Türkei und Europas Flüchtlingspolitik: Plötzlich „sicheres Drittland“
Athen will künftig keine Asylanträge mehr von Menschen aus Staaten wie Syrien akzeptieren. Grund sei die Einreise über die „sichere“ Türkei.
In einer geradezu beiläufigen Erklärung gab der griechische Migrationsminister Notis Mitarakis Anfang der Woche bekannt, dass Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Pakistan, Bangladesch und Somalia künftig dort keinen Asylantrag mehr stellen dürfen, wenn sie über die Türkei gekommen sind. Dabei handelt es sich um jene fünf Staaten, aus denen in den letzten Jahren die meisten Asylbewerber nach Griechenland gekommen waren.
„Das ist ein wichtiger Schritt für die Bekämpfung der illegalen Migration und der Bekämpfung der verbrecherischen Schleuser“, begründete Mitarakis den Schritt. Hintergrund der Entscheidung ist, dass die Türkei nach Einschätzung der griechischen Regierung für Menschen aus diesen Staaten ein „sicheres Drittland“ sei. Damit schafft sich die konservative Regierung jetzt eine juristische Grundlage, um Flüchtlinge aus den Hauptfluchtländern von vornherein abzuweisen.
Griechenland war in den letzten Monaten in die Kritik geraten, weil die Küstenwache immer brutaler gegen Flüchtlinge auf dem Meer zwischen der türkischen Küste und den griechischen Inseln vorging. Schlauchboote wurden in türkische Gewässer abgedrängt und der Motor zerstört; Flüchtlinge, die es dennoch auf eine der Inseln geschafft hatten, wurden festgenommen, geschlagen, beraubt und dann wieder zur türkischen Küste zurückgebracht.
200 Kilometer Stahlzaun
Diese illegalen Push-Backs wurden nicht nur von der türkischen Küstenwache beklagt, sondern auch von unabhängigen Beobachtern vielfach dokumentiert. Auch auf dem Festland hat Griechenland kräftig in seine Grenzschutzanlagen zur Türkei investiert. Neue Stahlzäune und digitale Überwachungsanlagen auf über 200 Kilometern sowie sogenannte Geräuschkanonen, mit denen Flüchtende schon in großer Entfernung mit der akustischen Stärke eines Jet-Motors beschallt werden können, sollen einen Grenzübertritt verhindern. Drei Milliarden Euro soll die EU dafür zur Verfügung gestellt haben.
All das hat Wirkung gezeigt. Nach Angaben des griechischen Bürgerschutzministeriums werden aktuell nur noch 9.000 Flüchtlinge auf den Inseln Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos festgehalten statt noch 40.000 vor einem Jahr. Das liegt zum einen daran, dass die Regierung viele Flüchtlinge in Lager auf das Festland überführt hat. Vor allem aber kommen kaum noch welche nach.
Dass Griechenland nun keine Asylanträge aus den besagten Staaten annimmt, soll dafür sorgen, dass das auch so bleibt. Menschen aus Syrien, Afghanistan, Pakistan, Bangladesch und Somalia, die jetzt in der Türkei leben, sollen wissen, dass sie „in Griechenland keine Chance mehr haben“, sagte Mitarakis.
Die türkische Regierung hat sich zu der Entscheidung, ihr Land zum sicheren Drittstaat zu erklären, offiziell nicht geäußert. Lediglich die regierungsnahe Tageszeitung Sabah empörte sich über den „heuchlerischen Beschluss“. Die griechische Regierung lasse sonst keine Gelegenheit aus, „die Türkei als aggressiv und menschenrechtsfeindlich anzuprangern, und jetzt sind wir plötzlich sicheres Drittland“. Die Angst vor den Flüchtlingen trage offenbar zur Wiederannäherung von Griechenland an die Türkei bei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?
Einigung über die Zukunft von VW
Die Sozialpartnerschaft ist vorerst gerettet
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen