Tätlicher Angriff auf Polizeibeamtin: Zu viel Widerstand geleistet
Eine Demonstrantin wird zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie eine Polizistin getreten hat. Ein Video davon hat die Richterin sich nicht mal angesehen.

Dass solche Fälle überhaupt vor Gericht landen, ist eher selten: Meist werden sie mit einem Strafbefehl erledigt. Das hatte die zuständige Richterin auch in diesem Fall vor. Doch die junge Frau legte über ihre Rechtsanwältin Widerspruch ein, weil ihr der Tagessatz, zu dem sie verurteilt wurde, zu hoch erschien. 120 Tagessätze über 80 Euro, also insgesamt 9.600 Euro sind eine Menge Geld für jemanden, der gerade erst eine Ausbildung in der Pflege begonnen hat.
Die kurze Verhandlung wirft allerdings auch ein interessantes Schlaglicht darauf, wie rasch und oberflächlich solche Fälle sonst abgehandelt werden. Den Grundvorwurf hat die Angeklagte dabei gar nicht bestritten. Es geschah am Rande der Demo zum Gedenken an Halim Dener, der 1994 in Hannover von einem Polizisten erschossen wurde, nachdem der ihn beim Plakate kleben, für eine Unterorganisation der verbotenen PKK erwischt hatte.
Die 22-Jährige – so schildert es der Staatsanwalt – soll sich dabei einer Polizeikette von hinten genähert haben. Ein Polizist soll sie daraufhin aufgefordert haben, zu den anderen Demonstranten auf die Limmerstraße zurückzukehren und sie in diese Richtung geschoben haben. Sie weigert sich, weicht aus, will weiter in die andere Richtung laufen.
Straftaten gegen die Polizei werden härter bestraft
Ein zweiter Beamter kommt hinzu und hilft nach, die junge Frau stolpert und fällt einer weiteren Beamtin in den Rücken. Daraufhin entspinnt sich ein Gerangel, bei dem die Beamten versuchen, sie am Boden zu fixieren, während sie um sich tritt und dabei mehrfach die Polizeibeamtin trifft, der sie auch schon in den Rücken gefallen ist. Die habe sogar noch versucht, sie zu beschwichtigen, vergebens. Auch wenn es dabei zu keinen schlimmeren Verletzungen kam, ist so etwas ein tätlicher Angriff.
Der entsprechende Paragraf ist in den vergangenen Jahren zweimal verschärft worden, 2011 und 2017. Beide Male ging dem eine längere politische Debatte über die steigende Anzahl an Angriffen auf Polizeibeamte und andere Einsatzkräfte voraus – die übrigens auch nach der Strafverschärfung nicht gesunken ist.
Der aktuelle Strafrahmen sieht eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vor. Im Einzelfall können auch Geldstrafen verhängt werden. Die liegen dann aber über 90 Tagessätzen, was bedeutet, dass man vorbestraft ist.
Umstritten ist diese Regelung vor allem, weil hier oft eine Aussage gegen Aussage-Konstellation vorliegt, die nur deshalb regelmäßig zu Verurteilungen führt, weil Gerichte den Aussagen der Polizeibeamten grundsätzlich mehr Glauben schenken als anderen Zeugen oder Beweismitteln. So scheint es auch hier gewesen zu sein: Nein, bekennt die Amtsrichterin in der Verhandlung freimütig, das Video von dem Vorfall habe sie sich gar nicht angesehen – weder bevor sie den Strafbefehl erlassen hat, noch vor dieser Verhandlung.
Richterin bestellte der Schwarzen Deutschen Dolmetschung
Wenn sie das getan hätte, bemerkt die Anwältin der Beschuldigten spitz, hätte sie sich unter Umständen einen peinlichen Fauxpas erspart. Das Gericht hatte nämlich eine Französischdolmetscherin bestellt, obwohl es mit einem Blick in die Akte hätte feststellen können, dass die junge Schwarze Frau in Deutschland geboren wurde und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Auf dem Video soll außerdem zu hören sein, dass sie fließend Deutsch spricht. „Ich habe nur auf den Aktendeckel geguckt und da stand Togo“, erklärt die Richterin achselzuckend.
Den tätlichen Angriff erklärt die Anwältin im Übrigen mit der Überforderung ihrer Mandantin. Kurz zuvor hätte ein Polizeibeamter sie genau in die entgegen gesetzte Richtung geschickt, die junge Frau sei Autistin und mit der lärmigen, unübersichtlichen Gesamtsituation und den körperlichen Berührungen nicht klargekommen. Auch im Gerichtssaal wirkt sie äußerst angespannt, ihre Beine zittern, auf die Anwesenheit der als Zeugen geladenen Polizeibeamten reagiert sie mit Tränen.
Zudem macht ihre Anwältin geltend, sei die Strafe schon deshalb viel zu hoch angesetzt, weil ihr von ihrem schmalen Azubi-Lohn nach Abzug der Miete kaum mehr als das Existenzminimum bliebe. Man solle sich eher an dem Tagessatz orientieren, der bei Bürgergeldempfängern üblich wäre. Ganz so weit heruntergehen wollte die Richterin dann aber nicht. Sie folgte mit ihrem Urteil dem Antrag der Staatsanwaltschaft, den Tagessatz auf 30 Euro festzulegen. Damit muss die 22-Jährige nun nur noch 3.600 Euro aufbringen.
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