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Tarifverhandlungen öffentlicher DienstHaben die Gewerkschaften überzogen?

Die Tarifverhandlungen zwischen Bund, Kommunen und den Gewerkschaften sind unterbrochen. Ein Pro und Contra zu den Forderungen beider Seiten.

Gewerkschafter von Verdi ziehen durch die Innenstadt von Rostock, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen Foto: Jens Büttner/dpa

E rneut sind die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst gescheitert. Liegt das an den zu hohen Forderungen der Gewerkschaften? Ein Pro und Contra.

Pro

Eine Lohnerhöhung von 5,5 Prozent, dazu ein höheres 13. Monatsgehalt sowie mehr Geld für Schichtdienste. Außerdem ein sogenanntes Zeit-statt-Geld-Modell, mit dem Sonderzahlungen in freie Tage umgewandelt werden können. So sieht das Angebot von Bund und Ländern bei den Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst aus. Das ist nicht nichts. Man kann auch sagen, das ist ein fairer Kompromiss.

Die Verhandlungsführer auf der anderen Seite – Verdi und der Beamtenbund – sehen das naturgemäß anders. Sie fordern eine 8-prozentige Lohnerhöhung, mindestens aber 350 Euro mehr Gehalt jeden Monat und höhere Zuschläge für ungünstige Arbeitszeiten. Zudem sollen Praktika und Ausbildungen mit 200 Euro mehr vergütet werden und Mitarbeitende zusätzlich drei freie Tage bekommen.

Das ist viel, und ja, das ist zu viel. Diesmal haben die Gewerkschaften mit ihren Forderungen überzogen. Denn die zugespitzte politische Lage hat nicht nur die Welt in Bedrängnis gebracht, sondern auch Deutschland – insbesondere finanziell. Unsere Sicherheit ist bedroht, bisherige Verlässlichkeiten sind weggebrochen, wir müssen für unseren Schutz jetzt selber sorgen. Dafür braucht es sehr viel Geld.

Gleichzeitig müssen Sozialausgaben finanziert werden, denn den sozialen Frieden zu bewahren, ist genauso wichtig wie die militärische Friedens­sicherung. Die verhandelnden Gewerkschaften kennen ganz sicher die Kennziffern, die dafür im Raum stehen: 500 Milliarden Sondervermögen für ­Infrastruktur, eine gelockerte Schuldenbremse für Verteidigung und eine gelockerte Schuldenbremse für die Länder.

Ob mit oder ohne umstrittenes Finanzpaket: Das Leben wird für Menschen, die nicht über Reichtum verfügen, härter. Das trifft Angestellte im öffentlichen Dienst ebenso wie Mitarbeitende in Privatunternehmen und im Übrigen auch taz-Redakteur:innen. Das ändert trotzdem nichts an der Tatsache, dass das Geld knapp ist.

Der Bär hat nun mal, um es platt zu sagen, nur ein Fell. Das kann weder dupliziert noch geklont werden. Die Gewerkschaften wissen das – und sollten einlenken.

Simone Schmollack

Contra

Nach den gescheiterten Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen kommt die altbekannte Leier: Schuld ist mal wieder die böse Gewerkschaft, die den Hals nicht vollkriegen kann! Mit der Realität hat das nicht viel zu tun. Es stimmt zwar, dass Verdi mit einem anspruchsvollen Forderungspaket in die Verhandlungen gegangen ist. Wer sich jedoch die bisherigen Tarifabschlüsse in diesem Jahr ansieht, beispielsweise bei der Deutschen Post, kann schnell erkennen, wie kompromissbereit die Gewerkschaft tatsächlich ist.

Dass die Arbeitgeberseite ihr weit entgegenkommen sei, ist hingegen nur eine Behauptung. Aus gutem Grund haben weder das Bundesinnenministerium noch die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) bisher öffentlich gemacht, was sie genau angeboten haben. Sie haben nur durchsickern lassen, zu einer Entgelderhöhung von 5,5 Prozent bereit gewesen zu sein. Aber das klingt weit besser, als es ist. Denn es sollte sie erst ab Oktober 2025 und dann über drei Schritte in drei Jahren verteilt geben. Um­gerechnet würde das für dieses Jahr eine Lohnsteigerung von 0,5 Prozent bedeuten – was weit unter der Inflationsrate liegt.

Ein faires Angebot sieht anders aus. Und warum die Kommunen – im Gegensatz zum Bund – die Forderung hartnäckig abgelehnt haben, dass für die Beschäftigten im Osten nicht weiter ein schlechterer Kündigungsschutz als für ihre Kol­le­g:­innen im Westen gelten darf, ist 35 Jahre nach der Wiedervereinigung übrigens auch mehr als erklärungsbedürftig.

