Strafen für Klimaschützer in Australien: 24 Minuten Blockade, 15 Monate Haft
Australische Bundesstaaten gehen mit drakonischen Strafen gegen Klimaproteste vor. Doch die Bundesregierung bemüht sich, beim Klimaschutz aufzuholen.
„Diese Klima- und Umweltkrise wird schon bald zum Aussterben von Tier- und Pflanzenarten führen, zu Nahrungsmittelknappheit, einem Anstieg des Meeresspiegels und extremen Wetterbedingungen. Sie wird jeden Aspekt des Lebens, wie wir es kennen, bedrohen“, warnte Coco später in einem vom Online-Magazin Crikey veröffentlichten Schreiben. Der Artikel war mit einer ominösen Bemerkung versehen: „Wenn Sie das lesen, bin ich wegen eines friedlichen Protests zum Schutz der Umwelt ins Gefängnis geschickt worden.“
Tatsächlich hatte ein Gericht in Sydney die junge Frau zuvor zu einer Strafe von 15 Monaten Haft verurteilt. Die Richterin des Bundesstaates New South Wales (NSW) warf Coco eine „emotionale Reaktion“ auf die Klimaveränderung und eine „kindische Aktion“ vor. Sie lehnte wie sonst nur bei Gewaltverbrechern eine Freilassung gegen Kaution ab. Erst knapp zwei Wochen später war ein Wiedererwägungsgesuch erfolgreich. Coco ist nun bis zu einem Berufungsverfahren im März vorläufig auf freiem Fuß.
Die Härte der Bestrafung hat nicht nur RechtsexpertInnen alarmiert, sondern sogar die Vereinten Nationen auf den Plan gerufen. Clément Voule, der UN-Sonderberichterstatter für Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, erklärte online: „Ich bin beunruhigt über die Haftstrafe, die ein NSW-Gericht gegen die Klimaschützerin Deanna Coco verhängt hat, und über die Weigerung, eine Kaution bis zu einer Berufungsverhandlung im März 2023 zu gewähren.“ Friedliche Demonstranten sollten „niemals kriminalisiert oder inhaftiert werden“, so der Delegierte.
Die Verhaftung und Inhaftierung von Deanna Coco ist kein Einzelfall. So sollen in Australien mindestens ein Dutzend Klimaaktivisten auf ihren Termin vor dem Richter warten. Bürgerrechtsbewegungen melden einen „explosionsartigen Anstieg der Verabschiedung von Gesetzen, die gezielt friedliche Proteste für mehr und sofortigen Klimaschutz unter Strafe stellen“. Gleichzeitig versucht der im Mai gewählte Labor-Premierminister Anthony Albanese, nach zehn Jahren einer klimaskeptischen konservativen Regierung die Glaubwürdigkeit Australiens auf dem internationalen Parkett wiederherzustellen. Nicht nur hat das Land seine Klimaziele marginal verbessert, Canberra rief jüngst eine neue Umweltbehörde ins Leben.
Einer der größten Kritiker der Gesetzesinflation in den Bundesstaaten ist Bob Brown, Gründer der Grünen Partei und Urvater der Umweltproteste in Australien. Im Moment steht der 77-Jährige selbst wieder vor Gericht – auch ihm droht wegen eines Protestes Haft. Im Verlauf von 40 Jahren Aktivismus auf der Insel Tasmanien hat Brown schon Monate im Gefängnis verbracht. In den achtziger Jahren habe er geglaubt, sein Kampf zum Schutz von Urwäldern, gegen den Bau von Staudämmen und zur Erhaltung von Ökosystemen habe eine „neue Welle des Umweltaktivismus ausgelöst, der nie mehr so hart sein wird wie damals“, meint Brown. „Ich lag völlig falsch.“
In allen großen Bundesstaaten hat sich das Klima für Klimaschützer deutlich verschärft. In New South Wales, das von einer konservativen Koalition regiert wird, wurde die Sorge wegen Verkehrsbehinderungen nach Klimaprotesten in Sydney Anfang des Jahres genutzt, um zweijährige Haft- und Geldstrafen von 22.000 Dollar (14.000 Euro) für „illegale Proteste“ einzuführen. Die Gesetze, die gewaltfreie Aktionen auf Bahnstrecken, Brücken, Tunneln und öffentlichen Straßen unter Strafe stellen, wurden in Rekordzeit mit Unterstützung der Labor-Opposition verabschiedet. Wenige Wochen zuvor hatte die Regierung ein „hartes Durchgreifen gegen Umweltschützer“ angekündigt.
Zwar zielt das Gesetz laut Generalstaatsanwalt Mark Speakman auf „anarchistische Demonstranten“ ab. Doch „da die Bestimmungen so locker formuliert und so ungenau sind, können die Gesetze auf fast jede Situation angewendet werden, in der sich Menschen auf einer Straße aufhalten“, sagt der Rechtsanwalt Mark Davis, der Coco vor Gericht vertritt. Das Gesetz gebe „der Polizei einen unbegrenzten, völlig willkürlichen Ermessensspielraum, jeden auf einer Straße zu verhaften, der gegen irgendetwas protestiert, nicht nur gegen das Klima“, so Davis.
In den von Labor regierten Bundesstaaten Victoria und Queensland sieht die Situation nicht besser aus. Im August hat sich die konservative Opposition in Victoria mit der progressiven Regierung von Premier Daniel Andrews zusammengetan, um ähnliche Gesetze zu verabschieden. Die Politik setzte sich damit über schwere Bedenken von Bürgerrechtsgruppen, Gewerkschaften und Umweltschützern hinweg. Schon vor drei Jahren hatte die Labor-Regierung von Queensland im Eiltempo weitreichende Einschränkungen des Rechts auf Protest durchgesetzt, die mit nicht belegten Behauptungen über „extremistisches“ Verhalten von Umweltschützern begründet wurden. Die daraus resultierende Gesetzgebung erweitertet die polizeilichen Durchsuchungsbefugnisse und kriminalisiert „gefährliche Sicherungsmittel“. Dazu gehört auch Sekundenkleber, den Aktivisten verwenden könnten, um sich an Gehsteigen oder Gebäuden zu befestigen.
Abhängig von Steuern der Klimakiller
Kritiker wie Bob Brown meinen, die Regierungen der Bundesstaaten würden auf Druck der Wirtschaft mithilfe der Gesetze versuchen, abweichende Meinungen zu unterdrücken. Die Steuerkassen aller drei großen Bundesländer sind stark von klimabelastenden Branchen abhängig – Kohle und Gas, Holz- sowie Schwerindustrie.
Zumindest in einigen Fällen scheint aber auch Ideologie die treibende Kraft hinter der Verfolgung gewaltfreier Protestierender zu sein. Der als neoliberal geltende Premier von NSW, Dominic Perrottet, bezeichnete die Inhaftierung von Deanna Coco als „erfreulich“. „Wenn Demonstranten unsere Lebensweise gefährden wollen, dann sollten sie mit der vollen Härte des Gesetzes dafür bestraft werden“, so der konservative Politiker.
Bürgerrechtler und führende Akademiker sehen in den Maßnahmen eine Unterwanderung des Rechts auf Protest. Der Physiker und Klimawissenschaftler Bill Hare verurteilte Perrottets Erklärung auf Twitter als eine der „regressivsten, antidemokratischsten Äußerungen“, an die er sich in Australien „seit Langem“ erinnern könne. Hare – Co-Autor des Vierten Sachstandsberichts des Weltklimarats IPCC – fügte hinzu, dass die durch Proteste verursachten „Unannehmlichkeiten nicht mit den katastrophalen Risiken für die Umwelt und den schweren Schäden für unsere Lebensweise vergleichbar sind, die durch die Emissionen fossiler Brennstoffe verursacht werden“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten