Streit unter Leipzigs Antideutschen: Lieber rechts als gar kein Israel
Ein Zwist über sogenannte rechte Antideutsche entfacht den alten linken Streit neu: Wie weit nach rechts reicht die Solidarität mit dem jüdischen Staat?
Über dem Eingang des Veranstaltungssaals, wo Konzerte und Partys stattfinden, hängt zur Zeit ein großes Banner mit der Aufschrift „Gegen jeden Antisemitismus“. Dieser Slogan wird hier sehr ernst genommen. So ernst, dass Künstler auch mal wieder ausgeladen werden, sogar wenn sie zuvor schon zwei Mal im Conne Island aufgetreten sind.
So geschehen im Dezember 2016 beim New Yorker Rapper Talib Kweli. „Das Plenum hat beschlossen, dass dieses Konzert nicht stattfinden kann“, heißt es dazu auf der Website des Conne Islands. „In seinen Tweets nennt Kweli Israel einen Apartheidstaat, Zionisten ‚Unterdrücker‘ und bezeichnet sie als seine Feinde. […] Künstler wie Kweli sind trotz sonst schlauer Texte IdiotInnen, die im romantischen Glauben an Aufstand und Rebellion antisemitischen Erklärungsmustern aufsitzen. BDS ist nichts anderes als eine Neuauflage des ‚Kauft nicht bei Juden‘ Slogans, die Idee von BDS zielt auf ein faktisches Ende des Staates Israel ab.“ Dass auf diese Weise manchmal Einnahmen ausbleiben – geschenkt. Die meisten Menschen arbeiten ohnehin ehrenamtlich hier.
Das Plenum, das solche Entscheidungen trifft, findet einmal wöchentlich statt und ist offen, jedeR kann dazustoßen. Abgehalten wird es in einem Raum über dem Café. Es ist der 19. Juni 2018, 18 Uhr. An diesem warmen Sommerabend ist die Versammlung besonders gut besucht. Knapp 20 Leute sind gekommen, manche zum ersten, andere zum hundertsten Mal. Das hat einen Grund. Es ist schon die dritte Woche in Folge, in der über eine bestimmte Veranstaltung gesprochen werden muss. Und es gibt noch immer Redebedarf. Was ist vorgefallen?
Conne Island sprang für den Bahamas-Autor ein
Am 28. Mai hatte das Conne Island zu einem Vortrag im Rahmen der Veranstaltungsreihe „70 Jahre Israel“ eingeladen. Referent an diesem Abend war der Berliner Publizist Thomas Maul. Ursprünglich hätte Maul seinen Vortrag mit dem Titel „Zur Kritik des islamischen Antisemitismus und seiner Bagatellisierung“ an der Universität Leipzig halten sollen. Als die geplante Teilnahme Mauls öffentlich wurde, formierte sich Protest.
Die Leipziger Initiative gegen rechte Antideutsche rief zum Boykott der Veranstaltung auf und bat die Geldgeber*innen der Veranstaltungsreihe in einem offenen Brief, den sie auf Facebook veröffentlichte, Maul „keine Möglichkeit zur rechten und reaktionären Agitation zu bieten“. Die Kritik wurde ernst genommen. Nachdem der Verband Sozialistische Jugend – Die Falken, die Naturfreundejugend Berlin und die Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig ihre Mitwirkung an der Reihe zurückgezogen hatten, entschied sich der Student_innen Rat der Universität Leipzig, doch keinen Raum für den Vortrag mit Maul zu stellen. Später entzog die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen ihre zugesicherten Mittel für die gesamte Veranstaltungsreihe.
Das Conne Island sprang ein und bot dem umstrittenen Referenten, der auch Autor der Zeitschrift Bahamas ist, am 28. Mai eine Bühne für seinen Vortrag.
Auch das verlief nicht ohne Reibung. Zu Beginn des Vortrages verteilten Aktivist*Innen Flyer im Saal des Conne Island, auf denen Maul unter anderem als „Rassist“ und „Sexist“ bezeichnet wurde. Unterschrieben waren sie offenbar selbstironisch mit einer Bezeichnung, die Maul in einem vorangegangenem Text wählte: „Die feministischen Heulsusen“. Laut Augenzeugenberichten wurden sie später von den VeranstalterInnen des Saales verwiesen. Der Satz „Dann hört doch auf, Sexisten eine Bühne zu bieten, ihr Schweine“, soll gefallen sein. Ein Vorwurf, der sich auf einen von Maul in der Bahamas veröffentlichten Text bezieht, in dem er sich mit reichlich Schaum vor dem Mund an der #MeToo-Debatte abarbeitet, sowie auf misogyne Facebook-Posts von ihm zum selben Thema.
Harte Selbstkritik ist nicht unüblich
Das Plenum ist nun uneins, selbst nach stundenlanger Diskussion. Einerseits sei die Entscheidung pro-Maul unglücklich hastig gefallen, obwohl Bedenken geäußert wurden. Andererseits wären Mauls Provokationen im Conne Island in dem Sinne gelungen gewesen, dass sie eine bundesweite Debatte über Islam, AfD und Antisemitismus losgetreten hätten, dass nun linke Gewissheiten hinterfragt würden. Kurz nach dem Vortrag berichteten unter anderem die Zeitungen junge Welt und neues deutschland. Darin heißt es aber auch, dass das Conne Island einen „Rechtsruck“ erlebe – eine Anschuldigung, der man bereits Mitte Juni mit einer umfassenden Kritik an Maul und einer Selbstkritik an den eigenen Strukturen so schnell wie möglich den Wind aus den Segeln nehmen wollte.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass im Plenum Entscheidungen fallen, die im Nachhinein einer harten Selbstkritik unterzogen werden. Die Empörung über Mauls Auftritt aber will selbst Wochen später nicht abebben. Die Initiative für eine linke Gegenkultur glaubt im Conne Island generell einen „Rechtsruck“ zu beobachten und fordert in einem „Offenen Brief an Künstler und Kulturschaffende“ seit Juni dazu auf, den Laden zu boykottieren.
Das Island gibt wie gewohnt keine offizielle Auskunft. Einen Pressesprecher gibt es nicht, Namen werden sowieso keine genannt. Die rechte Szene, die in Leipzig wie überall im Osten stark ist, hat konstant ein Auge auf linke Protagonisten und zögert nicht, sie zu attackieren.
Maßgeblich für den Vorwurf des „Rechtsrucks“ war ein Facebook-Beitrag, in dem Maul kurz vor seinem Vortrag in Leipzig die AfD als „einzige Stimme der Restvernunft im Deutschen Bundestag, zuweilen gar als parlamentarischer Arm materialistischer Ideologiekritik“ bezeichnete. Er bezog sich dabei auf eine Rede von Alexander Gauland, der anlässlich des 70. Jahrestages der Staatsgründung Israels meinte, „dass die Existenzsicherung Israels am Brandenburger Tor beginnt.“
Das „Linke“ wiederzufinden, fällt schwer
Daran anknüpfend bezeichnete Maul in seinem Vortrag die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel als „verfehlt“ und plädierte für rigoros geschlossene Grenzen wie in Ungarn, wo „jüdische Einrichtungen nicht unter permanentem Polizeischutz“ stehen müssten. Wenngleich er wenig später einräumte, dass „Ungarn und Orbán nicht wirklich gute Beispiele“ seien, machten diese Zeilen im Netz die Runde. Gegen Antisemitismus, auch gegen islamischen – im Zweifelsfall im Schulterschluss mit der Neuen Rechten? Eine explizite Distanzierung hält Maul für so selbstverständlich, dass sie überflüssig sei: „Ich distanziere mich innerhalb einer Szene nicht von Menschen oder Parteien, die dort sowieso keiner leiden kann, weil das einfach nur billig, hohl und selbstgerecht wäre“, schrieb er auf Nachfrage der taz.
Es fällt schwer, in solchen Äußerungen das ‚Linke‘ wiederzufinden. Der Soziologe Floris Biskamp von der Universität Kassel beobachtet die Szene der sogenannten Antideutschen seit Jahren und ist wenig überrascht. Zum Umfeld der Bahamas, einer nach eigener Zuschreibung „ideologiekritischen“ Zeitschrift, sagt Biskamp: „Man erklärt schon lange immer und immer wieder den endgültigen Abschied von der Linken, mit der man angeblich nichts mehr zu tun haben will. Weil sich aber außer der Linken wirklich niemand für die Bahamas interessiert, ist man doch an die Linke gebunden und muss diese immer wieder provozieren.“
Und so einer wie Maul durfte im Conne Island vortragen? Das Plenum versucht, den Ruf des Conne Islands zu retten, indem es einerseits interne Entscheidungsstrukturen offenlegen möchte, andererseits Mauls Positionen klar verurteilt. Die Frage, die bleibt, ist aber: Was rechtfertigt, dass Islamophobie, AfD-Lob und ein derart drastisches Austeilen gegen neuere Positionen des Feminismus überhaupt als „links“ gelten dürfen?
Es ist das Banner über dem Laden, das letztlich erklärt, warum Maul im Conne Island reden durfte. „Gegen jeden Antisemitismus“. Für einen Teil der linken Szene, der meist nur von außen als „antideutsch“ beschrieben wird, ist der Slogan nicht nur einer von vielen. Er beschreibt ihr Selbstverständnis, die Idee, dass als Lehre aus Auschwitz der jüdische Nationalstaat gegen alle Feinde verteidigt werden muss, auch gegen solche, die sich für links halten. „Wie hältst du’s mit Israel?“, das ist die Gretchenfrage, hinter der Rechts-links-Verwirrungen für einen Teil der linken Szene nachrangig werden.
Kulturförderung steht auf dem Spiel
Ist es also völlig egal, ob Israelsolidarität auch von einer Beatrix von Storch oder einem Alexander Gauland vertreten wird? Protagonisten wie Maul ist es lieber, dann als „rechter Antideutscher“ zu gelten, wenn Linke ihm das Linkssein aberkennen wollen.
In 25 Jahren des Bestehens sind dem Conne Island weder rechte noch innerlinke Angriffe jemals ernsthaft zur Gefahr geworden. Sollte sich jedoch der Ruf vom ‚Rechtsruck‘ des Zentrums verfestigen, könnte das zum Problem werden – gerade wenn der wunde Punkt eines soziokulturellen Zentrums, die Kulturförderung, auf dem Spiel steht. Das Plenum wird wohl noch einige Sitzungen brauchen, um diesen drohenden Schaden abwenden zu können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“