Staatsstreich in Mali: Putsch nach deutscher Ertüchtigung
Das Militär in Mali hat Präsident Ibrahim Boubacar Keïta gestürzt. Zuvor wurde es auch durch die Bundeswehr „ertüchtigt“.
„Habe ich wirklich die Wahl?“, fragte der verhaftete Präsident, den alle in Mali nach seinen Initialen IBK nennen, in seiner Ansprache. „Für meinen Verbleib im Amt darf kein Blut vergossen werden“, fuhr er fort und zog die Konsequenz.
Was am Morgen als Meuterei unzufriedener Soldaten in Kati begonnen hatte, verwandelte sich bis zum Abend in einen Militärputsch – ausgerechnet in einem Land, das wie kaum ein anderes in Afrika sein Militär vom Ausland ausrüsten, ausbilden und unterstützen lässt.
Über 12.000 UN-Soldaten, bis zu 5.000 Soldaten aus Frankreich, eine regionale Sahel-Eingreiftruppe und eine EU-Ausbildungsmission arbeiten mit der Armee in Mali, die darüber hinaus noch Partnerland der „Ertüchtigungsinitiative“ der Bundeswehr ist. Die deutsche „Ertüchtigung“ leistet laut Bericht der Bundesregierung „konzeptionelle Beratung und Ausbildung“, „materielle Unterstützung“, „Erhöhung der Mobilität der Streitkräfte“ und „technische Qualifizierung“.
Militär sorgt sich um das Land
So gesehen war die Ertüchtigung ein Erfolg. Die Putschisten waren mobil, gut ausgerüstet und hatten offensichtlich ein Konzept. Nachdem Präsident IBK im Fernsehen zurückgetreten war, setzten sich die Generäle vor die Kameras und verkündeten die Gründung eines „Nationalrats zur Rettung des Volkes“ (CNSP), der das Land zu „glaubwürdigen“ freien Wahlen führen solle. „Wir haben beschlossen, vor dem Volk und der Geschichte Verantwortung zu übernehmen“, erklärte CNSP-Sprecher Ismael Wagué. „Unser Land Mali versinkt jeden Tag mehr in Chaos, Anarchie und Unsicherheit.“
Dieser Diagnose dürfte kaum jemand widersprechen – der Therapie vielleicht schon. Schließlich tragen Malis Generäle zumindest Mitverantwortung dafür, dass sich die Unsicherheit in Mali enorm ausgebreitet hat. Außerhalb der Hauptstadt ist kein Landesteil mehr sicher. Die Armee ist in weiten Gebieten kaum oder gar nicht präsent. Lokale Milizen gegen bewaffnete Islamisten tragen Konflikte tief in die Gesellschaft hinein.
Mehrfach haben Armeeeinsätze zu Massakern an Zivilisten geführt. Dazu kamen zuletzt Korruptionsskandale, in die unter anderem der Sohn des Präsidenten verwickelt war, das Verschwinden des Führers der parlamentarischen Opposition und Unregelmäßigkeiten bei den Parlamentswahlen. Proteste in Bamako gegen all dies wurden seit Juni mehrfach mit Gewalt niedergeschlagen.
Nun lassen sich die Soldaten feiern. Denn was die zivile Protestbewegung nicht geschafft hat, haben sie erreicht: den Rücktritt von Präsident und Regierung. Und anders als bei Malis letztem Militärputsch vor acht Jahren, ein Werk niederrangiger Soldaten, ergreifen jetzt hohe Generäle die Macht. Ihr Sprecher Wagué ist Vizechef der Luftwaffe.
Ein Putschist war erst in Moskau
Neben ihm saßen Oberst Malick Diaw, Stabschef der 3. Militärregion, und Oberst Sadio Camara, ehemaliger Leiter der Militärschule von Kati. Sie alle sind vertraute Gesichter bei den regelmäßigen Treffen auf höchster Ebene zwischen den ausländischen Militärmissionen in Mali und Malis Streitkräften. Zufall oder nicht: Camara kehrte erst vor zwei Wochen von einer Fortbildung aus Moskau zurück.
International ist der Sturz der gewählten Institutionen einhellig scharf kritisiert worden – nicht nur aus Sorge um Malis Demokratie, sondern auch aus Angst. Nach Malis letztem Militärputsch 2012 eroberten Rebellen der aufständischen Tuareg-Minderheit das halbe Land und riefen eine unabhängige Republik aus, die schnell unter Kontrolle radikaler Islamisten geriet. Frankreich musste 2013 mit Tausenden Soldaten eingreifen. Der Krieg dauert bis heute an.
Damals war nur Mali Bürgerkriegsland. Heute hat die Gewalt auch die Nachbarländer Niger und Burkina Faso im Griff, auch dort herrscht ein autoritärer und zugleich schwacher Staat und gibt es Misstrauen im Volk gegen eine als korrupt und unfähig angesehene Regierungselite, die vom Ausland gestützt wird.
Dazu stehen in allen südlichen Nachbarländern Malis – Guinea, Elfenbeinküste, Burkina Faso und Niger – umstrittene Wahlen an. Wenn in Westafrika die Zeichen auf Sturm stehen, war der Putsch in Mali ein erstes Donnergrollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen