piwik no script img

Transmann über Gender„Menschen sind keine Knetmasse“

Till Randolf Amelung ist Autor und Transmann. Ein Gespräch über den Furor von Transaktivist*innen, vorschnelle OPs und Dynamiken des Begehrens.

„Geschlecht kann man nicht einfach wegdefinieren.“ Till Randolf Amelung am Maschsee in Hannover Foto: Joanna Nottebrock
Jan Feddersen
Interview von Jan Feddersen

Treffpunkt ist der Pier 51 am Maschsee in Hannover: Till Randolf Amelung ist ein Mann, so viel darf nach knapp zwei Stunden Gespräch gelten, dem mit seiner gelassenen, ruhigen, nie giftelnden Art die Herzen zufliegen. Er ist oft in Berlin, las und debattierte schon im legendären Neuköllner Queerlokal Ludwig. Jetzt trinkt man zusammen Kaffee, die Fotografin ist von eminenter Zugewandtheit – aber ein Bild, auf dem er einen Baum umarmt, was Amelung hübsch fände, das findet sie peinlich.

taz am wochenende: Kann man als Freund von Trans*menschen noch ruhigen Gewissens Romane von ­Joanne K. Rowling lesen, nachdem Sie sich bei Twitter dagegen verwahrte, als „Mensch, der menstruiert“ bezeichnet zu werden? Kann ich meinem Patensohn noch „Harry Potter“-Geschichten vorlesen?

Till Randolf Amelung: Ach, das muss jeder selbst entscheiden. Wenn wir alle Werke von Promis aussortieren, weil sie kontroverse Ansichten vertreten, wird es wohl sehr leer im Bücherregal.

Rowling möchte weiter als Frau verstanden werden, nicht als „Mensch mit Vagina“ – verstehen Sie die Schriftstellerin?

Ja, denn das klingt halt wie liebloser Behördensprech. Es geht wohl auch an der Wirklichkeit der meisten Menschen vorbei, in 98 Prozent der Fälle ist ein „menstruierender Mensch“ halt eine Frau. Rund um das Thema Männer gibt es solche Diskussionen übrigens nicht – also, dass sie, zum Beispiel, als „Menschen mit Prostata“ genannt werden, um inklusiv zu sein.

Es ist also in Ordnung, dass Joanne K. Rowling als Feministin „Frau“ bleiben möchte?

Durchaus, denn es geht ja um die Vermittlung von gesellschaftlichen Ungleichheitsverhältnissen, die sich am Geschlecht festmachen – und das ist nicht nur für die Schriftstellerin in ihrem Verständnis markiert am Wort „Frau“ und Menschen mit darunter verstandenen Körpern.

Woher rührt der Furor von manchen Transaktivist*innen, Rowling, eine der Paradefiguren linksliberaler Weltvorstellungen, jetzt faktisch zur Paria zu erklären, zum vollständig inakzeptablen Menschen?

Sie weigert sich ja offensiv, bestimmte Sichtweisen zu teilen. Andererseits scheint das ja auch Studierenden in Gender-Studies-Seminaren zu passieren. Gerade klagte eine queerfeministisch orientierte Hochschuldozentin auf Twitter, dass ihre Studierenden nach einem Semester immer noch Cis-normativ seien und bei „Gebärenden“ nur von Frauen sprächen. Dieses ex­tre­me Pädagogisieren von Weltbildern, die schwer anschlussfähig sind, stößt auf Abwehr.

Wie war Ihr eigener Weg zum Trans*­mann?

Ich habe mich Ende 2006 geoutet und mir dann langsam meinen eigenen Weg erarbeitet. Vorher habe ich versucht, als nichtrollenkonforme Frau klarzukommen, mein erstes Coming-out war eines als Lesbe. Seit 2011 habe ich alles abgeschlossen, muss also nicht mehr auf OP-Termine oder Behördenentscheidungen warten.

Ihre Eltern waren mit Ihnen als Lesbe zufrieden?

Ja, für sie stimmte das. Aber für mich gab es einen Rest, mit dem ich keine innere Ruhe fand.

Was war dieser Rest, der Sie am Ende bewog, sich auf den Weg einer Transition zu begeben?

Im Interview: Till Randolf Amelung

Jahrgang 1964, ist aufgewachsen in Südniedersachsen. Er studierte Geschichtswissenschaften und Geschlechterforschung in Göttingen. Heute ist er freier Autor und im Veranstaltungsmanagement tätig. Im Berliner Quer­verlag erschien im Frühjahr 2020 der von ihm herausgegebene Sammelband „Irrwege. Analysen aktueller queerer Politik“. Am 21. September um 19 Uhr ist er Gast im taz Talk. Titel: „Trans* – Aspekte einer Lebensform“.

Mein Körper blieb übrig. In Sachen Geschlecht fand ich ihn nicht zu mir gehörend. Ich fühlte mich als Frau auch nicht authentisch.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

taz Talk: Trans* – Aspekte einer Lebensform

Trans* ist der Zustand, seinen Geschlechtskörper als unpassend zu erleben. In den letzten Jahren sind Transpersonen verstärkt medial und auch politisch mit Forderungen nach leichterem Zugang zu medizinischen und rechtlichen Maßnahmen sichtbar geworden. Dabei gibt es auch immer wieder Themen, die für Streit sorgen. Ein Teil dieser Konflikte rührt daher, dass das Verhältnis zum eigenen Geschlecht für viele Transpersonen kein einfaches ist. Man muss akzeptieren, nicht von Beginn an im Identitätsgeschlecht gesehen und somit anerkannt worden zu sein. Fragen über Fragen. Der Autor und Aktivist Til Randolf Amelung stellt sich den Fragen. Moderation: Jan Feddersen, taz-Redakteur. (Livestream des Gesprächs am 21.09.2020, 19 Uhr) | Mehr Infos zu den Talks der taz auf taz.de/talk

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Wie müssen wir uns Ihre Transition vorstellen?

