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Sprache im GazakriegDas Lexikon der Brutalität

„Humanitäre Zonen“, „freiwillige Migration“, „Kollateralschaden“: Wie Euphemismen die Tötung von Zivilisten in Gaza akzeptabel erscheinen lassen.

Ein israelischer Panzer rollt vor den Hausruinen an der Grenze zu Gaza Foto: Menahem Kahana/afp

Worte dienen in der Politik nicht nur dazu, Realität zu beschreiben, sondern sie zu erschaffen. In Kriegszeiten, in denen Regierungen besonders darauf bedacht sind, ihre Legitimität zu stärken, wird Sprache oft zu einer Waffe der Massenbeeinflussung, um das Töten als moralischen und notwendigen Akt darzustellen. Der anhaltende Krieg Israels im Gaza­streifen ist ein Musterbeispiel dafür, wie fein justierte Propaganda durch die Manipulation von Sprache und Bedeutung Zustimmung für Gräueltaten erzeugt.

Am Abend des 7. Oktober – als die Israelis sich der entsetzlichen Aufgabe gegenübersahen, die Opfer des schreckenerregenden Massakers der Hamas zu zählen – kündigte Premierminister Benjamin Netanjahu bereits in seiner ersten Ansprache an die Nation in bildhafter Sprache an, was das israelische Militär im Gazastreifen nun zu tun gedenke. Er verwendete den erstmals in der Bibel gebrauchten Ausdruck „in Schutt und Asche legen“. Für Hebräischsprachige gab es keinen Zweifel daran, was damit gemeint war. In den folgenden Tagen fügten viele Minister – darunter der damalige Verteidigungsminister Joav Galant und hochrangige IDF-Offiziere – ihre eigenen Überlegungen hinzu, was Israel im Gazastreifen tun werde, auch die Aushungerung der Bevölkerung wurde erwähnt. Politisch ist das bemerkenswert: Die Entscheidungsträger kündigten an, dass sie Gaza zerstören würden, und sie handelten entsprechend, um ihr Versprechen zu erfüllen. Sie täuschten die Öffentlichkeit nicht, sie sagten die Wahrheit, unverblümt.

Die Absichten wurden offen erklärt, die Öffentlichkeit hörte zu, legitimierte in den folgenden Tagen die Umsetzung dieser Absichten und arbeitete teils sogar daran mit. Diese Legitimierung zeigte sich an der raschen Veränderung des gesellschaftlichen Diskurses, der die Zerstörung Gazas unterstützte und rechtfertigte; eine beispiellose Zahl von Meldungen zur Reserveeinberufung bezeugte die Zustimmung vieler.

Die schrecklichen Folgen dieser Versprechen und ihrer Umsetzung sind der verwüsteten Landschaft Gazas abzulesen. Die Brutalisierung der Gesellschaft folgte einem vorhersehbaren Muster: (a) Die Regierung entmenschlichte den Feind; (b) Entscheidungsträger genehmigten den Einsatz massiver und unverhältnismäßiger Gewalt gegen die Bewohner Gazas und mobilisierten die Öffentlichkeit dafür; (c) Gewalttaten wurden durch Befehle von Regierung und Militärs zu Routine. Obwohl die drei Phasen in aller Öffentlichkeit stattfanden, werden die Maßnahmen und ihre Folgen ignoriert oder geleugnet.

Der Krieg um Worte und Bedeutungen

In Kriegszeiten spielt Sprache eine zentrale Rolle. Ein demokratischer Staat muss sich im Krieg nicht nur mit technischen, militärischen und rechtlichen Fragen (etwa dem Völkerrecht) auseinandersetzen, sondern auch mit der „Mentalität“ – also dem kollektiven Bewusstsein – und dem politischen Diskurs. Der Staat muss sich seiner Legitimität beim Volk versichern, in dessen Namen er handelt. Diese Form der Legitimität ist dabei zwangsläufig durch Manipulation geprägt, da die Öffentlichkeit umfassender Informationen beraubt und auf Distanz gehalten wird. Sie ist sich des „Kriegs“ bewusst, aber über dessen Wirklichkeit weitgehend uninformiert.

So zeigt sich der Gaza-Krieg auch als Kampf um Worte und ihre Bedeutung. Es wäre nicht übertrieben zu sagen, dass es sich bei ihm auch um einen Krieg um den Charakter der israelischen Gesellschaft handelt. Es werden seitens der Regierung große Anstrengungen unternommen, neue Slogans und Begriffe zu erfinden und zu perfektionieren, um die grausame Realität zu verschleiern („freiwillige Migration“), um Konzepte in ihr Gegenteil zu verkehren („ein existenzieller Krieg um Israel“) und um mithilfe von Abstraktionen die Israelis davon abzuhalten, das konkrete menschliche Leid zu sehen („Kollateralschaden“).

