Zweite Amtszeit für Steinmeier: Ob er die Größe hat?

Steinmeier bleibt Bundespräsident. Kann er weitermachen wie bisher? Mitnichten. Er muss die soziale Spaltung der Gesellschaft in den Blick nehmen.

Bundespräsident Steinmeier wird gratuliert.

Das Auffälligste ist seine Unauffälligkeit: Bundespräsident Steinmeier am Sonntag nach seiner Wahl Foto: Michael Sohn/reuters

Frank-Walter Steinmeier verkörpert fast idealtypisch die Bundesrepublik. Er ist moderat und stets an Konsens und Kompromiss orientiert. Er hat etwas Mäßigendes und Gemäßigtes, ja Durchschnittliches. Das Auffälligste an ihm ist seine Unauffälligkeit. Er ist der erste sozialdemokratische Bundespräsident mit einer zweiten Amtszeit. Noch fünf Jahre.

Brauchen wir das? Muss er etwas ändern? Oder reicht es, typisch bundesrepublikanisch, auf Kontinuität zu setzen, und Änderungen, wenn überhaupt, so vorsichtig ins Werk zu setzen, dass es niemand merkt? Steinmeier hat seine erste Amtszeit unter die Überschrift Demokratie gestellt. Das war angesichts des nach vorne drängenden Rechtspopulismus klug. Manche mögen das Mittige und Pathosarme, die Aura des Angestellten und das scheinbar Harmlose bei Steinmeier verachten. Aber gerade das ist hilfreich, um als Bundespräsident für Demokratie zu werben.

Jedenfalls ist ihm manchmal das Kunststück gelungen, kristallklar die Grenzen zum Rechtsautoritären zu ziehen, ohne die Debatte zusätzlich affektiv aufzuladen. Gauck hat funkelnde, aber pauschal abwertende Metaphern wie Dunkeldeutschland benutzt, Steinmeier nicht. „Wer die Demokratie angreift, hat mich als Gegner“, so Steinmeier in seiner Rede. Also weiter so. Das ist nötig. Wenn ein Viertel der Bundesbürger die Demokratie in Gefahr sieht, ist das ein Alarmsignal.

Die Corona-Gereiztheiten mögen wieder verfliegen. Der klimaneutrale Umbau der Ökonomie, der erst beginnt, wird Verlierer und Gewinner produzieren und Verlustängste provozieren. Auch das hat Steinmeier angesprochen. Die Transformation werde nur gelingen, „wenn auch die Schwächeren etwas zu gewinnen haben.“ Aber das klingt etwas vage. Steinmeier hat die fatale Agenda 2010 erfunden – ein kritisches Wort von ihm dazu fehlt bislang. Auch zu der skandalösen Ungleichheit, die durch Corona noch mal gewachsen ist, hört man vom Bundespräsidenten, der hunderte Reden gehalten hat, wenig.

Die soziale Spaltung der Gesellschaft gefährdet die Demokratie – umso enttäuschender ist, dass Steinmeier die soziale Spaltung in Arm und Reich bislang stiefmütterlich behandelt. Am Sonntag hat er Gerhard Trabert, Sozialmediziner und Kandidat der Linkspartei, angeboten, bei der Bekämpfung von Obdachlosigkeit zusammenzuarbeiten. Das war eine schöne, demokratische Geste. Aber sie reicht nicht. Steinmeier muss die Ungleichheit, die Demokratie zerfrisst wie Rost Eisen, zu seinem Thema machen. Die Chance hat er. Man wird sehen, ob er auch die Größe hat.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.