Stolperstart der schwarz-roten Koalition: Eine links-grüne Blockade würde nur der AfD nützen
Die Merz-Regierung wird weiter auf Grüne und Linke angewiesen sein. Sie müssen die Chance strategisch nutzen, ohne sich erpressen zu lassen.

D ie neue schwarz-rote Koalition hat ein großes Interesse daran, ihren verstolperten Start der Kanzlerwahl vergessen zu machen. Doch der Gefallen, den Grüne und Linke Friedrich Merz, seiner Union und der SPD getan haben, war dafür viel zu bemerkenswert: Indem die beiden kleinen Oppositionsfraktionen einen zweiten Wahlgang am selben Tag ermöglichten, haben sie eine grauenvolle Blamage verhindert und dafür gesorgt, dass Merz seine symbolträchtigen Reisen nach Paris und Warschau antreten konnte.
Damit könnte der Ton für ein Leitmotiv der Legislaturperiode gesetzt worden sein. Schon die Aufweichung der Schuldenbremse Mitte März funktionierte nur dank der Grünen. Nun brauchten Union und SPD für das Prozedere des Kanzlerwahltags auch noch die Stimmen der Linksfraktion. CDU und CSU haben damit endlich ihr albernes Kooperationsverbot mit der Linkspartei abgeräumt. Und: Es dürfte nicht das letzte Mal gewesen sein, dass die kleine Koalition auf Grüne und Linke angewiesen ist, damit die AfD außen vor bleibt. Ja, diese wird das für ihre Wir-gegen-alle-anderen-Erzählung nutzen. Ebendas ist das Dilemma, in das die Rechtsextremen die Demokrat*innen weltweit gestürzt haben.
Grüne und insbesondere die Linke lassen sich damit auf eine Form der Zusammenarbeit ein, die sich anfühlen wird wie das eher von der Sozialdemokratie sattsam bekannte, zähneknirschende Mitmachen um des großen Ganzen willen. Das spiegelt einen unter außerparlamentarischen Linken weitverbreiteten und zugleich widersprüchlichen Impuls: Als am Dienstag zunächst unklar blieb, wie es nach dem verpatzten ersten Wahlgang weitergehen würde, waren viele von sich selbst verblüfft – denn statt Schadenfreude verspürten sie eher Entsetzen darüber, dass die neue Koalition einen Fehlstart hingelegt hatte.
Jetzt muss man diesem Kanzler und seinen Leuten, die jüngst mangels eigener Ideen vor allem gegen links und grün gepöbelt haben, auch noch einen reibungslosen Geschäftsbetrieb wünschen? Diesen Leuten, die stets behauptet hatten, Ordnung und Disziplin für sich gepachtet zu haben – und nun bei den simpelsten Beschlüssen ihre Truppen nicht beisammenhaben?
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Es braucht alle Demokrat*innen
Doch genau so sieht es aus. Merz, Klingbeil und ihr Hühnerhaufen brauchen Hilfestellung aus dem linken Spektrum, um das Chaos zu vermeiden, das aktuell nur der AfD nützt. Dabei geht es nicht nur um Geschäftsordnungen. Grüne und Linke sollten sich jedoch nicht erpressen lassen – so, wie es sich in der Rhetorik des neuen Unionsfraktionschefs Jens Spahn andeutet, Motto: Macht ihr nicht mit, müssen wir halt mit der AfD arbeiten.
Denn die Geschichte funktioniert natürlich nur andersherum: Wenn diese Koalition den Aufstieg des nächsten Faschismus bekämpfen will, braucht sie dafür alle Demokrat*innen – linke, grüne, andere. Und die können dafür auch Forderungen stellen, vernünftige Forderungen: für Klimaschutz, für sozialen Schutz, für demokratischen Zusammenhalt – zum Beispiel.
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