Teilmobilisierung in Russland: Eine traumatische Erfahrung
Die „Teilmobilisierung“ von Russlands Präsident Putin für den Ukraine-Krieg betrifft vor allem nichtrussische Ethnien. Der Widerstand wächst.
Viele der betroffenen Männer haben keine militärische Ausbildung, sind zu jung, zu alt oder zu krank, um in den Krieg zu ziehen. „Trotzdem hat man sie aus allen Siedlungen zusammengekratzt, teilweise mitten in der Nacht aus dem Bett geklingelt und abgeholt“, sagt einer, der anonym bleiben möchte. Als ethnischer Burjate und Aktivist kämpft er gegen die russische Nationalitätenpolitik, die er als rassistisch bezeichnet. Seine Region hat er wie viele andere Burjaten vor ein paar Tagen über die mongolische Grenze verlassen.
Dafür benötigt man jedoch einen Auslandsreisepass, über den nur 20 Prozent aller russischen Staatsbürger:innen verfügen. „Unter den Einberufenen sollen wenige ethnische Russen sein. In der burjatischen Bevölkerung wird deshalb das, was uns gerade von der russischen Regierung angetan wird, als Trauma, ethnische Säuberung und hybrider Genozid wahrgenommen“, so der Aktivist.
Auch vor Verkündung der Teilmobilisierung wurden die ethnischen Minderheiten Russlands im Krieg gegen die Ukraine überdurchschnittlich eingesetzt, neben Arbeitslosen, Gefängnisinsassen und ärmeren Menschen aus der Provinz. Auf einen gefallenen Moskauer kommen bisher 87,5 Dagestaner, 275 Burjaten und 350 Tuviner (Republik Tuva), laut der Zivilorganisation Freies Burjatien und dem oppositionellen Medium Mediazzona.
In abgelegenen Regionen soll die Mobilisierung auch ethnische Russen betreffen, etwa im Dorf Tjumenevo in Sibirien. Novaya Gazeta Europe berichtet, dass alle 59 Männer des Dorfes eine Einberufung zur Armee erhalten haben.
Ethnische Enklaven besonders betroffen
Von 5.000 Mobilisierten auf der von Russland völkerrechtswidrig annektierten Halbinsel Krim sollen über 80 Prozent zu den Krimtataren gehören. In den von Russland besetzten Gebieten in der Ukraine erhalten Ukrainer im Eilverfahren russische Pässe und sollen ebenfalls mobilisiert werden.
Sogar tadschikische Migranten, die in einem Migrationszentrum außerhalb Moskaus eine Arbeitserlaubnis beantragt hatten, sollen unter Nötigung mobilisiert worden sein. Sie sollen dazu genötigt worden sein, einen Militärvertrag zu unterschreiben, um ihre Arbeitsdokumente zu erhalten.
Die ethnischen Enklaven und abgelegene Regionen Russlands tragen die Last des Krieges unverhältnismäßig stark, was nach Ansicht des Institute for the Study of War dort zu Widerstand führen könnte.
Dieser regt sich seit Tagen immer stärker. Drei Beispiele von vielen: In der tschetschenischen Hauptstadt Grosny demonstrierten 130 Mütter gegen die Mobilisierung. In Burjatien gehen seit Tagen Menschen gegen den Krieg auf die Straße. In Jakutien skandierten Hunderte Frauen „Lasst unsere Kinder leben“ und „Nein zum Genozid“.
Auf einen Rekrutierenden geschossen
Am Montagmorgen zündete sich ein Mann vor einem Rekrutierungsbüro in Rjasan, etwa 200 Kilometer von Moskau entfernt, selbst an. In der Region Irkutsk gab ein mobilisierter 25-Jähriger vier Schüsse auf den Kommandeur des Rekrutierungsbüros ab, mit den Worten: „Hier zieht niemand in den Krieg, wir gehen alle nach Hause.“ In Dagestan blockieren seit Sonntag Hunderte die Straßen, unter anderem um Mobilisierungsbusse am Abfahren zu hindern.
In einer dagestanischen Telegramgruppe wurden die Worte eines Demonstranten wiedergegeben, berichtet Novaya Gazeta Europe: „Wir versammeln uns nicht, um uns in ein paar Stunden aufzulösen – wir versammeln uns für einen Maidan, um Zelte aufzustellen und ganz Dagestan auf diesem Maidan zu versammeln – bis die Mobilisierung für den Kaukasus komplett abgesagt ist!“
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