Trotzdem wäre Verdi bereit gewesen, weiter nach einer Lösung zu suchen. Nicht die Gewerkschaft hat die Verhandlungen platzen lassen nach dem Motto: Dann streiken wir eben wieder! Nein, die Arbeitgeber haben die Gespräche abgebrochen, um schnellstmöglich in die Schlichtung zu kommen, weil in dieser Zeit die Friedenspflicht gilt. So hoffen sie, den gewerkschaftlichen Druck abschwächen zu können, um einen möglichst billigen, aber für die Beschäftigen schlechteren Abschluss durchsetzen zu können. Dem sozialen Frieden dient das nicht.

Pascal Beucker

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
Pascal Beucker
Inlandsredakteur
Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft. Sein neues Buch "Pazifismus - ein Irrweg?" ist Mitte vergangenen Jahres im Kohlhammer Verlag erschienen.
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14 Kommentare

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  • 5,5 % für 36 Monate plus Zahlung erst ab Oktober sind keine 5,5 %.



    Oder bekommen sie Ihre 1 % Zinsen auch für 46 Monate?



    Mit 5,5 Prozent ab 01.01.25 bis 31.12.25 wären einige zufrieden

  • Was heißt 5,5% das ist über 36 Monate. Erstmal 9 Monate Nullrunde dann 2 % mehr Geld, das sind 50€ mehr Geld, was ist daran denn überzogen. Habe schon alleine durch Krankenkassen und Pflegeversicherungs erhöhung 40€ weniger, dazu noch Inflation, wo von reden wir den hier.

  • Schade, dass in der Neiddebatte darüber, wer mehr kriegt und wer mehr arbeiten muss als andere, vollkommen untergeht, was so ein Streik im öffentlichen Dienst eigentlich zeigt: Was passiert, wenn nicht bald etwas sinnvolles passiert.

    Ja, die Zahl der Beschäftigen ist gewachsen. Allerdings nicht gleichmäßig und schon gar nicht grundlos. Viele Jahrzehnte lang wurde Personal abgebaut. (Dass z.B. Post- und Bahnbeamte sich als „Kostenfaktor“ nicht erübrigen würden, wurde dabei glatt übersehen.) Irgendwann wurde dann klar, dass es ohne öffentlichen Dienst doch nicht geht. Zumindest nicht so gut. Bildung ist schließlich auch ein Wirtschaftsfaktor. Es gab also ein Kita-Gesetz - und neue Kitas brauchen neue Erzieher:innen. Wobei die neuen oft zu ungünstigeren Bedingungen eingestellt wurden als die aus der „guten alten Zeit“. Und dann kam die Digitalisierung und mit ihr ein Bedarf an mehr Personal. Ist ja nicht so, dass mehr neue Technik die Arbeit sofort minimiert. Erst einmal verursacht die zusätzlichen Aufwand.

    Und nun? Nun können wir so tun, als hätten wir nichts gelernt in den 90er. Nur: Nichts ist umsonst, auch nicht für Arbeitgeber. Es sei denn, sie arbeiten selbst. Unbezahlt.

  • Das Geld müsste ja nicht knapp sein, bei richtiger Besteuerung. Dann müsste man Lohnarbeit auch nicht mehr mit mindestens 38% besteuern.

  • Sie haben nicht nur bei ihren Forderungen maßlos überzogen.



    Sonder vor allem bei den völlig unangemessenen Streikmaßnahmen:



    Die Sperrung des NOK und des Elbtunnels gehen eindeutig zu weit und sollten unterbunden werden.



    Genauso kann es nicht angehen, das man die Betreikung eines Flughafens für Montag angekündigt, und dann schon unangemeldet am Sonntag damit beginnt – nachdem möglichst viele Urlauber noch umgebucht haben.

  • zu Pro von Simone Schmollak: Die Autorin hat die Ausgangsforderung von ver.di als Grundlage für Ihre Bewertung, dass die Gewerkschaften überzogen haben, genommen. Das ist grundfalsch. Die Gewerkschaften haben sich kompromissbereit gezeigt. Aber eine Lohnerhöhung, die reale Einkommensverluste bedeuten, sind nicht hinnehmbar, weder ökonomisch noch sozial. Die Binnennachfrage darf nicht geschwächt, sie muss besser noch gestärkt werden und die hohe Leistung der Beschäftigten muss honoriert werden. Was gar nicht akzeptabel ist, ist die Argumentation, dass wir jetzt mehr für Verteidigung ausgeben müssen und deshalb bei den Löhnen nicht überziehen sollten. Mangelnde Kriegstüchtigkeit ist Panikmache. Was wir brauchen sind Milliarden Investitionen in die soziale und wirtschaftliche Zukunft unseres Landes und dafür brauchen wir ein gerechtes Steuerkonzept, bei dem die Multimillionäre und Milliardäre endlich angemessene Steuerbeiträge zum Allgemeinwohl leisten. Dass Beschäftigte hier durch sinkenden Wohlstand Opfer bringen sollen ist der grundfalsche Weg!

