Steinmeier besucht Sachsen: Mit Kaffee gegen Spaltung
Der Bundespräsident reist durchs Land, um mit Menschen zu sprechen. In Sachsen trifft er Teilnehmer von Montagsdemos und deren Gegner – an einem Tisch.
E s dauert einen ganzen Tag, bis Frank-Walter Steinmeier angebrüllt wird. Bedenkt man, was Ministerpräsident Michael Kretschmer so widerfährt oder was Ex-Kanzlerin Angela Merkel in Sachsen alles wegstecken musste, kann man das einen durchaus freundlichen Empfang nennen. Am frühen Mittwochnachmittag nähert sich der Bundespräsident dem Café Hartmann, einer Traditionskonditorei, die nur einen Sprung vom Rathaus entfernt in der Freiberger Altstadt liegt.
Vor dem Café stehen ein paar Leute herum, es hat sich herumgesprochen, dass Politprominenz in der Stadt weilt. Einige von ihnen halten das Handy gezückt, sie wollen ein Foto von Steinmeier machen. Ein kleiner Trupp aber hat eine Nachricht mitgebracht. „Frieden mit Russland“ steht auf dem Plakat, das einer von ihnen hält. Vom Christmarkt vor dem Rathaus klingen Weihnachtslieder herüber, es schneerieselt.
„Kriegstreiber“, ruft der Mann, als er den Bundespräsidenten sieht, und dass dieser die Gesellschaft spalte – Steinmeier erzählt davon später drinnen. Dort ist ein langer Tisch aufgebaut, zwölf Freiberger*innen sitzen daran. Sechs Männer und sechs Frauen, die recht unterschiedlich ticken – und das ist genau so gewollt. Zwei von ihnen gehen montags regelmäßig auf die Straße. Ein Pfarrer hat den Verein „Freiberg für alle“ mitbegründet, der sich für eine weltoffene Stadt und Solidarität einsetzt. Dazu unter anderen: eine Mitarbeiterin der Tafel, eine Altenpflegerin, die sich nicht impfen lassen will, zwei Kulturschaffende, die Vorsitzende des Gewerbevereins, ein ehrenamtlicher Jugendarbeiter.
Auf der weißen Decke stehen Blumengestecke und Platten mit Kuchen, Stollen und Plätzchen, über allem hängt viel Stuck und ein gewaltiger Tannenkranz mit Weihnachtsschmuck. Kaffee und Tee bringt die Bedienung.
Er wolle, sagt Steinmeier, als er und Oberbürgermeister Sven Krüger in der Mitte Platz genommen haben, die Gesellschaft mit sich selbst ins Gespräch bringen. „Kaffeetafel kontrovers“ heißt das Format, das sich das Bundespräsidialamt dafür ausgedacht hat. Es ist der jeweilige Höhepunkt der sogenannten Ortszeiten, für die Steinmeier in die Provinz reist und drei Tage lang bleibt.
Offiziell verlegt er seinem Amtssitz hierher, vor der Tür seiner Bleibe wird also die Flagge gehisst, mal hat er einen Staatsgast dabei, mal verleiht er im Laufe der Reise Bundesverdienstkreuze. Im Zentrum aber steht, dass er Leute trifft, Gespräche führt, sich über aktuelle Herausforderungen und über die Demokratie austauscht, manchmal auch streitet. Nicht nur, aber eben auch an der Kaffeetafel.
Steinmeier versucht hier also das genaue Gegenteil von dem, was der Mann vor der Cafétür ihm vorgeworfen hat: Er will die Gesellschaft zusammenhalten. Die Stärkung der Demokratie, das ist sein großes Thema als Bundespräsident. „Wenn wir aus den großen Umbrüchen einen gemeinsamen Aufbruch machen wollen, dann geht das nicht durch staatliche Verordnung allein. Dann müssen wir Brücken bauen“, so hatte er es im Februar in der Bundesversammlung gesagt, als er zum zweiten Mal gewählt wurde. Was ohne Zweifel stimmt. Zumal der Bundespräsident nichts verordnen kann, als Werkzeug hat er vor allem das Wort.
Kann das aber mit seinen Kurztrips gelingen? Hilft es einer gespaltenen Stadt, wenn der Bundespräsident mit dem Zug aus Berlin anreist und Menschen an einem Cafétisch versammelt? Wenn er auf dem Weihnachtsmarkt spontane Gespräche führt und mit dem Ministerpräsidenten Unternehmen der Halbleiterindustrie besucht? Wenn er Grundschullehrerinnen, die mit ukrainischen Kindern arbeiten, ausländische Studierende und Händler*innen in ihren Geschäften in der Altstadt trifft?
Vier Ortszeiten gab es schon: Altenburg, Quedlinburg und Neustrelitz in Ostdeutschland sowie Rottweil in Baden-Württemberg hat Steinmeier bereist. Jetzt also drei Tage in Freiberg in Sachsen, am Fuße des Erzgebirges. Die 40.000-Einwohner Stadt hat mit der Bergakademie die älteste noch bestehende technisch-montanwissenschaftliche Universität der Welt, sie ist von Bergbau und Hüttenindustrie geprägt. Diese Tradition lebt, Bergmannsmotiven jedenfalls entkommt man in Freiberg nicht. Selbst zur Weihnachtsbeleuchtung am Rathausturm gehört der mit dem Eisen gekreuzte Bergmannshammer, das bekannteste Symbol.
Freiberg geht es heute nicht schlecht. Mit Halbleiterfertigung und Solartechnik gehört es zum „Silikon Saxony“, dies sei die Basis für den Wohlstand der Stadt, sagt der Oberbürgermeister. Die Altstadt mit den vielen kleinen Geschäften und Cafés ist hübsch saniert und steht unter Denkmalschutz, gerade in der Weihnachtszeit zieht sie viele Touristen an. Der Stadtkern gehört zum Unesco-Welterbe Montanregion Erzgebirge, das grenzüberschreitend bis nach Tschechien reicht.
Im Stadtrat aber ist, wie so häufig in Sachsen, die AfD stärkste Kraft, während der Hochzeiten der Coronapandemie wurde Freiberg zu einem Zentrum der rechten Proteste. Der parteilose Oberbürgermeister verhielt sich ambivalent, sein Stellvertreter von der CDU lief auf den Demos mit, auch Rechtsextremisten wie die Freien Sachsen kamen, was kaum jemanden zu stören schien. Heute wird hier weiter montags demonstriert, wenn auch bei Weitem nicht mehr mit vierstelliger Beteiligung.
Auch wegen dieser Demonstrationen ist Steinmeier nach Freiberg gekommen und das sagt er an der Kaffeetafel im Café Hartmann auch gleich. „Was treibt die Gesellschaft hier in der Stadt auseinander, wo sind die Ursachen für Risse und Spaltungen, die beklagt werden?“, fragt der Bundespräsident. Und: „Warum hatte das auf einmal eine solche Dynamik?“
Dann spricht er den Mann, der ihm gegenüber sitzt, direkt an. „Wollen Sie vielleicht beginnen? Sie gehören zu den Organisatoren der Proteste.“ Thorsten Hedrich-Wild antwortet, er sei in Berlin gewesen, als das Infektionsschutzgesetz von Bundestag und Bundesrat an nur einem Tag beschlossen wurde, während die Polizei draußen in der Novemberkälte mit Wasserwerfern gegen Demonstrierende vorgegangen sei. „Das hat für mich nichts mehr mit Demokratie zu tun.“
Warum er Maßnahmen, die mit demokratischer Mehrheit beschlossen worden seien, für eine Unterdrückung der Demokratie halte, will Steinmeier nun wissen. Da ist Hedrich-Wild schon bei kritischen Ärzten, deren Meinung unterdrückt würde, und dass mit Masken nur Geld gemacht werde. Schnell ist klar: Der Mann zweifelt die Pandemie grundsätzlich an. Steinmeier widerspricht, es geht hin und her, die anderen schweigen noch.
Hedrich-Wilds Initiative „Dialog für unsere Zukunft“ hat auch am Abend zuvor demonstriert, ausnahmsweise an einem Dienstag. Steinmeier sei in der Stadt fehl am Platz, sagt einer der Redner und fordert den Bundespräsidenten zum Rücktritt auf.
Gut 100 Demonstrant*innen sind auf den Schlossplatz gekommen, manche in blauen AfD-Westen, einige mit Armbinden mit der Aufschrift „Ungeimpft“, andere fordern auf Plakaten „Unser Land zuerst“. Auch die örtliche AfD-Bundestagsabgeordnete und der Organisator der Dresdner „Querdenker“-Demos sprechen.
Steinmeier bekommt davon nichts mit, auch wenn er zu dieser Zeit nur wenige hundert Meter entfernt mit dem Oberbürgermeister im Schneeregen über den Christmarkt zieht. Hier ist die Stimmung ganz anders. Zwischen Schwibbögen und Glühweinständen wünschen sich viele ein Selfie mit dem Bundespräsidenten, mal fragen sie dies zögerlich, mal offensiv an, mal bieten die Mitarbeiter dies an; eine Frau mit Pudelmütze hakt sich einfach bei Steinmeier unter. Der lächelt und lacht, legt seinen Arm auf Schultern und Rücken, wirkt gelöst und ganz bei sich. Er möge Menschen, wird er später dem WDR ins Mikrofon sagen.
Ein alter Mann erzählt ihm von seinem Rentnerdasein, ein Chefarzt spricht über den Pflegenotstand im Krankenhaus und dann steht plötzlich ein junger Mann neben Steinmeier und hält ihm auf dem Handy ein Foto entgegen, ein Denkmal für die Opfer der beiden Weltkriege ist darauf zu sehen.
Steinmeiers Sprecherin ist alarmiert und rückt sofort an seine Seite, auch der Personenschutz aus BKA-Beamten nähert sich rasch. Doch der Mann sagt, dass man Putin drei Tage lang vor dieses Denkmal zwingen sollte. Und Steinmeier erzählt, wie er jüngst in der Ukraine in einem Keller war, wo zuvor Menschen wochenlang von Russen gefangengehalten wurden und Kinder neben Leichen spielen mussten. Dann gehen die beiden auseinander.
Fragt man bei Christmarkt-Besucher*innen, ist die Rückmeldung zu Steinmeier durchgehend positiv. Es sei doch gut, dass er sich für ihre schöne Stadt Zeit nehme und mit den Leuten spreche. Und was für ein Glück überhaupt, dass der Markt wieder öffnen dürfe. Manch einer sagt aber auch, dass dessen zweijährige Schließung wegen Corona keineswegs angemessen gewesen sei. Der Unterton kann dabei auch mal etwas aggressiv werden. Steinmeier aber bekommt das an diesem Abend nicht mit, was auch am Respekt vor dem Amt liegen kann.
Als er zur Bühne des Markts kommt, bei der großen Weihnachtspyramide, auf der sich, na klar, Berg- und Hüttenleute im Kreis drehen, spielt das Berg-Musikkorps Saxonia ihm zu Ehren das Steigerlied; viele der Besucher*innen stimmen ein. Dass Steinmeier die erste Strophe mitsingen kann, dürfte ihm hier zusätzliche Sympathien einbringen. Das Handy mit dem Text, das ein Mitarbeiter des Oberbürgermeisters schnell rüberreicht, braucht er nicht.
Die Ortszeit sieht eine Mischung aus spontanen und geplanten Begegnungen vor. Am Mittwochmorgen lässt sich Steinmeier gemeinsam mit Ministerpräsident Kretschmer in einer Halle mit großen silbernen Kesseln die Züchtung von Einkristallen zeigen. Die Halbleiter-Firma Freiberger Compound Material stellt daraus sogenannte GaAs Wafer her, die unter anderem in Handys und Autos verbaut werden. Für die Produktion wird sehr viel Strom gebraucht.
Als später Mitarbeitende dieser und zweier anderer Firmen mit Steinmeier und Kretschmer zusammensitzen, fragt der Bundespräsident, was die Firmen umtreibe. Es geht um die hohen Energiepreise, die Konkurrenz in Singapur, fehlende Fachkräfte und darum, dass viele ausländische Studierende Deutschland nach ihrer Ausbildung verlassen, obwohl sie als Arbeitskräfte dringend gebraucht werden. Steinmeier hört zu, fragt nach. Das kommt hier ebenso gut an wie später beim Gespräch mit Studierenden des Helmholtz-Instituts für Ressourcentechnologie. „Ich fand es gut, das unsere Nöte gehört werden“, sagt Schichtleiter Thomas Buschner.
„Ich denke, er will sich Input holen und das ist wichtig“, meint Tina Pereira, Projektmanagerin am Helmholtz-Institut. Internationales Personal sei „essenziell“ für sein Institut, betont der wissenschaftliche Direktor Jens Gutzmer gegenüber Journalist*innen. Wie die Unternehmer sorgt er sich um den Ruf der Stadt. Darum, dass die Demonstrationen diesen verderben.
Der Ruf der Stadt treibt auch Oberbürgermeister Krüger um, doch lange hat er sich zu den Protesten nicht verhalten. Auch die Polizei griff erst nicht ein, obwohl die Demonstrierenden damals klar gegen die Corona-Verordnung verstießen. Schließlich initiierte der Verein „Freiberg für alle“ eine Unterschriftenliste und forderte die Polizei auf, die Aktionen nicht länger zu dulden. Mehr als 5.000 Bürger*innen unterschrieben.
Krüger war früher in der SPD, fast 20 Jahre lang. 2018 ist er aus Protest gegen die Große Koalition in Berlin und auch gegen deren Flüchtlingspolitik ausgetreten. Fragt man ihn danach, winkt er ab. Das könne man alles auf seiner Facebook-Seite nachlesen. Jetzt sitzt er im Café Hartmann neben dem Bundespräsidenten und scheint froh darüber, hier auf der richtigen Seite zu sein.
An der Tafel geht es zunächst um die Vergangenheit, um Corona-Einschränkungen, das Impfen, die Proteste dagegen. Schnell wird klar, wie sehr das alles die meisten noch umtreibt, wie tief die Verletzungen auch heute noch sind. „Bin ich eine schlechtere Krankenschwester, weil ich ungeimpft bin?“, fragt die Frau von der AWO. Nein, entgegnet Steinmeier. „Das nicht. Aber nach Meinung einer Mehrheit der Immunologen sind Sie ein höheres Risiko für die Patienten.“ Die Superintendentin der Kirchengemeinde am Dom berichtet, wie sie von Demonstranten übel beschimpft worden sei, weil sie eine Maske getragen habe.
Hannelore Lohse, die ehrenamtlich „Ausländern hilft“, wie sie es nennt, hat sich einen Zettel gemacht, um nichts zu vergessen. Die 72-Jährige demonstriert regelmäßig am Montag mit und ärgert sich darüber, als Schwurblerin und Nazi bezeichnet zu werden. Wer bei den Demonstrationen mitlaufe, dafür könne sie doch nichts. Lohse vermisst Demut und Dankbarkeit bei den Geflüchteten aus der Ukraine, auch sorgt sie sich, dass „alle reingeholt werden und unsere Kultur überrannt wird“.
Wenn rechtsradikale Gruppen sich vor die Demonstrationen stellten, müsse man das schon unterbinden, entgegnet Pfarrer Michael Dieter Stahl von „Freiberg für alle“. Er berichtet, dass sich bei vielen Menschen bereits der Eindruck festgesetzt habe, wieder in einer Diktatur zu leben, Vertrauen in den Staat werde strategisch erschüttert.
Auch Hiltrud Anacker, die Superintendentin, meldet sich. Später wird sie sagen, dass ihre Erfahrung mit den Geflüchteten aus der Ukraine eine ganz andere ist: „Sie sind für unsere Hilfe sehr dankbar.“ Das war auch Steinmeiers Eindruck, als er am Vortag eine Initiative der Kirchengemeinde besucht hat, in der Ukainerinnen Deutsch lernen.
Doch manche krude Äußerung an der Kaffeetafel bleibt auch unwidersprochen – etwa als Lohse die USA als „unsere Marionettenspieler“ bezeichnet, was eine klassische Verschwörungserzählung ist. Auch beklagt die alte Frau, dass von der Presse niemand verstehe, warum demonstriert werde und dass ständig alle als Nazis diffamiert würden.
Robert Ahnert arbeitet ehrenamtlich im kirchlichen Jugendtreff Teeei, auch den hat Steinmeier kurz besucht. Ahnert organisiert dort Freizeiten für benachteiligte Kinder und Jugendliche. Er kritisiert, dass die Stadt durch die Berichterstattung stigmatisiert worden sei. „Aus Freiberg seid ihr?“, sei er gefragt worden, als er eine Skifreizeit in Bayern organisiert hatte. Die Antwort sei dann oft abweisend gewesen: „Mit euch wollen wir nichts zu tun haben.“
Die Teilnehmer*innen bewegen sich aufeinander zu
Auch der Intendant des örtlichen Theaters stimmt bei der Medienschelte ein. Die Demonstrant*innen bekämen zu viel Aufmerksamkeit, findet er. Jüngst hätten 400 demonstriert, vier Mal so viele aber seien im Theater und beim Domkonzert gewesen. Dann erinnert Olaf Thomas Erler an die Pressefreiheit. Er ist Betriebsleiter eines Kinos, das auch Raum für Dialoge bietet.
Im Laufe des Gesprächs werden bei vielen der Teilnehmer*innen Ambivalenzen deutlich, sie wägen ab, bewegen sich. Der Kinobetriebsleiter und die Vorsitzende des Gewerbevereins erzählen, dass sie zu Beginn der Pandemie auch demonstriert haben. Man sei empört gewesen, dass Kultur nicht als systemrelevant gegolten habe, sagt Erler. „Wir hatten Angst um unsere Existenz“, betont Anke Krause, die Frau vom Gewerbeverein, die einen Schreibwarenladen in der Altstadt betreibt. „Deshalb haben wir mit den Montagsdemonstrationen angefangen.“ Ihr Verein habe damit aufgehört, als nicht mehr zu kontrollieren gewesen sei, wer da alles so mitlaufe.
Die Superintendentin macht später, als Steinmeier nach dem Ukrainekrieg fragt, ihr eigenes Dilemma klar: Dass sie gegen jeden Krieg sei, aber Unrecht eben auch Unrecht sei und unterbunden werden müsse. „Ich finde da keine Lösung“, sagt sie.
Nicht nur die Kirchenfrau scheint sich im Laufe des Gesprächs zu öffnen, einen Schritt auf die anderen zuzugehen. Beide Seiten – sie meint die Coronaverharmloser und deren Gegner – hätten in den letzten Jahren Dinge gesagt, die besser nicht gesagt worden wären. Und dass jedes Gespräch hilfreich sei, um den entstanden Verletzungen und Verhärtungen zu begegnen.
Möglicherweise ist es genau das, was Steinmeiers Initiative leisten kann. Dass die Menschen friedlich zwei Stunden lang an einem Tisch sitzen und debattieren, sich im respektvollen Umgang auch mal die Gegenseite anhören. Einige Teilnehmer*innen wollen das nun häufiger tun. „Ich kann mir vorstellen, dass wir wieder in den Dialog treten“, sagt jedenfalls Robert Ahnert, der ehrenamtliche Jugendarbeiter nach dem Gespräch. „Das ändert atmosphärisch schon etwas“, meint auch der Pfarrer.
Ob das auch bei Hedrich-Wild von den Montagsdemonstranten der Fall ist? Das kann man bezweifeln. Als Einziger hat er sich während des Gesprächs keinen Millimeter bewegt. Fragen kann man Hedrich-Wild nicht mehr. Während die anderen nach dem offiziellen Ende des Gesprächs noch weiter plaudern, ist er gleich verschwunden.
Der Bundespräsident jedenfalls betont, dass sein Anstoß in anderen Städten verfangen habe. Auch nach der Tafel in Freiberg ist Steinmeier zufrieden. „Mein Eindruck ist, wir müssen den politischen Dialog miteinander wieder neu lernen.“ Zuzuhören, das Argument der anderen zu bewerten und sich selbst zu überprüfen, all das wieder einzuüben, dazu diene die Kaffeetafel. „Es war eine kontroverse Auseinandersetzung, aber ich darf auch sagen, wenn sie immer so verläuft wie an diesem Tisch, dann kommen wir in dieser Gesellschaft ein Stück voran“, sagt Steinmeier. Dass dies der Demokratie in unserem Land guttun werde.
Man kann sich für diese Gesellschaft durchaus einen Dialog wünschen, der egalitärer und weniger an einer Person ausgerichtet ist als Steinmeiers Tafel. Und man kann sich fragen, ob sein Ansatz wirklich nachhaltig ist. Aber einen Versuch sind seine Kaffeefahrten in jedem Fall wert.
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