Suizidzahlen 2023: Den „Freitod“, den gibt es nicht
Suizid ist ein Tabuthema. Nötig sind mehr Verständnis für Gefährdete und mehr Mut, darüber zu sprechen.
I m Jahr 2023 starben in Deutschland über eine Million Menschen. Darunter 10.300 Menschen laut Statistischem Bundesamt durch Suizid. Bei 10- bis unter 25-Jährigen war Suizid im Jahr 2023 die häufigste Todesursache, noch vor Verkehrsunfällen. In der Altersgruppe ab 85 hat sich die Zahl der Suizide von 600 im Jahr 2003 auf knapp 1.300 mehr als verdoppelt.
Was Menschen, die mit dem Thema Suizid in Berührung kommen, helfen würde? Ein offener Diskurs über eine Todesursache, die für jeden Hundertsten Sterbefall in Deutschland verantwortlich ist. Das bedeutet auch: Die meisten kennen jemanden, der so gestorben ist. Oder jemanden, der jemanden kennt.
Viele fassen dennoch das Thema grundsätzlich nicht an. Aus Angst, etwas falsch zu formulieren, den Zustand derjenigen, die suizidal sind, zu verschlimmern oder Angehörige traurig zu machen. Oder als Journalist aus Angst, durch Berichte über Suizide das Problem zu verschlimmern. Was dabei aber übersehen wird: Es ist das öffentliche Schweigen, das trauernde Angehörige und Menschen mit Suizidgedanken isoliert. Wenn Medien dann doch über das Thema Suizid schreiben, fassen sie es höchst ungern und unbeholfen mit Samthandschuhen an.
Dann wird noch ein Hinweis druntergepackt mit den Nummern der Telefonseelsorge; so wird es scheinbar richtig gemacht, aber eben nicht gut. Übersehen wird, dass die beiden 0800-Nummern oft überlastet sind, Hilfesuchende oft nicht direkt durchkommen.
Natürlich sollten diejenigen, die öffentlich über das Thema sprechen, sensibel und reflektiert vorgehen. Dazu gehört es, zu verstehen, dass Menschen, die durch Suizid sterben, nachdem sie etwa an Depressionen erkrankt waren, sich weder selbst ermorden noch einen freien Tod wählen.
Vielmehr ist ihr Leiden in einem Moment so groß und ihre Hoffnung so gering, dass sie sich in einer Sackgasse sehen. Aber das ist nicht ihre Schuld. Sie sind krank. Und eine Folge dieses Krankseins ist der Suizid. Helfen würden Verständnis, der Mut, darüber zu sprechen, und rechtzeitige psychologische Hilfe. Und keine Scheißeuphemismen wie „Freitod“.
Haben Sie suizidale Gedanken? Dann sollten Sie sich unverzüglich ärztliche und psychotherapeutische Hilfe holen. Bitte wenden Sie sich an die nächste psychiatrische Klinik oder rufen Sie in akuten Fällen den Notruf an unter 112. Eine Liste mit weiteren Angeboten finden Sie unter taz.de/suizidgedanken.
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