  • Mit welcher Steigerung lasse ich offen, aber eine Gültigkeit ab Oktober 2025 und damit in der Zukunft ist eine gute Idee, denn rückwirkende Erhöhungen lösen Aufwand und Kosten aus (Korrektur bestehender Lohnabrechnungen, ggf. auch früherer Quartalsabschlüsse)

  • eine ordentliche vermögens- und reichensteuer, ein schließen der zahlreichen legalen steuerschlupflöcher in der brd (verschonungsbedarfsprüfung, share deal, etc.) – und schon wäre es nicht mehr möglichkeit, auf krude art und weise die sicherheitspolitische lage deutschlands und die lage der lohnarbeitenden menschen in den sektoren sozialer reproduktion miteinander zu verquicken.

  • "Haben die Gewerkschaften überzogen?"

    Nein.

    Schon mal die Müllabfuhr bei der Arbeit gesehen? Busfahrer:innen? Erziehende?

  • Was ist das den hier für ein Pro und Conta, bei dem man sich nichtmal vorher auf die Fakten einigen kann?

  • Die Gewerkschaften haben nicht überzogen, schaut man sich die Lohnsteigerungen des öffentlichen Dienstes und z.B. der Industrie an, dann ging die Schere die letzten 30 Jahre aber mal deutlich auseinander. Da der ÖD keine Gewinne erwirtschaftet und somit die Mitarbeitenden nur einen Kostenfaktor darstellen war der Gürtel der Arbeitgeber immer Eng, unabhängig von der Haushaltslage. Mit diesem Sandkastendeterminismus muss endlich aufgehört werden. Gleichzeitig war der letzte Tarifabschluss mit Sonderzahlung zur Inflationsanforderung für die Arbeitnehmer langfristig gesehen ein Geschenk an die Arbeitgeber. Die Preise sind ja nicht gesunken seit dem, sondern nur langsamer gestiegen. Es ist also an den Arbeitgebern jetzt etwas zurückgeben, nicht umgekehrt.

    • @FancyBeard:

      Bitte keine Lügen verbreiten!



      a) Die Löhne im öffentlichen Dienst liegen knapp über, aber zumindest auf dem selben Niveau wie in der Gesamtwirtschaft. Außer im Bereich "Metall" liegen die Abschlüsse deutlich höher.



      b) Der Tariflohn im Öffentlichen Dienst steigt über all die Jahre stärker als die Verbraucherpreise. Ausnahme 2022 - da stand es Pari.

    • @FancyBeard:

      öh nein. Ohne bestreiten zu wollen, dass manche ÖD Jobs beschissen bezahlt werden (aber das werden auch Jobs in der Privatwirtschaft):

      knapp 40% aller öffentlich Bediensteten sind verbeamtet und müssen sich daher für den Rest ihres Lebens keine Sorgen mehr um Arbeitsplatzverlust, Rentenkürzungen, Altersarmut, steigende Rentenversicheruns-, Krankenkassen- oder Pflegeversicherungsbeiträge oder ähnliche Untertanenprobleme machen.

      seit 2008 hat sich der Staat rd. 700'000 neue öffentlich Bedienstete gegönnt. Das ist ein Zuwachs von ca. 15%. Diese dringend benötigten Staatsdiener wollen auch alle bezahlt werden.

      die Zahl der Pensionäre, die aus dem Personaletat bezahlt werden, steigt seit vielen Jahren, zuletzt um ca. 1% jährlich. Pensionäre bekommen im Normalfall ein bisschen mehr als der plebejische Sozialrenter.

      für den ÖD gilt immer noch, dass Angestellte nach 15 Jahren Betriebszugehörigkeit nicht mehr ordentlich gekündigt werden können. Sprich, so lange die keine silbernen Löffel klauen, sind sie faktisch unkündbar (jaja, ich weis, dass man das mit befristeten Verträgen umgehen kann). Zeig mir mal einen Industrietarifvertrag, der eine ähnliche Regelung hat.

      • @John Zoidberg:

        Woher haben Sie ihre Weisheiten ? Die meisten Beschäftigen im ÖD sind Angestellte und müssen alles so zahlen wie auch andere Arbeitnehmer.