Mit meinem Coming-out Ende 2006 begann der Prozess, aber richtig zum Mann wurde ich durch die Hormone, die ich seit 2008 nehme. Je mehr sich das auch äußerlich zeigte, desto mehr Ruhe spürte ich.

Sie sehen jetzt mit Vollbart und wuchtig gebaut sehr wie jemand aus, den man einen „Kerl“ nennen würde.

Das Äußere hatte natürlich auch damit zu tun, dass mich meine Umwelt anders wahrnahm – und zwar so, wie ich das wollte.

Die Medizinerin und Trans*frau Livia Prüll aus Mainz lehnt die Idee der Propagierung einer vollständigen geschlechtlichen Fluidität aller Menschen und andere ideologische Überwölbungen ab – und pocht stattdessen auf bürgerrechtliche Verbesserungen für Trans*menschen. Wie sehen Sie das?

Menschen sind keine Knetmasse, hier gebe ich Frau Prüll recht. Der Psychologe Aaron Lahl drückte das in seinem Essay in meinem „Irrwege“-Buch treffend so aus – ich zitiere: „Ein fluider Mensch ohne Identität, der unnennbar mannigfaltig begehrt und identifiziert wäre, wäre vielleicht queer, aber auch ein leibloser Mensch ohne Lebensweg.“

Warum bezeichnen sich immer mehr Menschen als „nonbinary“, wollen also weder als Mann noch als Frau gelesen werden?

Hier in Deutschland sind mir drei Gruppen aufgefallen: Zum ersten Trans- und Interpersonen, die sich nicht länger als „Mann/Frau mit Defekt“ stigmatisiert sehen wollen und durch diesen Begriff einen versöhnlichen Umgang mit Biografie und Körper schaffen wollen. Zweitens Cisfrauen und -männer, die eigentlich andere Probleme haben und sich aber über Fragen des Geschlechts an der falschen Stelle abarbeiten. Und zuletzt Trans und Cis, die Geschlecht aus politischer Motivation abschaffen beziehungsweise überwinden wollen.

In Iran ist trans legal, aber Homosexualität, männliche vor allem, strikt verboten und kann mit dem Tode bestraft werden. Wie interpretieren Sie diese Situation?

Die Legalität im Iran ist ja einer Fatwa von Ruhollah Chomeini zu verdanken, was wiederum auf mehrere Briefen und einem persönlichen Gespräch der Transfrau Maryam Khatoon Molkara mit Chomeini zurückzuführen ist. Im Gegenzug musste Molkara versprechen, sich besonders um Sittlichkeit nach Vorstellungen der Mullahs zu bemühen. Es geht den Mullahs weniger darum, Individuen zur Selbstverwirklichung zu verhelfen, als vielmehr um jeden Preis die Fiktion einer sittsam-islamischen, das heißt frommen und heterosexuellen Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Transpersonen dürfen nicht homosexuell begehren, andersherum werden viele Homosexuelle im Iran von Familie und Staat zu einem Geschlechtswechsel gezwungen.

Iran war zeitweise das Land, in dem am zweithäufigsten geschlechtsangleichende Operationen durchgeführt wurden.

Mit dem Begriff „geschlechtsangleichend“ tue ich mich hier schwer. Die Legalisierung bedeutet jedenfalls nicht, dass es keine Diskriminierungen und gewalttätigen Übergriffe auf Transpersonen gäbe. Es gibt auch Transpersonen, die deshalb den Iran verlassen.

Wie begehrt man nonbinär?

Um ehrlich zu sein, bin ich nicht davon überzeugt, dass es „nonbinäres“ Begehren gibt. Inzwischen ist das ja auch so schräg geworden, dass sich zum Beispiel offensichtliche Cisfrauen …

Cis meint hier Frauen, die als solche biologisch geboren werden und als solche auch gelesen werden wollen …

… ja, als trans, weil nonbinär bezeichnen. Da ist man dann unter anderem „genderfluid nonbinary femme“, sieht aber eben eindeutig wie die Frau aus, die man ja auch ist. Geschlecht kann man nicht einfach wegdefinieren – auch nicht beim Begehren.

Wen und was begehren Sie, wenn die Frage erlaubt ist?

Das mag jetzt vielleicht überraschen, denn ich begehre schwul. Na ja, streng genommen bin ich wohl bisexuell, aber ich kriege den Teil mit Heterofrauen nicht hin. Dynamiken des Begehrens habe ich mit Heterosexuellen irgendwie nie aufbauen können. Das ist eine meiner persönlichen Baustellen aus meinem Transsein.

Verstehen Sie, dass viele schwule Männer darauf bestehen, Männer zu sein?

Durchaus, denn viele schwule Männer beschreiben ja ebenfalls, schon früh Erfahrungen des Andersseins gemacht zu haben – und als Schwuler zu einem nichtmännlichen Wesen gemacht worden zu sein. Dagegen wehren sie sich, zu recht.

„Mein Körper blieb übrig. In Sachen Geschlecht fand ich ihn nicht zu mir gehörend“, sagt Amelung Foto: Joanna Nottenbrock

Wäre die Welt aus Ihrer Sicht besser, wenn alle Menschen trans* wären?

Natürlich wäre es schön, wenn alle so wären, wie man selbst, dann müsste man nie wieder etwas erklären. Aber so wird es eben nie sein, und damit muss man klarkommen, zumal es ja auch ziemlich langweilig wäre, wenn alle Menschen so wären wie man selbst.

Ist das nicht genau die Utopie, um die es zu gehen scheint: Wenn sich die Geschlechterbilder verflüssigen, gibt es keine Ungleichheiten und Diskriminierungen mehr.

Viele wollen Geschlecht und damit verbundene Ungleichheiten, Abwertungen, Diskriminierungen, andere Zumutungen auf diese Weise loswerden. Aber das wird nicht funktionieren, vor allem nicht mit dem Konzept von „Nonbinary“. Da werden oft sehr obsessiv Klischees abgeklappert und zugespitzt, sodass Cisfrauen und -männer zu extremen Stereotypen werden, die es doch so gar nicht gibt. Am Ende ist dann niemand mehr Cis.

Immer mehr Mädchen, mehr als Jungen, erklären noch im schulpflichtigen Alter, trans* zu sein. Ist das Mode? Oder vielmehr eine Resonanz darauf, dass es immer noch eine Anstrengung sein kann, eine „Frau“ oder ein „Mann“ werden zu müssen?

In dieser Weise ist mir das jetzt nicht bekannt, sondern eher, dass die Zahl von biologischen Mädchen insgesamt extrem zugenommen hat, die bei Ärzten und Therapeuten vorstellig werden. Ja, ich fürchte, dass darunter auch etliche sind, für die das eine Fluchtbewegung darstellt.

Sollte man Transitionswünschen dieser noch Pubertierenden oder gar Kindern folgen – und ihnen Hormone ver­abreichen dürfen?

Zur Verhinderung der körperlich vorgesehenen Pubertät werden ja erst mal Medikamente gegeben, die die körpereigene Produktion von Sexualhormonen blockieren. Geschlechtshormone werden erst zu einem späteren Zeitpunkt dazu gegeben. Mittlerweile bin ich da wirklich sehr zwiegespalten, weil es einerseits jungen Transsexuellen eine große Hilfe sein kann, aber anderen Kindern vielleicht zu wenig Möglichkeiten gegeben werden, andere Antworten auf Probleme mit dem Geschlecht zu finden.

Trans*-Aktivist*innen fordern einen freien Zugang zu Hormonen, ohne vorherigen „Beratungszwang“. Was spricht denn gegen eine nicht nur flüchtige Beratung einer transitionswilligen, sehr jungen Person – um etwa zu verhindern, dass jemand, ob Junge oder Mädchen, ein potenzielles Coming-out als Lesbe oder als Schwuler nur leugnen oder vermeiden will?

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Rein gar nichts, denn das ist ja anscheinend nicht das einzige Problem. Neulich habe ich in einem Zeitungsartikel aus Australien gelesen, dass ein renommierter Autismusexperte sich Sorgen über Fehldiagnosen macht. Es seien inzwischen auch viele Kinder und Jugendliche mit Autismussymptomen in Genderambulanzen, die nicht weiter abgeklärt würden. Stattdessen werde Pharmakologisches schnell verabreicht, zu schnell.

Für Aufsehen erregen mittlerweile die Schicksale sogenannter Retransitioneers: Menschen, die ihre Transition mittels chirurgischer Eingriffe bereuen.

Solche Geschichten werfen Fragen auf, was vielleicht gegenwärtig nicht gut läuft. Man sollte mit ihnen sprechen, um für bessere Beratung und Diagnostik sorgen zu können. Das gilt übrigens auch bei Erwachsenen.

Viele junge Mädchen fühlen sich in der Pubertät unwohl in ihrem Körper – besteht nicht bei einigen von ihnen die Gefahr, eine Transition als eine Notausgang zu missbrauchen, der am Ende gar nicht taugt?

Bei etlichen der Detrans-Geschichten, die in letzter Zeit sichtbar wurden, hatte ich diesen Eindruck, ja. Deswegen finde ich es so wichtig, sich in einem geschützten Rahmen Zeit zu nehmen, die eigene Motivation für eine Transition anzuschauen und sich zu fragen, ob diese wirklich die einzige Möglichkeit ist.

Es wird geäußert, das Thema „Retransition“ zu erörtern, sei schon transphob. Ist das so?

Nicht per se, sondern nur, wenn man es benutzen will, um Transitionen gänzlich zu verbieten. Für viele im Transaktivismus ist dieses Thema aber unverdaulich, weil sich Forderungen nach einem liberaleren Zugang zu Geschlechtsangleichung ganz ohne psychotherapeutische Begleitung nicht mehr gut vermitteln lassen. Transleute reagieren, ich finde zu recht, empfindlich, weil die politischen Räume wieder enger werden – etwa in Ungarn, wo Transmenschen vom Gesetz nicht mehr anerkannt werden.

Sind Sie mit Ihrer eigenen Transition zufrieden?

Ja, das bin ich, sehr. Ich habe mir aber auch mehr Zeit mit allem gelassen, als vielleicht viele andere, was ich aber auch persönlich gebraucht habe. OPs wollen gut überlegt sein. Was einmal weg ist, ist weg, und eine Revision des Revidierten kann nie wieder den ursprünglichen Zustand erreichen. Bei Hormonen sind einige Effekte wie Stimmbruch auch nicht mehr umkehrbar. Ich muss also die nächsten 20, 30, 40 Jahre mit meinen Entscheidungen leben.

In queerfeministischen Kreisen wird gewünscht und gefordert, schwule Männer und lesbische Frauen sollten Trans*personen in ihre Subkulturen lassen, auch in Darkrooms. Wie beurteilen Sie das?

Transpersonen sind ja schon dort. Ich übrigens auch, allerdings erst seit meiner Brust-OP und zufriedenstellendem „Passing“ durch die Hormone.

Passing“ ist was?

Dass das eigene Geschlecht auch von anderen so erkannt wird.

