Streit um Freihandelsabkommen Ceta: Wallonien ist nicht allein
Medien und Politik fallen über die belgische Region her. Dabei teilen viele andere Gegenden diese Kritik – doch die werden erst später gefragt.
Auch aus der Politik ist vor allem Häme zu hören. „Wollen wir jetzt noch den Kirchengemeinderat von Biberach befragen?“, ätzte EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU). Der CSU-Europaabgeordnete Manfred Weber sieht im Veto aus Wallonien ein „Versagen nationaler Politik, für EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz (SPD) zeigt es den „bedenklichen Zustand“ der EU.
Doch allein ist die Wallonie mit ihrer Kritik am Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada keineswegs. Europaweit haben über 2.000 Regionen, Länder und Kommunen Resolutionen gegen Ceta und TTIP verabschiedet; eine Übersicht findet sich unter www.ttip-free-zones.eu. Doch im Gegensatz zu Wallonien werden sie derzeit nicht nach ihrer Meinung gefragt. Nur in Belgien braucht die Regierung die Genehmigung durch die Regionalparlamente, um Ceta unterschreiben zu dürfen. Andere Parlamente, die Mitgliedstaaten oder Regionen vertreten, werden erst gefragt, nachdem Ceta unterzeichnet wurde. Das gilt auch für Bundestag und Bundesrat in Deutschland.
Und auch wenn die wütende Reaktion der deutschen Politik auf die Haltung Walloniens anderes vermuten lässt: Dass Ceta dort eine Mehrheit bekommt, ist keineswegs sicher. Denn die Grünen, gegen deren Stimmen Ceta im Bundesrat nicht verabschiedet werden kann, haben sich klar gegen das Abkommen gestellt. Daran hat sich durch die Zusatzerklärung zu Ceta, auf die sich die EU und Kanada mittlerweile geeinigt haben, auch nichts geändert, erklärte Grünen-Handelsexperte Sven Giegold. Deren Nutzen sei „zweifelhaft“, notwendig seien Änderungen „im Ceta-Vertrag selbst“.
Berechtigtes Veto aus Belgien
Doch auch innerhalb der SPD, die sich nur mit knapper Mehrheit und unter klaren Bedingungen für Ceta ausgesprochen hatte, halten viele das Veto aus Belgien für berechtigt. „Die Kritikpunkte sind fast identisch mit dem, was die SPD beim Konvent beschlossen hat“, sagt etwa der Bundestagsabgeordnete Marco Bülow. „Es ist katastrophal, wie Wallonien jetzt unter Druck gesetzt wird, weil sie ein Recht nutzen, das die Region nun mal hat.“
Marco Bülow, SPD
Auch Matthias Miersch, der als Sprecher der Parlamentarischen Linken der SPD den Kompromiss beim Parteikonvent mit ausgehandelt hatte, sieht die massiven Druck auf Wallonien mit Sorge. „Statt übereinander herzufallen und Kritik als antieuropäisch abzustempeln, sollten wir miteinander reden“, sagte er der taz. „Die Konsequenz aus dem aktuellen Streit darf jedenfalls nicht sein, dass die Parlamente anschließend keine Änderungen mehr fordern dürfen.“
Unterstützung bekommen die Wallonen auch aus der Zivilgesellschaft. „Das Nein Belgiens zu Ceta steht für das Nein eines großen Teils der Menschen in Europa“, sagte etwa Attac-Handelsexperte Roland Süß. „Sie teilen die Kritik an Sondergerichten für Konzerne und einer Aushöhlung der öffentlichen Daseinsvorsorge.“
Der Gipfel: Ob der EU-Kanada-Gipfel, bei dem Ceta unterzeichnet werden soll, am Donnerstag stattfindet, war auch am Dienstag noch offen. Ursprünglich hatte EU-Ratspräsident Donald Tusk erklärt, wenn Wallonien nicht bis Montagabend einlenke, werde der Gipfel abgesagt. Doch obwohl Wallonien bei seinem Nein blieb, erklärte Tusk, der Gipfel bleibe möglich.
Das Abkommen: Mit Ceta wollen Kanada und die EU Zölle abbauen und Standards vereinheitlichen. Kritiker bemängeln unter anderem, dass Konzerne künftig gegen Staaten klagen können.
Felix Kolb vom Aktionsnetzwerk Campact wies den Vorwurf vieler Ceta-Befürworter zurück, für grundlegende Kritik sei es nach sieben Jahren Verhandlungen zu spät. „Während der Verhandlungen wurde den Kritikern immer gesagt: Wartet doch erst mal das Ergebnis ab“, sagte er der taz. „Jetzt, wo das Ergebnis vorliegt, heißt es: Nun ist es zu spät, noch etwas zu ändern. Das ist antidemokratisch.“
Doch ob die Kritiker mit Sachfragen zu Inhalten von Ceta überhaupt noch durchdringen werden, ist derzeit offen. Schließlich hängt für viele Medien und PolitikerInnen an der unveränderten Verabschiedung von Ceta offenbar nicht weniger als die Zukunft Europas.
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