Thirdlife-Crisis: Wie leben jenseits der 30?

Obwohl scheinbar alles gut läuft, steckt unsere Autorin in einer Krise – und fordert mehr Akzeptanz für alternative Lebenswege jenseits der 30.

Ein abgerissenes Werbeplakat mit dem Gesicht einer jungen Frau

Vergänglichkeit kann sooo schön sein Foto: Benjakon

Ich stecke in einer handfesten Krise. Dabei ist eigentlich alles okay. Ich habe einen Job, den ich zuweilen sogar ganz gut finde. Ich bin in einer festen Beziehung, die zuweilen sogar sehr glücklich ist. Ich habe gute Freund*innen, die ich zuweilen sogar sehen kann. Ich könnte mich zurücklehnen und das Leben genießen. Doch ich werde von dem Gefühl gequält, dass es so nicht mehr weitergehen kann.

Die menschliche Existenz ist eine einzige Krise, doch einige Krisen fallen besonders auf. Da ist die allseits bekannte Midlife-Crisis, die angeblich vor allem Männer zwischen 40 und 55 Jahren trifft. In dieser Zeit trauert die Person verpassten Lebenschancen nach und wird sich ihrer Sterblichkeit stärker bewusst. Also klammert sie sich an ihre Jugend, indem sie sich einen Porsche und/oder eine junge Geliebte anschafft – so das Klischee.

Seit einigen Jahren kennt man nun auch die Quarterlife-Crisis, die vor allem Personen in ihren 20ern betrifft, wenn sie das erste Mal wirklich „erwachsen“ sein müssen – zum Beispiel nach dem Uniabschluss. Diese Zeit ist mit einem orientierungslosen Rumgeeiere verbunden und dem anstrengenden Kampf um seinen Platz in der Welt.

Jetzt könnte man meinen, dass es die thirtysomethings gut getroffen hat. Man ist nicht mehr der Praktikant, sondern jemand, dem die Menschen tatsächlich auch mal zuhören. „Fomo“ (Fear of missing out) quält einen nicht mehr, da man schon einige wilde Partys gefeiert hat und die Ruhe schätzen kann.

Andererseits fällt man noch nicht negativ auf, wenn man doch clubben will (zumindest in Berlin). Es scheint das Beste aus zwei Welten zu sein. Stattdessen fühlt es sich an, als ob beide Krisen zu einer neuen Krise fusioniert sind.

Ich fühle mich immer noch nicht angekommen und weiß nicht, wie die nächsten Schritte aussehen sollen. Wie damals nach der Uni. Gleichzeitig fühle ich einen immensen Druck. Als ob ich mich am Ende eines wichtigen Zeitfensters befinde. Als ob gilt: Jetzt oder nie.

Und da zeigt die Midlife-Crisis ihr Gesicht. Ich bin vielleicht noch jung, aber auch nicht mehr die Jüngste. Der erste Verschleiß ist da: Jetzt brauche ich tatsächlich mal Schlaf und nach dem Weingenuss folgt erst einmal das Sodbrennen. Und auch bei meinen Freun­d*in­nen sehe ich mehr graue Haare, die ersten Fältchen und die ersten ­Wehwehchen. Und wir wurden gewahr, dass wir immer älter werden und wir waren immer noch auf der Suche nach etwas. Nur nach was?

Es winkte eine herrliche Zukunft

Letztes Jahr las ich das erste Mal die „Glasglocke“ von Sylvia Plath. Darin schreibt sie: „Gleich dicken, purpurroten Feigen winkte und lockte von jeder Zweigspitze eine herrliche Zukunft.“ Damit beschrieb Plath eindrucksvoll, wie man als junger Mensch angesichts einer immensen Auswahl an Lebensentwürfen paralysiert ist, unfähig, eine Entscheidung zu treffen.

Ich zog eine Parallele zu meiner aktuellen Situation. Auch ich fühle mich an einem Scheideweg und müsste mich mal entscheiden. Und einige der Feigen scheinen mittlerweile verdorrt zu sein oder erscheinen mir entfernter denn je.