Zurück zur Darkroom-Präsenz von Transmenschen.

Ich brauchte die Brust-OP und das „Passing“, ehe ich dort hinging. Vorher hätte ich das unpassend gefunden. Ich bin mir natürlich bewusst, dass meine körperliche Ausstattung ohne Genital-OP nicht das ist, was andere Männer dann erwarten, und dementsprechend verhalte ich mich. So habe ich nie Pro­ble­me. Eine Transperson mit Passing und Genital-OP lässt ja übrigens auch keine Fragen mehr aufkommen, und da wüsste ich dann nicht, wieso man über ihre Anwesenheit in einem Dark­room noch diskutieren muss. Davon abgesehen, gilt ja für alle im Darkroom, dass sich das Glücksversprechen nach totalem Sex und Begehrtwerden nicht wirklich erfüllt – man selbst wird von einigen abgewiesen oder weist wiederum andere ab.

Die Homosexuellen kämpften früher dafür, dass „feminine“ Jungs auch Jungs sind und „butche“ Frauen auch Frauen. Heute, so scheint es, gibt es ein pharmakologisch-medizinisches Angebot nicht nur für jene, die tatsächlich trans* sind, sondern für alle, deren Charakter sich nicht in die klassische Binarität fügt. Passt das nicht allzu gut in unsere Zeit?

Jedenfalls ist das der Punkt, der wichtigste in allen Diskursen momentan.

Anstatt sich politisch-psychologisch mit den Fragen des Geschlechts auseinanderzusetzen, nähert man sich dem Problem medizinisch, wie ein Ingenieur.

Grundsätzlich müssen wir uns ernsthafter der Frage stellen, welche Auswirkungen die patriarchalen Strukturen der Gesellschaft auch auf Individuen haben. Die Gesellschaft hinkt quasi dem medizinischen Fortschritt hinterher, und so ist es dann nicht gänzlich überraschend, dass auch Leute ohne Geschlechtskörperdysphorie Transi­tions­maßnahmen attraktiv finden – allerdings aus den falschen Gründen.

Dysphorie – heißt was?

Die Diskrepanz zwischen Geschlechtserleben und Geschlechtskörper.

Sind nicht alle Menschen, vor allem später Homosexuelle, geschlechtsdysphorisch irritiert, weil sie ihr Lesbisches oder Schwules nicht positiv integriert kriegen?

Entscheidender ist eher, dass die männliche Pubertät biologischen Jungen insgesamt weniger komplizierte Integra­tions­leistungen abzuverlangen scheint als biologischen Mädchen, was anscheinend sowohl biologische als auch so­zia­le Ursachen hat.

Von welcher besseren Welt träumen Sie?

Ich wünsche mir, dass wir alle, egal ob homo/hetero oder cis/trans, eine Gesellschaft vorfinden, die uns auch in Differenzen ein positives Selbstbild entwickeln sowie liebe- und lustvolle Beziehungen miteinander erleben lässt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

34 Kommentare

 / 
  • Ich bin eben über das Linus-Giese-Interview hierher gelangt und frage mich gerade, ob ich taz oder FAZ lese.

    Ich unterstelle Herrn Amelung mal keinerlei bösen Willen, aber hier vertritt er ein paar Einstellungen, die letztlich großen Schaden anrichten.



    Die Grundhaltung von "Die sollen sich mal nicht so anstellen"

    Das menschliche Körperschema, die menschliche Psyche, das persönliche Verhältnis zu gesellschaftlichen Geschlechtersystemen... sind höchst kompliziert.



    Das binäre Geschlechtssystem reicht nicht aus, um die Pluralität der Menschen zu erfassen; und das geht weit über Abweichungen von Stereotypen hinaus. (Es gibt und gab schon lange tomboys, fems, butches, binäre Transition, und die meisten Cis-hetero-Menschen finden sich im einen oder anderen Klischee nicht wieder. Aber nichts davon macht den Sammelbegriff "nichtbinär" überflüssig - und auch nicht umgekehrt.



    Der Selbstfindungsprozess ist komplizierter geworden, weil nun mehr Möglichkeiten bekannt sind - und damit muss sensibel umgegangen werden, aber es gibt keinen Grund, gnc-Menschen und Trans-Aktivist_innen gegeneinander auszuspielen.)

    Die Reduktion von Identität auf Geschlechterrollen/Vorurteilen findet übrigens verstärkt im Gatekeeping-/ bzw. Begutachtungssystem statt, das Amelung verteidigt hat. Menschen werden gefragt, ob sie als Kind mit Puppen oder Autos gespielt haben, um festzustellen, ob sie denn "wirklich" trans sind. Es ist nicht der Queerfeminismus, der Vorurteile stärkt.

    • @Euryale:

      [Forts.]



      Amelung scheint aber zu unterstellen, es sei reine Selbsttäuschung, wenn jemandem das Zwangskorsett des binären Geschlechts nicht passt.



      Trans-sein sollte es eigentlich leicht machen, nichtbinäre Menschen zu verstehen.



      Das Verhältnis zum körperlichen Geschlecht und zu Geschlechterzuschreibungen kann ebenso intensiv und schmerzvoll sein wie bei binären trans Menschen, aber eben noch mal eine Spur komplizierter.

      Wir sind alle dem gesellschaftlichen System von Gender unterworfen, und wir entwickeln alle verschiedene Umgangsweisen damit.



      Einige haben es leichter, konform zu sein, als andere. Und so eine Stellung kann schnell zu blinden Flecken führen - die eigenen Erfahrungen



      Amelung hat sicherlich viel persönliche Erfahrung mit der Community, aber mit der Unterstellung, dass andere nicht wissen, was sie brauchen, lehnt er sich zu weit aus dem Fenster.

