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Studie mit LaborrattenKrebs durch Glyphosat? Bayer greift Forscher an

Der Chemiekonzern kritisiert eine Untersuchung, derzufolge das Pestizid Tumore bei Ratten verursacht. Die Forscher wehren sich.

„Natürlich“ tumoranfällig? Bayer stellt Ergebnisse einer Glyphosat-Studie mit Laborratten in Frage: Hier unbeteiligte Symboltiere Foto: A. Schauhuber/picture alliance

Berlin taz | Im Juni veröffentlichte das italienische Ramazzini-Institut eine viel beachtete Studie, wonach Glyphosat bei Laborratten Krebs verursacht. Der Chemiekonzern Bayer kritisierte die Untersuchung umgehend. Gegenüber der taz hat er seine Vorbehalte nun konkretisiert. Die Forscher verteidigen ihre Ergebnisse zu der Wirkung des Pestizids.

Die Autoren der Studie hätten etwa bei den Kontrolltieren – also den Ratten, die kein Glyphosat erhielten – keine Krebserkrankungen des blutbildenden oder des Lymphsystems festgestellt, schrieb ein Bayer-Sprecher der taz: „Das ist unglaubwürdig.“

Daten aus früheren Experimenten würden zeigen, „dass diese Tumore bei den laut Studie verwendeten Ratten natürlich vorkommen“. Diese natürliche Leukämierate entspreche ungefähr der Häufigkeit, in der Leukämie bei Ratten aus dem Experiment aufgetreten sei. Mit dieser Aussage will Bayer belegen, dass nicht Glyphosat die Krebsfälle ausgelöst habe. Kritiker widersprechen.

Die im Juni in der Fachzeitschrift Environmental Health veröffentlichte Analyse hatte ergeben, dass das Pestizid auch in offiziell als sicher geltenden Mengen zum Beispiel Leukämie bei den Versuchstieren erzeugte. Auch in Haut, Leber oder Niere „wurden statistisch signifikante dosisabhängige erhöhte Trends“ oder Häufigkeiten von gut- und bösartigen Tumoren festgestellt, schreiben die Wissenschaftler von Universitäten und Forschungseinrichtungen beispielsweise in den USA, Großbritannien und Italien.

Streit hat langen Vorlauf

Die Ergebnisse unterstützen die Einschätzung der Internationalen Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation WHO, die Glyphosat 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft hat. Danach verurteilten mehrere Gerichte in den USA einen der Hersteller, Bayer/Monsanto, zu hohen Schadenersatzzahlungen an KlägerInnen, die ihre Krebserkrankung auf den Unkrautvernichter zurückführen.

Bayer beruft sich dagegen darauf, dass Zulassungsbehörden, Glyphosat als sicher bewertet hätten. Das Gift tötet so gut wie alle Pflanzen und damit auch Nahrung für Vögel und Insekten. Deshalb gilt es Umweltschützern als Gefahr für die Artenvielfalt. Dennoch ließ die EU das Mittel 2023 für weitere 10 Jahre zu.

Der industriekritische Toxikologe Peter Clausing bezeichnete es als „glatte Lüge“, dass unter den Kontrolltieren der aktuellen Studie keine Tumoren des Lymphsystems aufgetreten seien. In der Tat lässt sich aus den Zusatztabellen der Studie zum Beispiel entnehmen, dass fünf männliche Ratten der Kontrollgruppe solche Krebsarten entwickelt hatten.

Peer-Reviewer verteidigt Studie

Dass keine Leukämie auftrat, liegt Clausing zufolge an der geringen Anfälligkeit des verwendeten Rattenstamms für diese Erkrankung. Laut einer Analyse erkranke weniger als ein Prozent der Tiere natürlicherweise an dieser Krebsart. „Man würde also über 100 Tiere pro Geschlecht benötigen, um mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein Tier mit Leukämie zu finden“, so der Toxikologe, der die Ramazzini-Studie vor Veröffentlichung im Rahmen der Peer-Review begutachtet hatte. Bei 51 Tieren je Geschlecht wie in der Ramazzini-Studie sei es also nicht ungewöhnlich, dass dort keine Fälle auftreten.

Die Leukämieraten bei den Glyphosat ausgesetzten Tieren seien auch höher als bei Kontrolltieren aus früheren Experimenten gewesen, schrieb Daniele Mandrioli, Direktor des Krebsforschungszentrums, des Ramazzini-Instituts, der taz. Bei den früheren Kontrolltieren lag sie der Studie zufolge insgesamt bei 0,9 Prozent. Bei den Ratten, die in der aktuellen Untersuchung dem Glyphosat ausgesetzt waren, lag die Rate bei 1,63 Prozent.

Bayer verweist auch auf eine Kritik der niederländischen Zulassungsbehörde CTGB an der Studie. Sollte Glyphosat Krebs verursachen, sei zu erwarten, dass höhere Dosen auch zu mehr oder schnellerem Tumorwachstum führen würden, heißt es in der Stellungnahme der Behörde. So eine Dosis-Wirkungs-Beziehung könne die CTGB aber nach einer vorläufigen Analyse in der Publikation nicht erkennen. Vielmehr berichteten die Forscher von verschiedenen Tumorarten teilweise bereits bei niedrigen Glyphosat-Konzentrationen, jedoch nicht bei (deutlich) höheren Dosen.

Ramazzini-Forscher Mandrioli, teilte der taz aber mit, dass es bei allen Ratten mit Glyphosat im Trinkwasser eine „dosisabhängige“ Zunahme von Leukämie gegeben habe. Tatsächlich entwickelte den Tabellen in der Studie zufolge ein Tier diese Krebsart, nachdem es pro Kilogramm Körpergewicht 0,5 Milligramm Glyphosat in Form des Bayer-Pestizids RangerPro bekommen hatte. Bei 5 Milligramm habe es zwei Ratten, bei 50 Milligramm vier Tiere getroffen. In der Kontrollgruppe ohne Glyphosat trat demnach kein Fall auf. Allerdings sind nicht alle Ergebnisse so eindeutig. Bei Ratten, die den Wirkstoff in Form des Pestizids Bioflow bekamen, wurde nur in der höchsten Dosis Leukämie beobachtet. In der Gruppe mit purem Glyphosat wurde laut Tabelle bei 0,5 Milligramm zweimal Leukämie festgestellt, bei 5 Milligramm aber nur einmal, und bei 50 Milligramm wieder zweimal. Auch hier war die Kontrollgruppe ohne Befund. „Aber das Gesamtbild unterstützt die Annahme einer Dosis-Wirkungsbeziehung“, folgert Toxikologe Clausing.

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9 Kommentare

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  • Unabhängig von der möglichen Nichtigkeit der im Artikel benannten, gibt es doch hinreichend andere Studien, welche erstaunlich divergierende Ergebnisse aufweisen. 46 Industriestudien stellen Unbedenklichkeit aus, im Kontrast zu 72 unabhängigen St. welche Glyphosat als höchst krebserregend einschätzen. Die Heinrich Böll Stiftung hatte sich hinreichend mit dem Thema beschäftigt. Warum Industriestudien die Gefährlichkeit relativieren, muss wohl nicht weiter erklärt werden, brisanter finde ich Entscheidungen durch EU-Behörden, die in höchstem Maßen umweltschädigend sind, wenn Gl. weiterhin bis 2033 im Einsatz bleiben darf. So zeigt die H.B. Stiftung auf, dass bei der Einschätzung von 53 Herstellerstudien 85% der EU-Behörden Gl. als zuverlässig deklarieren, während 64% der unabhängigen Krebsforscher Gl. als nicht zuverlässig bewerten. Der logischste Schluss wäre wohl dem Geld zu folgen… Konzerne haben Politik mittlerweile auch auf höchsten Ebenen im Sack und das Bakschisch muss reichlich geflossen sein.

    www.boell.de/de/glyphosat?



    gad_source=1&gad_campaignid=15822989709&gclid=Cj0KCQjw4qHEBhCDARIsALYKFNPlUIUM7H7sGDNQh8ZN-BVEktQSsZwnX1FKZIgZx7b52YC6yJqSwM4aAvh5EALw_wcB

  • Ja, die Beyers, da beruft man sich auf eine Zulassungsbehörde die man selber geschmiert hat. Lustig die Leutchen.

  • Was denn nun? Gefährdet die Artenvielfalt oder ist krebserregend? Oder beides? In den USA mit der hochentwickelten Klage-Industrie gehts mehr um die angebliche Krebserregung, von der wir auch mit 50 Ratten weit entfernt sind. In dem Artikel gehts ausserdem um angebliche Gefährdung der Artenvielfalt. Das betrifft aber die gesamte industrielle Landwirtschaft und nicht bloss Glyphosat. Glyphosat als nicht toxisches Herbizid hat auch eine wichtige Funktion im ökologischen Landbau, weil es das Mulchen vereinfacht, das bodenschützend ist. Das ist allerdings sehr umstritten enveurope.springer...source=chatgpt.com. Dieser Übersichtsartikel wird wahrscheinlich auch wieder abgelehnt weil er von Bayer gesponsert ist. Die Glyphosat-Debatte hat denselben Religionskrieg-Status wir die Kernenergie-Debatte. Ich bin mir im Klaren dass diese Mail ein bisschen unfokussiert ist. Ein Glyphosat-Verbot in der EU würde den EU-BäuerInnen die wirtschaftliche Grundlage noch weiter entziehen als sowieso schon. Gegenüber den grossen Landwirtschafts-Regionen in Amerika, Afrika und Austral-Asien sind sie ohnehin schon völlig abgehängt.

