Staatsanwalt vertickt Protest-Boote: Normaler Vorgang oder Rache?
Die Kieler Anklagebehörde will Gummiboote versteigern. Mit ihnen blockierten Klima-Aktivist*innen im Juni die Ausfahrt eines Touristendampfers.
Die Aktivist*innen wollten mit der Aktion auf den hohen Energieverbrauch und damit die Schäden für das Weltklima durch den Kreuzfahrttourismus hinweisen. Außerdem wollten sie dagegen protestieren, dass Kiel zwar den Klimanotstand ausgerufen hat, aber dennoch die Zahl der Kreuzfahrtschiffe im innerstädtischen Hafen ständig steigt. Die „Zuiderdam“ bot sich als symbolisches Ziel besonders an, denn „das Thema dieses Schiffes ist Venedig“, wie die Homepage des Eigners verrät. In Venedig protestieren Menschen seit Jahren gegen die Kreuzfahrtriesen.
In Kiel endete die Blockade-Aktion in der Nacht zum Pfingstmontag. Die Polizei nahm 46 Menschen fest und konfiszierte Boote, Paddel und weitere Gegenstände. Einige der damals beschlagnahmten Schlauchboote und Paddel sollen nun versteigert werden, teilte die Kieler Staatsanwaltschaft den Besitzer*innen mit. Die Aktivist*innen protestieren: Da sie bereits die Herausgabe gefordert hätten, sei die angedrohte Maßnahme „organisierter Rechtsbruch oder Unterschlagung“, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme der Gruppe. „Polizei und Staatsanwaltschaft brechen herrschende Gesetze.“ Erst seien Beschlagnahmeprotokolle verweigert worden, nun würden die Eigentumsrechte nicht anerkannt: Anstatt die Gegenstände zurückzugeben, „reißt sich der Staat hier selbst das Zeug unter den Nagel“, wird eine Aktivistin in der schriftlichen Stellungnahme zitiert.
Julia, eines der Mitglieder der Gruppe, sagte der taz: „Man stelle sich vor, wir würden in die Asservatenkammer gehen und Sachen mitnehmen – das wäre Diebstahl, man würde uns verklagen.“ Ärgerlich und unnötig sei, dass Paddel verkauft werden: „Da sind durchaus höherwertige dabei, die die Leute gern wieder haben würden.“ Offenkundig werde mit zweierlei Maß gemessen.
Immer mehr Kreuzfahrtschiffe nutzen Kiel als Start- oder Endpunkt. Laut Angaben des „Port of Kiel“ sind es knapp 140 Schiffe und rund 460.000 Passagier*innen im Jahr.
Laut Umfragen herrscht in der Stadt zwar durchaus Zustimmung zu dieser Form des Tourismus – aber es regt sich auch Widerstand.
Die Stadt, die den Klimanotstand ausgerufen hat, setzt auf Landstrom, um zumindest dafür zu sorgen, dass während der Liegezeiten die Dieselverbrennung ausgeschaltet bleibt.
Ein Anschluss für die Fähren der Color Line wurde im Frühjahr 2019 am Norwegenkai in Betrieb genommen. 2020 sollen Anschlüsse am Schweden- und Ostseekai folgen.
Allerdings sind nur wenige Schiffe Landstrom-tauglich. Alle anderen liegen weiter mit laufendem Diesel im Hafen.
Nein, teilt der für den Fall zuständige Staatsanwalt Henning Hadeler auf taz-Anfrage mit: „Die Aufbewahrung der Boote erfolgt bei einem Privatunternehmen und verursacht nicht unerhebliche monatliche Kosten, die im Falle einer Verurteilung möglicherweise von den Beschuldigten zu tragen wären.“ Damit sei die „Notveräußerung auch in ihrem Interesse“. Der Erlös würde – jedenfalls wenn ein Gericht die Boote nicht dauerhaft einzieht – an die Eigentümer*innen ausgezahlt. Entsprechend sei es sinnvoll, die hochwertigen Paddel gemeinsam mit den Booten zu versteigern: Das erscheine erfolgversprechender und bringe einen höheren Erlös.
Tatsächlich verkauft die Staatsanwaltschaft konfiszierte Gegenstände routinemäßig – sogar, wenn es um Lebewesen geht, wie ein Prozess in Kiel gegen eine Staatsanwältin zeigt. Die Frau, die im Ressort Tierschutz tätig war, hatte die von ihr beschlagnahmten Pferde, Hunde oder Rinder verkauft, ohne die Besitzer*innen zu informieren $(LB3722850:(taz berichtete)|_blank)$. Da es keine Chance auf Rechtsmittel gab, wird ihr Amtsmissbrauch vorgeworfen.
Im Fall der beschlagnahmten Boote und Paddel gab es eine rechtzeitige Nachricht, dass der Verkauf geplant sei. Der Staatsanwalt weist die Vorwürfe der Gruppe zurück: „Soweit die Voraussetzungen einer Herausgabe von Gegenständen vorliegen, werden die Gegenstände auch herausgegeben werden“, so Hadeler zur taz. Bisher habe aber nur eine Person einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt.
Aktivistin Julia erklärt: „Die Versteigerung hat noch nicht begonnen. Wir überlegen, ob wir Rechtsmittel einlegen.“ Die Gruppe hofft parallel auf Aktionen von Unterstützer*innen, die zum Beispiel Gebote auf die Boote abgeben, Gegenstände an die Staatsanwaltschaft schicken oder „einfach mal anrufen“ könnten.
Unklar ist laut der Staatsanwaltschaft noch, „ob und gegebenenfalls wann“ es zu einem Prozess gegen die Blockierer*innen kommt. Ihnen werden Nötigung und Hausfriedensbruch vorgeworfen, damit drohen Geld- oder Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren. Dass besonders scharf gegen „smash cruiseshit“ vorgegangen wird, um künftig ähnliche Aktionen zu verhindern, verneint Hadeler: „Das wäre eine Maßnahme der Gefahrenabwehr, für die die Staatsanwaltschaft nicht zuständig ist.“
Die Gruppenmitglieder empfinden es anders. Der geplante Verkauf der Boote „scheint eine Art Rache zu sein“, so die Aktivistin Julia. „Nach dem Motto: Wir können eure Aktion nicht verhindern, aber jetzt nehmen wir euch die Sachen weg.“
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