      Der Kommentar über Autismus bekommt im Kontext ebenfalls einen üblen Beigeschmack. Autismus wird häufig gegenüber Transidentität als Differentialdiagnose betrachtet, ohne viel Sinn dahinter, außer dass autistische Menschen als unfähig gelten, ihre eigene Identität, ihre eigenen Bedürfnisse zu kennen. Die Konsequenzen solcher Entmündigung -



      ob in Gendersachen oder anderswo - reichen bis zum Suizid.

      Feddersens Behauptung, medizinische Unterstützung für trans*-Personen würde von der psychosozialen Situation ablenken, halte ich auch für gefährlich. Es muss kein Entweder/oder sein.

      Abschließend bedanke ich mich noch für die detailbezogeneren Aussagen von @KAI BECKER.

  • Ja, dieser Artikel ist interessant. Ich befürworte, dass kritisch mit dem Thema Transition umgegangen wird. Was ich zu bedenken geben möchte: Der sehr lange und bürokratische Prozess ist gerade einer der Gründe, der es vielen Trans*Menschen noch schwerer macht, in einer heteronormativen Gesellschaft ihre Geschlechtsidentität zu finden, nach außen sichtbar zu machen, sich zu outen, etc. Erstmal die Pubertät hinauszuzögern - wie im Artikel zumindest angedeutet - kann hilfreich sein bei der Geschlechtsidentitätsfindung und ist reversibel. Aber jetzt mal ernsthaft: welche*r Arzt verschreibt dann Hormone, geschweige denn Geschlechtsanpassende OPs ohne alles andere ausgeschlossen zu haben? Dafür gibt es doch Ausschlusskriterien gemäß ICD-10; deswegen dauert der Prozess doch so lang, zeitlich und wegen dem verwaltungstechnischen Spießroutenlauf. Was mir wirklich aufstößt, ist das non-binär als Mode abgetan wird...hat mich sehr an die Argumentation der katholischen Kirche gegen LGBTIQA* erinnert: mensch will sich nicht entscheiden, macht es sich damit leicht, erhöht die Auswahl und Möglichkeiten...nein, das stimmt nicht. Wenn es Trans* und Inter*Menschen gibt, warum soll es dann nicht auch Menschen geben, die sich als non-binär oder genderfluid bzw. genderqueer empfinden? Diese Menschen suchen sich das genauso wenig aus wie Trans*Menschen. Und natürlich ist das biologische Geschlecht dann immer noch da und spielt auch eine Rolle. Welcher non-binäre Mensch verleugnet denn seinen Körper bzw. muss sich nicht damit auseinandersetzen? Ich kann die Argumentation gegen Non-Binärität nicht nachvollziehen, finde sie sehr herablassend und uninformiert. Non-Binary People können und wollen sich keinem Dualismus unterordnen, was soll daran falsch oder unrealistisch sein? Unsere Zukunft - sofern sie eine menschenwürdige und menschliche sein soll - ist divers, und divers schließt alle mit ein: cis, trans, inter, non-binär, queer, schwul, lesbisch, pan, bi, asexuell, polyamor, Paare, etc!

  • 8G
    89598 (Profil gelöscht)

    hier eine andere Jenny :-)



    jetzt hab ich noch gar nicht alle kommentare gelesen... aber mich hat das Interview sehr inspiriert und mir wurde plötzlich klar, welche motive bei einer 'cis'hetra oder einem 'cis'hetero im spiel sein können, wenn sie oder er sich ebenfalls dem non-binary selbstkonzept nahe fühlt. wir (und das meine ich, wie es klingt: universalistisch) menschen haben ein paar qualitäten, potentiale, ressourcen (emotional, seelisch, mental - nenn es wie du willst), die nicht (zwingend) binär beschrieben werden können. so viele männer und frauen widersprechen (auch in ihrer ganzen widersprüchlichkeit) den binären und heteronormativen zwängen: der beste beweis, dass es sich um systeme handelt, in denen viele (auch 'cis'...) sich nicht wirklich wieder finden. there are so many ways to be.... die meisten leute, die ich kenne, haben als frauen oder männer so viel 'männliches' oder 'weibliches' (wie nennen wir es? emotional? seelisch...?), dass sie auf binäre zuordnungen trotz ihres 'eindeutigen' frau- und mannseins überhaupt kein bock mehr haben. weil die zuordnungen - wo? in welcher szene? nur im Mainstream? - diese seelische viel-Gestaltigkeit nicht mitdenkt.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Na endlich mal ein normaler Mensch, mit vernünftigen Ansichten.

  • Dieses Interview ist das Differenzierteste und Reflektierteste , was ich jemals zum Themenkomplex gelesen habe. Es werden natürlich auf twitter und



    co. wie üblich die schrillen Kommentare zu erwarten sein, da Ambiguitätstoleranz Weitsicht und Blick über den eigenen kleinen Tellerand in der bubble nicht weit verbreitet ist. Schnelle, eindeutige Lösungen müssen ja her, im Verhalten ist man dann doch recht binär: gut und böse, Mehrdeutigkeit nicht zu ertragen, was ein Zeichen von Unteifw ist.

  • Hrmfz. Wieso äussert sich ein offenbar sehr binärer Mensch so dermassen ignorant über nicht-binäre? Viele scheint er nicht zu kennen - um jetzt nicht Bösartigkeit zu unterstellen.

    Mir (und vielen, nicht allen nicht-binären Menschen) fehlt grundsätzlich das Zugehörigkeitsgefühl zu den binären Gendern. Ich kann mit den do's & don'ts nichts anfangen. Ich weiss, dass "ihr" nur Männchen und Weibchen seht und völlig natürlich Erwartungen, Kompetenzen und Körperfeatures damit assoziiert. Ich nicht.

    Die ganzen Erwartungen und Regeln sind für mich verkomplizierender Quatsch.

    Ich bin trans und nicht-binär, weil ich mit dem ehemals zugewiesenen Gender nichts anfangen kann. Mit "dem anderen" aber auch nicht und deshalb bin ich da raus. Spielt das ruhig, aber ohne mich und nicht mit mir.

    Ich habe keinen "Defekt". Ich wäre "im anderen Geschlecht" genauso falsch. Sowohl vom Gender-, als auch von meinem Körpergefühl. Ich habs probiert...

    Es gibt es keine binäre Rollenvariante, die mich nicht mit völlig unpassenden Zuschreibungen belästigt.

    Ja, dieser Körper hat diverse unpassende Features - aber nicht nur schlechte. Einfach die falsche Mischung. Und ja, "die andere" ist auch nicht 100% mein Ding. Ich wäre mit anderem Chromosomensatz auch nicht cis oder würde es sein wollen.

    Mein Ideal- bzw Wohlfühlkörper ist weder-noch, auch wenn sich nicht wenige Leute entblöden, mir wegen der veränderten Features schon wieder irgendeines ihrer Gender zu unterstellen.

    Mein einziges Problem mit dem Genderzeugs, das ich für meine Person überwinden möchte sind die binären Zuschreibungen. "Weil du X bist, darfst/musst du ABCD tun/mögen, darfst DEF nicht und dein Körper hat diese Features zu haben und jene nicht". Bullshit. Können die binären für sich gerne so halten, aber es gibt absolut keine gesellschaftliche Notwendigkeit, dass allen aufzuzwingen.

    Wir haben auch keine Staatsreligion. So wie ich mich jeglicher Religion verweigern kann/darf, kann/darf ich das auch beim Genderspiel

    • @Kai Becker:

      Ja, die Aussage, es gäbe kein "dazwischen", hat mich auch erst etwas gestört, doch seine weiteren Bedenken hinsichtlich der Entstehung des Gedankens, zeigen für mich schlüssig und nachvollziehbar, warum er dieses System für sich ablehnt.



      Entferntes Beispiel: durch die Emo-Welle vor einigen Jahren wurde ich in meinen Problemen nicht ernst genommen und als Mode-Borderline deklariert, obwohl ich dringend Hilfe gesucht habe. Ein so weit verbreitet auftretender Anstieg einer "Störung", für Jugendliche auch gerne "etwas, das mich definiert, als Person und Teil einer Gruppe, und von anderen abgrenzt", ist immer ein Alarmzeichen näher hinzusehen. Übersehen werden dann oft diejenigen, die tatsächlich aus manifesten Gründen leiden.



      Es total okay seine Meinung zu äußern sich diesbezüglich nicht in ein "nichtbinäres" Empfinden hineinversetzen zu können und es daher nicht nachempfinden zu können. Jetzt direkt wieder spalten in "die Binären", weil dieser Herr seine Meinung geäußert Hat, ist nicht zielführend.

      Gegen Ende des Interviews spricht er sich ja auch dafür aus, dass ein trotz Differenzen bestehenden Denkens, ein gemeinsamer Umgang, egal wie definiert, möglich ist. Der Charakter eines Menschen ist ausschlaggebend für meine Interaktion mit ihm, nicht sein Körper.

      Ein fehlendes Zugehörigkeitsgefühl klassischer binärer Kategorien ist hier schon mal ein Hinweis auf ein zu sehr daran orientierten Denkens, dass es die Gruppe männlich oder weiblich gibt, mit ihren gesellschaftlichen Idealen, von denen man überzeugt zu sein scheint, ihnen auf irgendeine Art entsprechen zu müssen. Ein Dilemma derzeit ist, dass junge Frauen mit katastrophalen Voraussetzungen sich selbst erfinden müssen, in ihrer individuellen Weiblichkeit, da sich die soziale "Norm" zu einem riesigen Haufen voller Fragen und Ansprüchen darauf entwickelt hat, was Weiblichkeit nun bitte zu sein hat? Die Antwort: es gibt keine pauschale Antwort dazu. Nur die eigene Definition in Bezug auf ihre Person.

    • @Kai Becker:

      "Spielt das ruhig, aber nicht mit mir"

      Ernsthaft? Wie kann man anderen Ignoranz vorwerfen und dann sowas schreiben?

      • @Der eindimensionale Mensch:

        Ich ignoriere ja nicht die Bedürfnisse genderbinärer Menschen. Ich bezweifle auch nicht ihre Gefühle von Identität und Zugehörigkeit. Aber ich belasse es bei ihnen, freue mich für sie, und möchte einfach selbst nicht von ihnen dafür vereinnahmt werden.

        Analog: "Aber du musst doch ENTWEDER Bayern Fan ODER HSV Fan sein". "Aber du musst doch ENTWEDER Bier ODER Wein lieben". Nein. Muss ich nicht. Ich kann mit Fussball nichts anfangen. Ich trinke manchmal Bier, manchmal Wein, aber auch ganz viel Kaffee, Wasser und Apfelschorle.

        Das ist das Gegenteil von Ignoranz. Das ist gelebte Pluralität. I.D.I.C.

    • @Kai Becker:

      "Hier in Deutschland sind mir drei Gruppen aufgefallen: Zum ersten Trans- und Interpersonen, die sich nicht länger als „Mann/Frau mit Defekt“ stigmatisiert sehen wollen und durch diesen Begriff einen versöhnlichen Umgang mit Biografie und Körper schaffen wollen. ..." - Das scheint ja auf Sie zuzutreffen. Inwiefern sehen Sie jetzt Amelung im Widerspruch zu Ihnen?

