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Tod im MüllwagenDeckel zu

Die Nacht in einem Altpapiercontainer endet in Berlin für einen 33-jährigen Obdachlosen tödlich. Er stirbt bei der Entleerung. Folgen für die Zukunft hat das nicht.

Klein, aber immerhin: drei Grablichter und ein Blümchen zum Gedenken Foto: Plutonia Plarre

Berlin taz | Klein und unscheinbar wirken die Grablichter und das Blümchen in dem Hof des Plattenbaukomplexes. Fast hätte man sie übersehen, was an der guten Absicht nichts ändert. Es ist ein Zeichen der Erinnerung an einen Menschen, der an dieser Stelle auf tragische Weise ums Leben gekommen ist. Nur wenig ist über ihn bekannt. Er war 33 Jahre alt, vermutlich obdachlos. Seine letzte Nacht hatte er in einem Altpapiercontainer auf diesem Hof in der Rosenstraße 2 in Berlin-Mitte verbracht.

Es geschah am vergangenen Montag. Zwischen sechs und sieben Uhr morgens rückten Müllmänner der Firma Berlin Recycling mit einem Laster an, um in dem Hof genau jenen Altpapiercontainer zu entleeren. Als der 4,5 Tonnen schwere Metallbehälter in der hydraulischen Presse steckte, hörten die Arbeiter Schreie. Die Feuerwehr konnte den einklemmten Mann nur noch tot bergen.

Ulrich Neugebauer, Initiator des Kältebusses der Berliner Stadtmission, engagiert sich seit mehr als 30 Jahren in der Obdachlosenhilfe. In den Wintermonaten fährt der Kältebus die Schlafplätze von Obdachlosen ab, versorgt sie mit Decken und heißem Tee, versucht, sie zum Mitkommen in eine Notunterkunft zu bewegen. Das Leben auf der Straße sei hart, immer wieder gingen Menschen dort auf tragische Weise zugrunde. Aber so tragische Umstände, wie in dem aktuellen Fall habe er noch nie erlebt, sagt Neugebauer. Der Mann habe keine Chance gehabt, zu entkommen.

Was den Teamleiter des Kältebusses auch bedrückt: Der Kältebus war in der Nacht von Sonntag zu Montag in der Rosenstraße 2. Die Mitarbeiter hätten im Hof eine obdachlose Frau versorgt und in eine Notunterkunft gebracht, erzählt Neugebauer. Von der Existenz des Mannes in dem Papiercontainer ein paar Meter weiter habe niemand geahnt. Der Gedanke lasse einen nicht los.

Lieber im Freien schlafen

Rund 6.000 Wohnungslose leben laut Neugebauer in Berlin zeitweise auf der Straße, rund 1.200 Schlafplätze in Notunterkünften stünden zur Verfügung. In der Unglücksnacht seien die Unterkünfte zu 95 Prozent ausgelastet gewesen. Er warne aber davor, eine etwaige Unterausstattung des Hilfesystems für den Todesfall verantwortlich zu machen, sagt Neugebauer.

Es ist bekannt, dass Notunterkünfte nicht von allen Obdachlosen aufgesucht werden. Viele schlafen lieber im Freien, weil sie die Bedingungen in den Unterkünften unzumutbar finden. Andere, weil sie psychisch krank sind und auch sonst für Hilfsangebote nicht erreichbar sind. „Wir erleben im Kältebus immer wieder, dass Leute keine Unterstützung wollen“, sagt Neugebauer. Das sei zu akzeptieren. „Ich kann niemanden zwingen, mitzukommen.“

Gerüchte besagen, der Tote kam aus Polen, offiziell bestätigt ist das nicht. Philip Moninger ist Streetworker beim Verein Gangway. Seit drei Jahren macht er Obdachlosenarbeit. Wohnungslose aus Osteuropa fielen aus allen Hilfesystemen, das erlebe er immer wieder, sagt Moninger.

Ein historischer Ort

Die Rosenstraße 2 ist ein historischer Ort. Ein Denkmal erinnert daran, dass Frauen hier 1943 die Freilassung ihrer von der Gestapo festgenommenen jüdischen Männer erkämpft hatten. An der Stelle des früheren Gewahrsams steht heute der mächtige Plattenbaukomplex aus DDR-Zeiten. Die Balkone gehen zum Hof raus, wo das Unglück stattfand. Die Müllcontainer sind nebeneinander aufgereiht, auf einer Laderampe befinden sich die Hinterausgänge von Gaststätten und Bistros.

Zwei Köche eines Steakhauses sind zum Rauchen auf die Rampe getreten. Sie wissen von dem Vorfall. „Die müsste man abschließen, damit das nicht wieder passiert“, sagt einer der beiden mit Blick auf die Container. „Das ist schon grausam, wie jung der war, der hätte noch 40 Jahre vor sich haben können“, sagt der andere.

In den Nächten vor dem Geschehen habe oft ein Obdachloser auf der Rampe gelegen, erinnern sich die Köche. Hinten rechts, in der Ecke habe er geschlafen. „Meistens kommen die ja in der Nacht immer wieder an dieselben Stellen zurück.“ Weitere Mutmaßungen wollen die Köche nicht anstellen.

Müllcontainer als Schlafplatz

Dass Menschen in Not in Mülltonnen Zuflucht suchen, ist aus England bekannt. Wohnungslose übernachteten zunehmend in „recycling bins“, berichtete die BBC schon 2014. Eine Housing Development Association (HDA) schrieb 2020 auf ihrer Website unter Berufung auf einen Report der „Waste Industry“, dass mindestens sieben Obdachlose in den fünf Jahren zuvor bei der Entleerung von Containern in Müllfahrzeuge gestorben seien.

Müllcontainer als Schlafplatz? In Berlin sei ihm das bisher nicht zu Ohren gekommen, sagt Kältebus-Leiter Neugebauer. Ausschließen könne er das nicht. Manche Obdachlose übernachteten „offensiv“ im öffentlichen Straßenraum, weil sie sich so geschützter fühlten. Andere versteckten sich, auch aus Angst vor Übergriffen. Das Kältebus-Team kenne viele Plätze, aber längst nicht alle, strikt geheim würden diese gehalten. Er selbst habe einmal einen Mann aus einem Komposthaufen kriechen sehen, sagt Neugebauer. „Kompost gibt Wärme ab.“

Auf dem Vorplatz des nahen Berliner Doms hört eine Frau den Klängen eines Geigers zu. Sie ist vielleicht 50 Jahre alt, hat kaum Zähne im Mund, trägt Turnschuhe und Leggings, hat eine Isomatte und einen Schlafsack umgehängt. Sie sei aus Bielefeld, schlafe in Berlin auf der Straße, meistens in überdachten Bushaltestellen, erzählt sie. In Altpapiercontainern würde sie nicht Zuflucht suchen, betont sie. Auch wenn es zwischen den Pappen bestimmt warm sei. Sehr gefährlich sei das. In Bielefeld hätten Verrückte schon oft Feuer in den Tonnen gelegt. Eine brennende Kippe reiche. „So schnell kommst du da nicht raus.“

An der Essensausgabestelle der Stadtmission am Bahnhof Zoo. Ein Mann in orangem Anorak hat sich einen Becher Kaffee geholt. Er schlafe in einer Mission, sagt er. Die Aufregung über den Fall verstehe er nicht. Ständig würden Leute auf der Straße sterben. Er sagt: „Drogen, Alkohol, Kälte, Krankheiten, Wunden – das doch nichts Besonderes.“

Im Tunnel am Bahnhof Zoo reiht sich Matratze an Matratze. „Wir passen aufeinander auf, wir kennen uns alle“, sagt ein älterer Mann mit Bart und Mütze in bayerischem Dialekt. Warum jemand zum Schlafen in einen Müllcontainer kriecht? „Der kann ja nur keinen Schlafsack und keine Decke gehabt haben“, vermutet der Mann.

Berlin Recycling schweigt

Die Firma Berlin Recycling ist eine selbstständige Tochter der Berliner Stadtreinigung (BSR). Eine Stellungnahme zu dem Unfall und den Folgen war von Berlin Recycling nicht zu erhalten. Anders als die BSR befinden sich die Kollegen des Tochterunternehmens nicht im Streik. Der Schock über den Todesfall sitze nicht nur bei den beteiligten Kollegen tief, sagt Lisa Baumeister, bei der Gewerkschaft Verdi zuständig für Abfallwirtschaft, zur taz.

