Streit um Israel-Kritik und BDS-Bewegung: „Eine Art Hochverrat“
Anhängern der Boykott-Bewegung gegen Israel werden häufig Räume entzogen. Manchmal reicht der bloße Verdacht. Jetzt gibt es einen neuen Fall.
Der Hintergrund ist eine Kampagne des Journalisten Benjamin Weinthal. Der rückte Bax in der rechten israelischen Zeitung Jerusalem Post kürzlich in die Nähe „antijüdischer Verschwörungstheoretiker“.
Konkrete Belege: Fehlanzeige. Journalisten und Antisemitismusexperten in Deutschland würden den Ex-tazler mit „dem Neonazi Udo Voigt und Antisemiten aus dem Mullahregime des Iran“ vergleichen. Als Kronzeuge wird die Website Honestly Concerned zitiert, die Bax als „Paradebeispiel für einen antizionistischen und antisemitischen BDS-Befürworter“ bezeichnet. Die BDS-Bewegung fordert einen umfassenden Boykott Israels, bis die Besatzung der Palästinensergebiete beendet ist.
Anlass des Angriffs auf Bax: Er wird am Donnerstag an einer Podiumsdiskussion über linken Antisemitismus im Anne Frank Zentrum teilnehmen. Leiter Mendel, so der Zeitungstext, bleibe angesichts dieses Skandals nur der Rücktritt.
Kein Einzelfall
Mendels Überraschung hält sich in Grenzen. Persönliche Angriffe seien nichts Neues. Offenbar habe er die Erwartung von jüdischen Rechten enttäuscht, dass „jemand, der aus Israel kommt, zwangsläufig Sprachrohr der Regierung dort ist“. Der Bildungsstättenleiter hält die Attacke für keinen Einzelfall. Solche Angriffe „richten sich gegen Journalisten, Bildungseinrichtungen und jüdische Studentenorganisationen. Kritik an der Regierung Netanjahu gilt als eine Art Hochverrat. Wer abweicht, wird als Antisemit diffamiert“, so Mendel.
In dem Aufruf "Der Gleichsetzung von Kritik am Staat Israel und Antisemitismus ein Ende zu bereiten“ heißt es:
„Wir alle sind Wissenschaftler*innen, jüdisch und nicht jüdisch, israelisch und nicht israelisch, von denen sich einige professionell mit Judaistik und dem Holocaust befassen.
Uns beunruhigt eine zunehmende Tendenz, auch in Deutschland, Judentum mit Zionismus gleichzusetzen und Unterstützer der Menschenrechte der Palästinenser als antisemitisch zu bezeichnen.“
In Deutschland werde mitunter „jegliche Kritik an Israel, und sogar Einwände gegenüber religiöser und ethnischer Diskriminierung innerhalb Israels, als Bedrohung jüdischen Lebens betrachtet“.
Der vollständige Text: taz.de/israelkritik
Auch Michael Blume (42), CDU-Mitglied und Antisemitismus-Beauftragter in Baden-Württemberg, hat mit Weinthal keine guten Erfahrungen gemacht. Er bemängelt inquisitorische Fragen, falsche Zitate und einen aggressiven Tonfall. „Ich habe“, so Blume zur taz, „von ihm journalistische Anfragen erhalten, die jede Seriosität vermissen lassen.“ Auch für Blume ist der Feldzug von rechts kein Zufall. „Die Pro-Israel-Bewegung in Deutschland“, so seine Beobachtung, „spaltet sich digital in einen demokratischen und einen nationalistischen Flügel.“
Auch die deutsch-israelischen Gesellschaften und Freundschaften würden zerrissen. Religionswissenschaftler Blume erinnert die Radikalisierung von manchen Bloggern und Journalisten an andere Phänomene – wie die sogenannten Superkatholiken, die liberale Priester und Funktionärinnen im Internet als Verräter anschwärzten. „Auch liberale MuslimInnen werden durch selbsternannte Wahrheitswächter oft getrollt“, so Blume. Jetzt gebe es dieses Phänomen mit Berufung auf das Judentum. „Typisch ist, dass die Digitalaktivisten in den Religionsgemeinschaften selbst kaum auftauchen, oft nicht einmal Mitglieder sind“, so Blume.
Jüdische Intellektuelle warnen
Das Meinungsklima in Deutschland in Sachen Israel und Palästina sorgt auch jüdische Intellektuelle aus Israel und den USA wie Eva Illouz, Judith Butler und Moshe Zimmermann. In einem Aufruf warnen mehr als hundert WissenschaftlerInnen davor, „Unterstützer der Menschenrechte der Palästinenser als antisemitisch zu bezeichnen“. Besonders kritikwürdig scheint den Intellektuellen die Ausgrenzung der international aktiven, in Deutschland verschwindend kleinen BDS-Bewegung. Manche der Unterzeichner unterstützen BDS, andere nicht, treten aber dafür ein, dass BDS-Unterstützer an öffentlichen Einrichtungen auftreten dürfen. In Deutschland haben mehrere Landtage und Städte – wie München und Frankfurt – BDS zu einer antisemitischen Organisation erklärt. BDS-Aktivisten dürfen dort keine städtischen Räumen nutzen.
Meron Mendel
Dieser verständliche Versuch, als Antizionismus getarnten Antisemitismus an den Rand zu drängen, hat indes zwiespältige Effekte. Die Stadt München versuchte im März die Vorführung eines Dokumentarfilms über die Mauer im Westjordanland in einem städtischen Raum zu verhindern. Der Film „Broken“ habe zwar nichts mit BDS zu tun. Doch bei der Diskussion sei zu erwarten, dass ein zentrales Ziel von BDS – der Abriss der Mauer – zur Sprache kommen könnte. Ein Gericht gab zwar im letzten Moment den Veranstaltern, der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe, Recht. Der Film wurde im Eine-Welt-Haus gezeigt. Doch der Fall zeigt, wie nah das Raumverbot einer Einschränkung von Meinungsfreiheit kommen kann.
Auch in der Frankfurter Lokalpolitik gibt es nun Stimmen, denen eine Podiumsdiskussion mit Bax zu weit geht. Der Frankfurter CDU-Bürgermeister Uwe Becker (49) hält die Einladung des Journalisten „für keine glückliche Wahl“. Bax habe „nicht die notwendige Distanz zu BDS“, so Becker zur taz. Das habe er auch Mendel mitgeteilt, akzeptiere aber, dass die Bildungsstätte das anders sehe. Dass Bürgermeister die Besetzung von Podien beeinflussen wollen, ist ungewöhnlich. Becker ist nicht irgendwer. Diese Woche wurde er zum Antisemitismusbeauftragten des Landes Hessen berufen.
Meinungsfreiheit auch für BDS
Daniel Bax sagte der taz, dass er „die Positionen von BDS nicht teilt, aber für legitim hält“. Es gehöre zur Meinungsfreiheit, dass BDS-Unterstützer ihre Ansichten uneingeschränkt veröffentlichen können.
Mendel hat 2017 den Beschluss, in Frankfurt BDS aus städtischen Einrichtungen auszusperren, als „starkes Signal gegen Judenhass und israelbezogenen Antisemitismus“ begrüßt. Der Fall Bax macht ihn aber nachdenklich. Auf dem Podium solle die Bandbreite der innerlinken Debatte abgebildet werden, unabhängig davon, welche Position ihm sympathisch sei. Seine Kritik: „Obwohl es keine Beweise gibt, dass Bax BDS unterstützt, wird gefordert, dass wir ihn ausladen. Da werden Grenzen verwischt“. Es gebe die Gefahr einer beliebigen Ausweitung: „BDS-Sympathisant, BDS-Verteidiger, BDS-Verharmloser – wie weit soll das Raumverbot gehen?“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind