Ich hab nie ganz verstanden, wie der Trick funktioniert, die Bad Boys aber oft darum beneidet.
In die Erregungsfalle getappt
Ziemlich gut also, dass es jüngere und smartere Leute gibt als mich, die den Trick einfach anwenden, statt ihn psychologisch nur ergründen zu wollen. Ich gebe zu, erst bin ich wieder in die Erregungsfalle getappt, fand es ein bisschen blöd, ausgerechnet Kunst mit Kartoffelbrei zu beschmieren. Warum nicht lieber ganze Straßenzüge parkender Autos? Die Kunst kann doch nun wirklich nichts dafür. Wieder also hab ich nur aus meiner eigenen politischen Anschauung heraus gedacht.
Dabei ist es doch brillant. Kunst und Natur sind schließlich die unveräußerlichen ideellen und materiellen Werte, die allen und keinem gehören. Quatsch ist deshalb die Kritik von links an den Aktionen von Letzte Generation und Co, Museen seien elitäre Orte und Kunst den Unterprivilegierten ohnehin schnuppe.
Ja, Sammler kaufen Kunst für unfassbare Summen – aber eben um sie zu zeigen, sie zu pflegen und für die Nachwelt zu bewahren, fast nie, um sie in ihren Wohnzimmern verstauben zu lassen. Gehören im tieferen Sinn tun sie – wie die Natur – natürlich der Menschheit selbst. Deshalb stimmt es halt auch nicht, dass dieses Gemälde nichts mehr wert sei, „wenn wir uns um Essen streiten müssen“, wie eine der Aktivistinnen sagte (Deshalb achten sie ja auch darauf, dass den Werken nicht wirklich etwas passiert).
Tauglicher Protest
Und genau wegen dieses ideellen Werts taugen die Attacken auf Bilder von Monet oder van Gogh so gut für den Ausdruck dieser elenden Verzweiflung, die ich und Sie und wir alle ja mal mehr, mal weniger heimlich spüren angesichts der Erderhitzung. Und sie taugen so gut zum Protest gegen eine feige, lahmarschige Klimapolitik – eben weil sie auf das andere kollektive Herz der Menschheit zielen. Natürlich kochen da die Emotionen hoch – und genau das muss passieren.
Ja, der Zustand der Dauererregung ist anstrengend und nervig und langfristig schlecht fürs Herz und den konstruktiven gesellschaftlichen Diskurs. Aber weder Prognosen und Fakten noch Warnungen und gutes Zureden haben in den vergangenen quälenden 30 Jahren für den nötigen Aufstand gesorgt. Warum nicht die Trumps, die Klimakiller aller Art mit ihren eigenen Waffen schlagen – mit bad publicity?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Wissenschaftlerin über Ossis und Wessis
„Im Osten gibt es falsche Erwartungen an die Demokratie“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus