Tarifverhandlungen öffentlicher Dienst: Haben die Gewerkschaften überzogen?
Die Tarifverhandlungen zwischen Bund, Kommunen und den Gewerkschaften sind unterbrochen. Ein Pro und Contra zu den Forderungen beider Seiten.

E rneut sind die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst gescheitert. Liegt das an den zu hohen Forderungen der Gewerkschaften? Ein Pro und Contra.
Pro
Eine Lohnerhöhung von 5,5 Prozent, dazu ein höheres 13. Monatsgehalt sowie mehr Geld für Schichtdienste. Außerdem ein sogenanntes Zeit-statt-Geld-Modell, mit dem Sonderzahlungen in freie Tage umgewandelt werden können. So sieht das Angebot von Bund und Ländern bei den Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst aus. Das ist nicht nichts. Man kann auch sagen, das ist ein fairer Kompromiss.
Die Verhandlungsführer auf der anderen Seite – Verdi und der Beamtenbund – sehen das naturgemäß anders. Sie fordern eine 8-prozentige Lohnerhöhung, mindestens aber 350 Euro mehr Gehalt jeden Monat und höhere Zuschläge für ungünstige Arbeitszeiten. Zudem sollen Praktika und Ausbildungen mit 200 Euro mehr vergütet werden und Mitarbeitende zusätzlich drei freie Tage bekommen.
Das ist viel, und ja, das ist zu viel. Diesmal haben die Gewerkschaften mit ihren Forderungen überzogen. Denn die zugespitzte politische Lage hat nicht nur die Welt in Bedrängnis gebracht, sondern auch Deutschland – insbesondere finanziell. Unsere Sicherheit ist bedroht, bisherige Verlässlichkeiten sind weggebrochen, wir müssen für unseren Schutz jetzt selber sorgen. Dafür braucht es sehr viel Geld.
Gleichzeitig müssen Sozialausgaben finanziert werden, denn den sozialen Frieden zu bewahren, ist genauso wichtig wie die militärische Friedenssicherung. Die verhandelnden Gewerkschaften kennen ganz sicher die Kennziffern, die dafür im Raum stehen: 500 Milliarden Sondervermögen für Infrastruktur, eine gelockerte Schuldenbremse für Verteidigung und eine gelockerte Schuldenbremse für die Länder.
Ob mit oder ohne umstrittenes Finanzpaket: Das Leben wird für Menschen, die nicht über Reichtum verfügen, härter. Das trifft Angestellte im öffentlichen Dienst ebenso wie Mitarbeitende in Privatunternehmen und im Übrigen auch taz-Redakteur:innen. Das ändert trotzdem nichts an der Tatsache, dass das Geld knapp ist.
Der Bär hat nun mal, um es platt zu sagen, nur ein Fell. Das kann weder dupliziert noch geklont werden. Die Gewerkschaften wissen das – und sollten einlenken.
Simone Schmollack
Contra
Nach den gescheiterten Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen kommt die altbekannte Leier: Schuld ist mal wieder die böse Gewerkschaft, die den Hals nicht vollkriegen kann! Mit der Realität hat das nicht viel zu tun. Es stimmt zwar, dass Verdi mit einem anspruchsvollen Forderungspaket in die Verhandlungen gegangen ist. Wer sich jedoch die bisherigen Tarifabschlüsse in diesem Jahr ansieht, beispielsweise bei der Deutschen Post, kann schnell erkennen, wie kompromissbereit die Gewerkschaft tatsächlich ist.
Dass die Arbeitgeberseite ihr weit entgegenkommen sei, ist hingegen nur eine Behauptung. Aus gutem Grund haben weder das Bundesinnenministerium noch die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) bisher öffentlich gemacht, was sie genau angeboten haben. Sie haben nur durchsickern lassen, zu einer Entgelderhöhung von 5,5 Prozent bereit gewesen zu sein. Aber das klingt weit besser, als es ist. Denn es sollte sie erst ab Oktober 2025 und dann über drei Schritte in drei Jahren verteilt geben. Umgerechnet würde das für dieses Jahr eine Lohnsteigerung von 0,5 Prozent bedeuten – was weit unter der Inflationsrate liegt.
Ein faires Angebot sieht anders aus. Und warum die Kommunen – im Gegensatz zum Bund – die Forderung hartnäckig abgelehnt haben, dass für die Beschäftigten im Osten nicht weiter ein schlechterer Kündigungsschutz als für ihre Kolleg:innen im Westen gelten darf, ist 35 Jahre nach der Wiedervereinigung übrigens auch mehr als erklärungsbedürftig.
Trotzdem wäre Verdi bereit gewesen, weiter nach einer Lösung zu suchen. Nicht die Gewerkschaft hat die Verhandlungen platzen lassen nach dem Motto: Dann streiken wir eben wieder! Nein, die Arbeitgeber haben die Gespräche abgebrochen, um schnellstmöglich in die Schlichtung zu kommen, weil in dieser Zeit die Friedenspflicht gilt. So hoffen sie, den gewerkschaftlichen Druck abschwächen zu können, um einen möglichst billigen, aber für die Beschäftigen schlechteren Abschluss durchsetzen zu können. Dem sozialen Frieden dient das nicht.
Pascal Beucker
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