Streit um Abschiebungen in Österreich: Schlamassel für die Grünen
Die Abschiebepolitik der ÖVP stellt die österreichischen Grünen vor die Wahl: Weiter mit Sebastian Kurz oder nicht? Die grüne Basis muckt auf.
B ei Österreichs türkis-grüner Koalition brennt das Dach. So offen flogen die Fetzen noch nie in der vor wenig mehr als einem Jahr vereidigten Regierung der konservativen ÖVP unter Kanzler Sebastian Kurz und den Grünen. Anlass ist die Abschiebepolitik der ÖVP, die seit letzter Woche ein Gesicht hat: das der 12-jährigen Tina, die vor wenigen Tagen mit ihrer Mutter und ihrer kleinen Schwester nach Georgien zwangsverbracht wurde, in ein Land, das sie nicht kennt und dessen Sprache sie zwar versteht, aber nicht lesen kann. Mehr vorbildliche Integration ist schwer vorstellbar.
Juristen und Menschenrechtler versichern, dass die Ermessensspielräume nicht ausgenutzt wurden und verweisen darauf, dass die von Österreich ratifizierte Kinderrechtskonvention Rücksicht auf das Kindeswohl gebietet. Vom Kanzler über den Innenminister bis zum Fraktionschef gaben die ÖVP-Granden die harten Männer, die nur den Gesetzen folgten. Proteste der Grünen prallten an der Phalanx der Abschieber ab. Für die Türkisen ist der Wirbel sogar willkommen: Er lenkt von peinlichen Affären und ihrem Versagen im Coronamanagement ab. Gleichzeitig binden sie die rechten Stimmen, die nach diversen Skandalen von der FPÖ abgewandert sind.
Und die Prügel bezogen die Grünen, die die offensichtlichen Grausamkeiten nicht verhindert haben. Ein wahrer Aufstand an der Basis der Menschenrechtspartei brachte die Parteiführung in Zugzwang. Von „Heuchelei“ bis „Die ÖVP wird das noch bereuen“ fielen ungewohnt scharfe Worte gegen den Koalitionspartner. Aber die Koalition sprengen will aus der Führungsriege niemand.
Die Grünen stecken in einer Zwickmühle: Halten sie still, dann laufen ihnen die Wähler davon und sie fliegen bei Neuwahlen aus dem Parlament. Schmeißen sie hin, dann können sie auch die angestrebte Klimawende und das Transparenzpaket nicht mehr durchsetzen. Anders als Reformen im Asyl- und Fremdenwesen sind diese Punkte aber im Koalitionsabkommen paktiert. Hinzu kommt: Anders als die ÖVP haben sie keine Koalitionsalternativen.
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