  • Im Prinzip müssten gut erhobene Daten aus Krebsregistern einen Beitrag leisten können, denn d. Herbizid ist seit 1974 im Einsatz gegen unerwünschtes Leben in d. Flora, offensichtlich m. unerwünschten Wirkungen in d. Fauna:



    "Glyphosat wurde 1950 das erste Mal von einem Schweizer Unternehmen entwickelt. Zu diesem Zeitpunkt wusste man noch nichts von der unkrautvernichtenden Wirkung dieser chemischen Verbindung. Erst die Firma Monsanto entdeckte Ende der 1960er Jahre, dass Glyphosat wirksam gegen Unkraut einsetzbar ist und entwickelte daraufhin das Unkrautvernichtungsmittel Roundup, das 1974 erstmals zugelassen wurde.



    Von da ab entwickelte sich der Wirkstoff Glyphosat zum weltweit bedeutendsten Inhaltsstoff von Herbiziden. Im Jahr 2000 lief das Patent auf die Substanz aus. Seitdem werden glyphosathaltige Unkrautvernichter auch von anderen Herstellern vertrieben. Monsanto ist aber nach wie vor Marktführer."



    landwirtschaft.de

    Glyphosate toxicity: in vivo, in vitro, and epidemiological evidence Free



    Rachel Lacroix , Deborah M Kurrasch



    Toxicological Sciences, Volume 192, Issue 2, April 2023, Pages 131–140



    "Here, we summarize the recent glyphosate literature and discuss its implications."

    • @Martin Rees:

      Die Zahl der BedenkenträgerInnen in der Ärzteschaft ist nicht gering, sie steigt.



      Das hat gute Gründe, die d. Logik folgen, da Maus ist nicht Mensch.



      "Tierversuche sind nicht auf den Menschen übertragbar



      Schon Menschen untereinander sind nicht vergleichbar. Unterschiede in Alter, Geschlecht oder Lebensgewohnheiten spielen eine entscheidende Rolle beispielsweise hinsichtlich der Reaktion auf Medikamente. Ebenso unterscheiden sich Mensch und Tier und genauso einzelne Tierarten untereinander hinsichtlich Körperbau, Organfunktion, Stoffwechsel und Ernährung. Dies vor Augen, wie sollen dann Ergebnisse von Tieren auf den Menschen übertragbar sein?



      Betrachtet man die krebserregende Wirkung von Substanzen, so haben Maus und Ratte eine Übereinstimmung von nur etwa 50 % (1).



      Eine andere Studie offenbarte große Unterschiede in der Reaktion des Immunsystems von Menschen und Mäusen auf ein stumpfes Trauma, Verbrennungen oder eine Blutvergiftung. Dabei zeigte sich, dass Menschen auf Entzündungen viel stärker reagieren und teilweise bis zu einem halben Jahr, wohingegen die Reaktion des Immunsystem bei der Maus sich nach wenigen Tagen bereits wieder abschwächt (2)."



      b. aerzte-gegen-tierversuche.de

  • 51 Tiere pro Geschlecht - wie viele Tiere sind das insgesamt im Lichte aktueller Geschlechterdebatten?



    Nimmt man das klassisch binäre Geschlechterverständnis, so handelt es sich lediglich um 102 Tiere, viel zu wenige um eine auch nur ansatzweise gesicherte Aussage treffen zu können.

  • Um die Studie und die Kritik daran einschätzen zu können, bedarf es schon unabhängiger wissenschaftlicher Einschätzungen.



    Dafür haben wir in Deutschland das unabhängige BFR, das damals von Renate Künast ins Leben gerufen wurde.



    Die haben bereits auf die Studie reagiert und sagen: "begründet die Studie keine Änderung der Bewertung des Wirkstoffes Glyphosat"



    www.bfr.bund.de/as...e-erforderlich.pdf

  • Irgendwie erinnert mich das an die Diskussion ob Rauchen Krebs verursacht oder nicht.



    Und auch der Kommunikationsstil scheint mir sehr sehr ähnlich zu sein.

    Ein Schelm ...

    • @Bolzkopf:

      In der Tat. Die Arbeit der Tabaklobby ist in vielen Bereichen die Blaupause für die Täuschung der Öffentlichkeit und Korrumpierung von demokratischen Entscheidungsprozessen. Daher finde ich schon lange, dass man sich diese Industrie mal ernsthaft vornehmen sollte und daraus auch Schlussfolgerungen ziehen muss in Bezug auf andere zweifelhafte bis offensichtlich schädliche Industrien.