Ulrich Neugebauer sagt, er gebe niemandem die Schuld, es dränge sich aber eine Frage auf: „Vielleicht machen die vor der Entleerung der Container in Zukunft wenigstens mal den Deckel auf.“

Anders als Berlin Recycling zeigt sich die BSR bereit, wenigstens Neugebauers Frage zu beantworten. Nicht ohne vorwegzuschicken, dass es bei der BSR in den letzten Jahren „solche Ereignisse glücklicherweise nicht gegeben“ habe, sagt BSR-Sprecher Sebastian Harnisch: „Die Beschäftigten unserer Müllabfuhr nehmen vor Entleerung der Abfallbehälter stichprobenartig Sichtprüfungen vor.“

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12 Kommentare

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  • Sorry, aber die Forderung jede Mülltonne abzuschließen oder sie vor der Entleerung zu Prüfen wegen eines Todesfalls ist genauso unsinnig wie Forderungen, alle Bahngleise einzuzäunen oder alle Dorfteiche, weil es da 1x im Jahr einen Todesfall gibt. Im Leben gibt’s immer ein gewisses Risiko - damit sollte man umgehen. Alles kann und muss man nicht absichern.

  • Wird uns doch in jedem Actionfilm gezeigt wie es läuft. Stirbt ein Freund des Hauptdarstellers herrscht Volkstrauer, die Gegner dagegen sind oft namenlos und sterben reihenweise unter Applaus. Klassengesellschaft is lang nicht Vergangenheit

  • Was soll denn eine Sichtprüfung helfen?



    Bei der Kälte verkriecht man sich zwischen den Pappen, da siehst du von oben gar nichts - schon gar nicht in einem Augenblick 🤷‍♂️



    Es ist ein tragischer Unfall. Wenn Supermärkte ihre Tonnen absperren kritisiert ihr sie, dass sie Menschen die Containern wollen behindern wollen - dann kann man jetzt nicht sagen, die Tonne hätte abgesperrt gehört...



    Unfälle lassen sich leider niemals vollkommen verhindern.



    Ich wünsche es dem Verstorbenen, dass sich seine Indentität klären lässt und so seine Angehörigen ausfindig gemacht und informiert werden können.

  • Die Unterstellungen gegenüber den Müllarbeitern sind einfach nur erbärmlich. Der sollte den Job mal selbst machen, das hätte dem auch passieren können. Hoffentlich bekommen die Arbeiter wenigstens psychologische Betreuung.

  • Man könnte zynisch fragen "ist das schon das neue CDU/SPD-Programm, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen bzw. gleich möglich Anwärter loszuwerden?"



    Denn mehr wird bei der uns jetzt drohenden Regierung nicht getan werden.

    • @Jalella:

      Naja Prinzipiell ist für wohnungslose aus Polen, Polen zuständig, für Wohnungslose Deutsche Deutschland. Die perfekte Lösung hat niemand gefunden wie man Obdachlosigkeit loswird.

    • @Jalella:

      Man könnte immer vieles tun. Ich würde diese Art des Zynismus eher als redundant und wenig zielführend begreifen.

      Vielmehr zeigt ihr Beitrag die heutzutage gern genutzte Simplifizierung komplexer Sachverhalte dar.

  • Diese Stichprobenartige Sichtprüfung kostet Zeit. Lässt das Unternehmen seinen Mitarbeitern diese Zeit?



    Von außen scheint es so einfach, in jede Tonne mal reinzuschauen. Doch im Arbeitsalltag zeigt sich schnell, so eine flüchtige Sichtprüfung in einem vollen Container bringt nicht viel, wenn der Mensch, der drinliegt sich nicht sofort bemerkbar macht, weil er vielleicht gerade erst geweckt wurde.

    • @Herma Huhn:

      Dann hat man aber wenigstens einen Sündenbock zur Hand :V

    • @Herma Huhn:

      Und Stichprobenartig hilft es sowieso nicht. Wenn nur in jeden zehnten Container einer reinguckt, wird auch im besten Fall nur jeder zehnte gefunden.

    • @Herma Huhn:

      Vorallem, liegt der Mensch ja nicht zwingend ganz oben sondern sucht Schutz unter Pappe und dann werden die Container oft frühmorgens geleert wo es noch dunkel ist. Man müsste sie halt abschließen.

      • @Machiavelli:

        Die Container abzuschließen wäre eine krass unsolidarische Aktion gegenüber Containerern. Die taz hat mehrfach darüber im erwartbar anklagendem Ton berichtet. Man kann es nicht richtig machen.