      • @Ewald der Etrusker:

        Naja, laut Amelung ist die ganze Kategorie Nonbinär Schwachfug. Bzw er nimmt sich heraus Menschen die sich entsprechend einordnen als Cis zu definieren. Da ist dann mal wieder die alte Frage ob mensch um Trans zu sein irgendwelche angleichenden OPs/Behandlungen braucht, wird soziales Gender wieder zum rein körperlichen Thema. Das es aber nicht ist. Amelung ist ja auch kein Unbekannter, sondern als Autor im Sammelband Beißreflexe an einer Sigmatisierung des Queeraktivismus beteiligt gewesen. Wobei ihm zugute zu halten ist, dass er da noch mit am nettesten und zugänglichsten argumentiert, und selber recht wenig zum "Beißreflex" neigt. Das lässt sich von den meisten anderen Autoren nicht behaupten.

        • @Nora_X:

          "...wird soziales Gender wieder zum rein körperlichen Thema."

          Das nicht. Aber es ist auch schwierig, das körperliche völlig auszuklammern. Z.B. wird der Versuch, mit einem männlichen Körper eine lesbische Beziehung einzugehen, auf große Schwierigkeiten stoßen.

          Letztlich spielt eben alles eine Rolle.

      • @Ewald der Etrusker:

        Alle drei Gruppen, die Amelung gefunden haben will, stellt er in bekannter Manier als verwirrt, nicht die - bzw seine - (binäre) Realität akzeptierend dar.

        Die einen verweigern sich der Pathologisierung ("Defekt"), die zweiten haben sich nur noch nicht richtig diagnostizieren lassen und die dritten machen es nur wegen des politischen Aufruhrs.

        Nur die Idee, dass es tatsächlich Menschen gibt, die mit dem binären System nichts anfangen können oder wollen, so wie er mit der Zuschreibung Frau, lässt er gar nicht erst zu.

        Motto: Ich kenne die natürliche Ordnung der Dinge und alle anderen müssen verrückt sein.

        Dass das gleiche Schema vor kurzem noch generell für LGBTQIA* galt und in zu vielen Ecken der Welt immer noch, fällt ihm offenbar nicht auf. Auch die Parallele zu JKRowlings essenzialistischen Statements nicht.

        Ich brauche den Begriff nicht-binär nicht, um mich mit meiner Biografie oder Körper zu versöhnen, sondern um meiner Umwelt zu erklären, dass ich noch nie in ihr Schema gepasst habe und das auch nicht vor habe.

        • @Kai Becker:

          Thumbs up. Das begriffliche Verwirrspiel zwischen biologischer und sozialer Definition verschleiert immer noch, dass es sich nicht um ein Feld mit 12 Segmenten (biologisch/sozial/sexuell orientiert) handelt, sondern um graduelle Varianten. Non-binary ist vielleicht deshalb eine so relativ beliebte Selbstverortung, weil sie dem sprachlichen Setzkastensystem des genau umrissen definierten ausweicht.

        • @Kai Becker:

          Bloß noch ein kleiner Einwand: Dass Amelung Gruppe 1 als verwirrt darstellt, ist Ihre Interpretation. Der Text gibt das so nicht zwingend her.

  • Ein weit verbreiteter Irrtum scheint die Annahme zu sein, eine Identität ließe sich aus einem Menschen quasi herausmeißeln wie eine Skulptur aus einem Stein. Die logische Konsequenz dieser Annahme ist es dann, von Chirurgen und Hormontherapeuten zu erwarten, dass sie stellvertretend für die Betroffenen das Wunder der Selbstwerdung vollbringen.

    Woher der Irrtum rührt? Vielleicht aus dem unreflektierten Konsum solcher militärisch-industrieller Vokabeln wie Menschenmaterial und Kostenfaktor. Vielleicht auch aus einer Vorstellung von Bildung, wie sie schon vor 2000 existiert hat. Vor allem aber aus der Erfahrung, nicht als Person mit Gefühlen und Gedanken wahrgenommen zu werden, sondern nur in der Funktion eines mehr oder weniger reibungslos funktionierenden Rädchens im großen Getriebe, an dessen Hebeln nur die aller Mächtigsten drehen dürfen.

    Wie dem auch sei. Die Bildhauer-Idee ist jedenfalls ein Schmarrn. Kein Mensch hat nur eine einzige Identität, die er selbst oder ein anderer formen könnte. Identität ist komplex und veränderlich. Sie entsteht in der sozialen Interaktion oder überhaupt nicht. Dabei ist das, was auf Neudeutsch „Feedback“ genannt wird und früher Bestätigung hieß, entscheidend.

    J. K. Rowling wäre ohne den Erfolg ihrer Bücher sicherlich eine andere Person. Auf jeden Fall aber wäre sie niemand, an dem weniger erfolgreiche Menschen zwecks Identitärsfindung herumnörgeln würden. Aber so ist das halt in unsrer Gesellschaft. Der Mensch ist seinen Mitmenschen vor allem eines: ein Mittel zum persönlichen Zweck.

  • Leider sehr treffend beschrieben, wie die Lösung identitätssuchender Jugendlicher zunehmend bei ihrem Körper als Problem gesucht und vermeintlich gefunden wird. Die klassischen Stereotype und das körperliche Idealbild, das propagiert und mit dem kein anderer Umgang gefunden wird als sich selbst stellvertretend abzulehnen, müssen aus den Köpfen verschwinden. Genauso wie der Gedanke alles sofort auf Knopfdruck ändern zu können, um die erhoffte Zufriedenheit dahinter doch nicht zu erfahren.

  • Ich wünsche mir mehr solche in sich ruhenden und neugierigen Menschen, wie Herrn Amelung. Dann klappts auch mit der bunten Gesellschaft.

