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Tätlicher Angriff auf PolizeibeamtinZu viel Widerstand geleistet

Eine Demonstrantin wird zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie eine Polizistin getreten hat. Ein Video davon hat die Richterin sich nicht mal angesehen.

Wer denen wehtut, kann hart bestraft werden: Beamte in Montur vor einer Sitzblockade gegen Nazis in Aachen im Januar Foto: Christoph Reichwein/dpa

Hannover taz | In Hannover musste sich am Mittwoch eine junge Frau vor dem Amtsgericht verantworten, weil sie am Rande einer Demo heftigen Widerstand gegen Polizeibeamte geleistet und dabei eine Polizistin getreten hatte.

Dass solche Fälle überhaupt vor Gericht landen, ist eher selten: Meist werden sie mit einem Strafbefehl erledigt. Das hatte die zuständige Richterin auch in diesem Fall vor. Doch die junge Frau legte über ihre Rechtsanwältin Widerspruch ein, weil ihr der Tagessatz, zu dem sie verurteilt wurde, zu hoch erschien. 120 Tagessätze über 80 Euro, also insgesamt 9.600 Euro sind eine Menge Geld für jemanden, der gerade erst eine Ausbildung in der Pflege begonnen hat.

Die kurze Verhandlung wirft allerdings auch ein interessantes Schlaglicht darauf, wie rasch und oberflächlich solche Fälle sonst abgehandelt werden. Den Grundvorwurf hat die Angeklagte dabei gar nicht bestritten. Es geschah am Rande der Demo zum Gedenken an Halim Dener, der 1994 in Hannover von einem Polizisten erschossen wurde, nachdem der ihn beim Plakate kleben, für eine Unterorganisation der verbotenen PKK erwischt hatte.

Die 22-Jährige – so schildert es der Staatsanwalt – soll sich dabei einer Polizeikette von hinten genähert haben. Ein Polizist soll sie daraufhin aufgefordert haben, zu den anderen Demonstranten auf die Limmerstraße zurückzukehren und sie in diese Richtung geschoben haben. Sie weigert sich, weicht aus, will weiter in die andere Richtung laufen.

Straftaten gegen die Polizei werden härter bestraft

Ein zweiter Beamter kommt hinzu und hilft nach, die junge Frau stolpert und fällt einer weiteren Beamtin in den Rücken. Daraufhin entspinnt sich ein Gerangel, bei dem die Beamten versuchen, sie am Boden zu fixieren, während sie um sich tritt und dabei mehrfach die Polizeibeamtin trifft, der sie auch schon in den Rücken gefallen ist. Die habe sogar noch versucht, sie zu beschwichtigen, vergebens. Auch wenn es dabei zu keinen schlimmeren Verletzungen kam, ist so etwas ein tätlicher Angriff.

Der entsprechende Paragraf ist in den vergangenen Jahren zweimal verschärft worden, 2011 und 2017. Beide Male ging dem eine längere politische Debatte über die steigende Anzahl an Angriffen auf Polizeibeamte und andere Einsatzkräfte voraus – die übrigens auch nach der Strafverschärfung nicht gesunken ist.

Der aktuelle Strafrahmen sieht eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vor. Im Einzelfall können auch Geldstrafen verhängt werden. Die liegen dann aber über 90 Tagessätzen, was bedeutet, dass man vorbestraft ist.

Umstritten ist diese Regelung vor allem, weil hier oft eine Aussage gegen Aussage-Konstellation vorliegt, die nur deshalb regelmäßig zu Verurteilungen führt, weil Gerichte den Aussagen der Polizeibeamten grundsätzlich mehr Glauben schenken als anderen Zeugen oder Beweismitteln. So scheint es auch hier gewesen zu sein: Nein, bekennt die Amtsrichterin in der Verhandlung freimütig, das Video von dem Vorfall habe sie sich gar nicht angesehen – weder bevor sie den Strafbefehl erlassen hat, noch vor dieser Verhandlung.

Richterin bestellte der Schwarzen Deutschen Dolmetschung

Wenn sie das getan hätte, bemerkt die Anwältin der Beschuldigten spitz, hätte sie sich unter Umständen einen peinlichen Fauxpas erspart. Das Gericht hatte nämlich eine Französischdolmetscherin bestellt, obwohl es mit einem Blick in die Akte hätte feststellen können, dass die junge Schwarze Frau in Deutschland geboren wurde und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Auf dem Video soll außerdem zu hören sein, dass sie fließend Deutsch spricht. „Ich habe nur auf den Aktendeckel geguckt und da stand Togo“, erklärt die Richterin achselzuckend.

Den tätlichen Angriff erklärt die Anwältin im Übrigen mit der Überforderung ihrer Mandantin. Kurz zuvor hätte ein Polizeibeamter sie genau in die entgegen gesetzte Richtung geschickt, die junge Frau sei Autistin und mit der lärmigen, unübersichtlichen Gesamtsituation und den körperlichen Berührungen nicht klargekommen. Auch im Gerichtssaal wirkt sie äußerst angespannt, ihre Beine zittern, auf die Anwesenheit der als Zeugen geladenen Polizeibeamten reagiert sie mit Tränen.

Zudem macht ihre Anwältin geltend, sei die Strafe schon deshalb viel zu hoch angesetzt, weil ihr von ihrem schmalen Azubi-Lohn nach Abzug der Miete kaum mehr als das Existenzminimum bliebe. Man solle sich eher an dem Tagessatz orientieren, der bei Bürgergeldempfängern üblich wäre. Ganz so weit heruntergehen wollte die Richterin dann aber nicht. Sie folgte mit ihrem Urteil dem Antrag der Staatsanwaltschaft, den Tagessatz auf 30 Euro festzulegen. Damit muss die 22-Jährige nun nur noch 3.600 Euro aufbringen.

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12 Kommentare

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  • Diese Richterin sollte man einer sehr kritischen Untersuchung unterziehen. Das sieht nach Rassismus aus, nach Fahrlässigkeit allemal, betrachtet man die Farce mit "Togo" und Dolmetscher. Und es ist ein weiteres Beispiel für ungleiche Behandlung von Angeklagten: eher linke (und hier sogar Farbige) haben deutlich weniger Fairness zu erwarten als rechte Krawallis oder gar Neo-Nazis. Das alles -in der "werte"orientierten BRD- gibt Anlass zu größtem Bedenken....

  • Es fehlen in dem Artikel die Angaben zum Umfang des Einspruchs; ohne diese Information geht die Kritik der Autorin am Handeln der Richterin ins Leere.

    Wenn der Einspruch auf die Höhe des Tagessatzes beschränkt ist (oder im Termin beschränkt wurde), sind die Feststellungen zum "Tathergang" rechtskräftig. In diesem Fall muss das Gericht sich "nur" noch die Höhe des monatlichen Einkommens ermitteln, aus dem sich der Tagessatz rechnerisch ergibt. Dann ist der Einstieg in eine Beweisaufnahmen, das heißt: das "Videogucken", mindestens überflüssig, vielleicht sogar unzulässig.

    Wenn die Beschuldigte im Ermittlungsverfahren keine Angaben zum Einkommen macht, schätzen die Staatsanwaltschaft und das Gericht die Höhe. Hier wurde zunächst von einem Nettoeinkommen in Höhe 2.400 Euro ausgegangen.



    Nachdem die Angeklagte dann ein Einkommen in Höhe von 900 Euro glaubhaft gemacht oder nachgewiesen hat, wurde der Tagessatz auf 1/30, also auf 30 Euro reduziert.

    Den ganzen Zirkus hätte sich die Demonstrantin sparen können, wenn sie gleich nach der Bekanntgabe, dass gegen sie ein Ermittlungsverfahren geführt wird, einen Strafverteidiger beauftragt hätte.

    Die Richterin hat alles richtig gemacht.

  • "Den Grundvorwurf hat die Angeklagte dabei gar nicht bestritten. ...eine Aussage gegen Aussage-Konstellation..."



    Äh, nö? Weder wird der Grundvorwurf bestritten, noch kann ich im Artikel etwas über eine andere Darstellung des Sachverhaltes finden.



    Denn "Den tätlichen Angriff erklärt die Anwältin im Übrigen mit der Überforderung ihrer Mandantin." ist lediglich der Versuch, die Motivation für die Tat als nicht wirklich beabsichtigt herunterzuspielen.

  • Es kommt darauf an wie man im allgemeinen einen Angriff definiert, ob nun auf Privatpersonen oder Polizisten.

  • Ein Einspruch gegen einen Stafbefehl kann ja sowohl vollumfänglich als auch eingeschränkt (beispielsweise beschränkt af die Tagessatzhöhe) eingelegt werden. Davon ist dann der Gang der Hauptverhandlung abhängig. Hier ging es offensichtlich ja lediglich um die Strafhöhe "zu hoch erschien" und daher braucht sich das Gericht auch keine Videos mehr ansehen. Am Ende war nur die aktuelle Lohnabrechnung wichtig.

  • Racial profiling?

    • @Il_Leopardo:

      Ich würde sagen Rechtsstaat! Tätlichkeit und Widerstand gegen Polizeibeamte, Gerichtsverfahren, Strafurteil!

      • @Demokratischer Segler:

        Haben Sie sich schon mal Gedanken darüber gemacht, warum auf dem Aktendeckel der Richterin "Togo" steht. Diese junge Frau ist hat die deutsche Staatsangehörigkeit und spricht fließend deutsch. Wenn das kein "racial profiling" ist, dann fresse ich einen Besen - mit Sti(e)l.

      • @Demokratischer Segler:

        Oder anders gesagt: bei der Polizei ist man sehr gut darin, sogenannte Widerstandshandlungen zu provozieren und dann wird aus Reflexhandlungen (wie das hier der Fall sein könnte), die z.B. bei schmerzhaften Fixierungen passieren können, schnell ein tätlicher Angriff.

  • Die gleiche Geschichte könnte man auch aus den USA lesen....

  • Die Frau hat eine Polizistin getreten, der Strafe wurde reduziert. Eigentlich ist sie sehr gut davongekommen. Alle Einlässe sind da wenig relevant.

    • @Zven:

      Also wenn mich jemand treten würde ..... ist kein Widerstand, sondern Abreagieren von eigenen Aggressionen. Flasche nehmen und gegen die Wand schmeißen, am besten bei sich zu Hause, Rotwein, Öl etc. da ist man noch ein bisschen mit Aufräumen beschäftigt, bzw. auch mal Marx lesen. Senkt auch den Aggressions-Spiegel. Ist nicht links, sondern einfach nur gewalttätig.