Ich möchte keine Familie gründen. Der Zeitpunkt für einen wie auch immer gearteten Karrieredurchbruch scheint auch vorbei zu sein. Ein Aussteigerleben kommt mir unangenehm vor. Ewig rumreisen ist zu anstrengend. Weitermachen wie bisher wird irgendwann peinlich. Man muss doch den Absprung schaffen.

Will ich mit 50 immer noch so leben wie mit 30?

Dann fiel der Groschen. Meine diffusen Sorgen, dieser Druck, diese Vorstellungen: Sie haben ihren Ursprung im extrem negativen, einseitigen Bild vom Alter jenseits der 30, das in der Gesellschaft verankert ist.

Das gilt vor allem für Frauen. Da ist das Narrativ der armen Frau, die eben das Zeitfenster für das gute Leben (Heim/Kinder) verpasst hat. Die nun verwelkt ist und nicht merkt, dass auf der Tanzfläche alle miteinander tanzen, aber niemand mit ihr. Sie ist „liegen geblieben“, hat es „nicht geschafft“.

Das gilt auch für den Bereich Karriere: Wenn man jetzt nicht durchstartet, wann dann? Es gibt ja nicht ohne Grund die Rubrik „30 unter 30“. Ich weiß natürlich, dass es viele Wege zum sogenannten guten Leben gibt. Ich weiß, dass mit 30 noch lange nicht Schluss ist.

Ab 25 verringert sich der Freundeskreis

Denkt doch mal an „Sex and the City“, wo die Protagonistinnen in ihren 30ern sind und trotzdem Cocktails trinken, Party machen und Männer verführen – in den ersten Staffeln zumindest. Denn auch Carrie, Miranda und Charlotte heiraten und kriegen teilweise Kinder. Selbst Samantha wird ruhiger. So fehlen die Vorbilder, die die unbewusste Angst des „Liegenbleibens“ herausfordern.

Gleichzeitig wird die Angst von der Realität immer wieder bestätigt. Eine Studie der Aalto-Universität und der Universität Oxford besagt: Bis 25 Jahren vergrößert sich der Freundeskreis stetig. Danach werden es immer weniger.

Gefühlt nimmt der Abwärtstrend ab 30 noch mehr an Fahrt auf. Wenn man sich in seinem Freun­d*in­nen­kreis umschaut, sind einige in derselben Situation wie man selbst. Aber viele andere entwickeln sich weiter, sie klettern an den Zweigen entlang und lassen einen zurück. Sie gründen Familien, sie machen die große Karriere. Plötzlich fehlt Zeit und gegenseitiges Verständnis.

Selbst wenn ich also alles so belassen will, wie es gerade ist. Wie lange geht das noch gut? Wie lange habe ich überhaupt noch Freund*innen, mit denen ich die Nacht zum Tage machen kann? Wie lange macht das mein Körper mit? Werde ich meine Entscheidungen noch bereuen?

Das Leben geht weiter und in diesem Fall ist es eine Drohung. Es ist eine Zeit der Orientierungslosigkeit und der Einsamkeit, des gesellschaftlichen Drucks und der mangelnden Alternativen: herzlich willkommen in der Thirdlife-Crisis. Was tun?

Die Medien müssen die altersfeindlichen Narrative aufbrechen und die Vielfältigkeit eines Lebens jenseits der 30 aufzeigen. Wir als Gesellschaft müssen Möglichkeiten schaffen, die ein Leben jenseits der traditionellen Familien- und Karrierestrukturen vereinfacht und ermöglicht. Jeder Einzelne von uns muss sich mit seinen Vorurteilen auseinandersetzen. Das sind alles große Umwälzungen und das dauert. Bis dahin hoffe ich mal auf zwei solide Jahre, bis mich die Midlife-Crisis umhaut.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

schreibt über Medienphänomene, Darstellungen von Minderheiten und Literatur. Pöbelt auf göttlichem Niveau.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.

Ihren Kommentar hier eingeben