    Anders gesagt: Wenn die Hälfte der Kritik von Frau Rowling interessante Punkte enthält und die andere Hälfte unreflektierter Quatsch wäre, dann bin ich doch lieber bei denen, die sich mit der interessanten Hälfte beschäftigen wollen, anstatt ihr wegen der anderen Hälfte ins Gesicht zu springen.

  • Das Feddersen noch zu diesem Thema in der taz schreiben darf ey. Eins muss das hier gar nicht mehr lesen um zu wissen was für anti trans propaganda in diesem Interview gerührt wird.

    • @Jenny_:

      ach, das gespraech fuehrt feddersen. interessant, ist mir garnicht aufgefallen. ich finde, es ist ein sehr gutes interview.

    • @Jenny_:

      Da ist nichts auch nur ansatzweise anti-trans. Dieses Interview ist das intelligenteste, was ich seit langem zu dem Thema in der TAZ gelesen habe.

      Eine Schilderung der tatsächlichen Situation ohne ideologische Verblendung.

      Danke an die Herren Amelung und Feddersen.

      PS: Kann mich jemand aufklären, was "...bei „Gebärenden“ nur von Frauen sprächen." bedeuten soll? So weit mir bekannt ist, braucht es zum Gebären einen halbwegs intakten weiblichen Körper.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Trans Männer und nicht-binäre Menschen könne durchaus einen gebährfähigen Körper haben, zum Beispiel weil sie an dieser Stelle keine körperlichen Veränderungen wollen. Es gibt ein paar Beispiele von trans Männern, die Kinder geboren haben.

        Der ganze Aufruhr dreht sich allein darum, dass allerweilen Körper und Geschlechtsempfinden binär assoziiert wird. Das passt häufig, aber eben nicht immer.

        Es wollen auch nicht alle (binären) trans Personen alle verfügbaren körperlichen Veränderungen. Das macht sie nicht weniger Frau oder Mann, auch wenn Aussenstehende sie "falsch lesen". Dieses "Gender lesen" ist ja lediglich ein eingeübtes Vorurteil.

        Und Thema nicht-binär: Siehe meinen Kommentar von eben. Nicht-binäre Menschen können jegliche Art von Körper haben und sind deshalb trotzdem weder Mann noch Frau.

        Körper definieren nicht das empfundene, "soziale" Geschlecht - bzw. die lokal und aktuell gerade gültigen Konventionen der verschiedenen Geschlechter.

        • @Kai Becker:

          "Der ganze Aufruhr dreht sich allein darum, dass allerweilen Körper und Geschlechtsempfinden binär assoziiert wird."

          Das ist hauptsächlich so, weil der allergrößte Teil der Menschen (auch der Transmenschen) damit sehr gut leben können. Sich dabei wohl fühlen.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Es gibt Fälle von Transmännern, die für eine Weile die männlichen Hormone absetzen, schwanger werden, ihr Kind austragen und dann wieder zurück auf Hormone gehen, sich dabei aber die ganze Zeit als Mann identifizieren....

        • @Amandas:

          Ok. Noch nie von einem solchen Fall gehört. Aber geht natürlich theoretisch.

    • @Jenny_:

      Es zeigt Probleme im derzeitigen Umgang mit den möglichen Therapieoptionen auf und gibt einen sehr differenzierten und an den richtigen Stellen kritischen Einblick - aus Sicht eines intensiv in die Thematik involvierten Mannes. Das maximale Trans-Anti, das ich sehe, ist die mangelnde Möglichkeit auf therapeutische Begleitung, die ihre Daseinsberechtigung nicht besser hätte dargestellt bekommen können.

    • @Jenny_:

      anti trans propaganda durch ein Interview mit einem Transmann? Genau.

    • @Jenny_:

      Ich finde das Interview gut, da es unaufgeregt verschiedene Trends und Diskussionen behandelt. Anti kann ich darin nichts finden.

    • 0G
      09922 (Profil gelöscht)
      @Jenny_:

      In dem ganzen Artikel ist nicht ein bisschen Anti-Trans. Hätten Sie ihn vielleicht doch mal lesen sollen und sich ein paar Gedanken machen, die nicht gleich an den Grenzen zum vorgefassten Weltbild enden.

      • @09922 (Profil gelöscht):

        Weniger Anti-Trans, mehr Einengung des Themas Trans auf "Trans mit Op ist True, Trans ohne Op ist false" bzw Behauptungen wie "es gibt kein Nonbinär" - da können sich Menschen schon zu recht angegriffen fühlen.



        Anscheinend sollen auf eine Art doch Menschen sein wie Till, denn bestimmte Selbstdefinitionen sind ok, andere nicht. Gerade da kommste bei dem Thema in Teufels Küche.

        Ansonsten ist es wirklich nicht so als ob Feddersen oder Amelung zu dem Thema keine Vorgeschichte hätten. Da gibt's durchaus shcon Grund vorab mit den Augen zu rollen. Lesen sollte mensch den Kram dann natürlich trotzdem um was dazu sagen zu können.

        • @Nora_X:

          "Weniger Anti-Trans, mehr Einengung des Themas Trans auf "Trans mit Op ist True, Trans ohne Op ist false""

          Man kann es auch anders sehen. Für die meisten Transsexuellen ist No-Bi (lustiger Begriff) völlig undenkbar. Und sie wollen damit auch nicht in einen Topf geworfen werden, weil sie (manchmal nach einer Phase der Selbstfindung) genau wissen, ob sie Männlein oder Weiblein sind.

          Das Problem liegt deshalb eher darin, dass versucht wird, völlig verschiedene Lebensentwürfe unter einen Hut zu bringen.