Der Kriegsdiskurs versucht, eine gewalttätige soziale Realität zu verbergen, zu verschleiern und in eine zu verwandeln, mit der man leben kann, ohne ihre Moral in Frage zu stellen. „Humanitäre Zonen“ im Gazastreifen etwa sind Orte ohne Menschlichkeit, an denen Tausende von Zivilisten bombardiert werden. Die von Israel in den ersten Wochen nach dem 7. Oktober durchgeführte Kampagne der „strategischen Bombardierung“ verschleiert den Tod ganzer Familien in den Trümmern ihrer Häuser. „In Gaza gibt es keine Unbeteiligten“ ist eine seit dem 7. Oktober in Israel weit verbreitete Auffassung, die mit einem Taschenspielertrick versucht, die Tötung Tausender Zivilisten und einer überwältigenden Zahl von Kindern zu rechtfertigen.

Im Kriegsdiskurs erscheint die Bombardierung einer mit palästinensischen Flüchtlingen überfüllten Schule als notwendige, logische und sogar moralische Handlung. Sprache schafft eine alternative Realität. Sie bringt uns dazu, uns mit Handlungen abzufinden, die unter anderen Umständen unser Gewissen belasten würde.

Die seit zwei Jahren in Israel zu beobachtende systematische Sterilisierung der Bedeutung gewalttätiger Handlungen folgt der Strategie, menschliches Leid aus den Begriffen auszuklammern. Wenn Minister dazu aufrufen, „Gaza dem Erdboden gleichzumachen“, verbirgt sich hinter der architektonischen Metapher die Möglichkeit, dass Gebäude samt der in ihnen wohnenden Menschen zerstört werden. Wenn Politiker von Mitte- und Rechtsparteien von „freiwilliger Migration“ oder von der Errichtung einer „Riviera“ in Gaza sprechen, verschleiern sie den Plan, eine Bevölkerung aus ihren im Krieg zerstörten Häusern zu vertreiben. Hinter dem Begriff „Kollateralschaden“ verbergen sich die Gesichter toter, „unbeteiligter“ Kinder.

Die Autoren

Adam Raz ist Historiker, Assaf Bondy Soziologe. Die beiden Israelis sind Co-Autoren des eben auf Hebräisch erschienenen Buchs „Das Lexikon der Brutalität: Schlüsselbegriffe des Gazakriegs“.

Sprachliche Sterilisierung ermöglicht die Ausweitung und Eskalation von Kriegen. Wie George Orwell beobachtete: „Die Sprache der Politik – das gilt in unterschiedlicher Form für alle politischen Parteien, von den Konservativen bis zu den Anarchisten – ist darauf ausgerichtet, Lügen wahr klingen und Mord respektabel erscheinen zu lassen und so heißer Luft den Anschein von Substanz zu verleihen.“

Die Forderung nach Symmetrie

Eines der rhetorischen Mittel, um das Sprechen über den Krieg zu kontrollieren, ist die Forderung nach Symmetrie. Jede Kritik an Israels Handlungen muss mit einer ebenso scharfen Verurteilung der Handlungen des Feindes einhergehen. Diese Forderung ist ein Mechanismus, um wirksame Kritik abzuwehren, da sie auf der Annahme basiert, dass es keinen Unterschied zwischen den Parteien gibt, dass die enorme Kluft in Bezug auf Macht, Ressourcen oder Opferzahlen keine Rolle spielt. Wenn Symmetrie erzwungen wird, ist die Wahrheit das erste Opfer. Kritische Stimmen werden als „extrem“, „einseitig“ oder sogar „verräterisch“ definiert, während die offizielle Darstellung als „ausgewogen“, „durchdacht“ oder „staatsmännisch“ präsentiert wird.

Eine der zentralen Erzählungen in jedem Krieg, und insbesondere in diesem Krieg, ist die Behauptung, „keine Wahl“ zu haben – die Behauptung also, dass die gewalttätige Realität notwendig, unvermeidbar und alternativlos ist. In der Tat gibt es Zeiten und Umstände, in denen der Einsatz von Gewalt notwendig ist. Aber es gilt Gesetze zu achten, verhältnismäßig zu handeln – und es gibt diplomatische Alternativen. Dennoch hat die israelische Regierung wiederholt darauf beharrt, dass es keine Alternative zu dem von ihr eingeschlagenen Weg gibt.

Innerhalb dieses narrativen Rahmens führt jede Kritik zur Gegenfrage: „Was schlagen Sie stattdessen vor?“ Als ob grundlegende moralische Standards und das humanitäre Völkerrecht keine konkreten und klaren Vorschläge wären und als ob jede Kritik bereits einen exakt ausgearbeiteten Plan zu einer Lösung formulieren müsste. Auch die Symmetrieforderung ermöglicht die Legitimierung von Handlungen, die in anderen Zusammenhängen als inakzeptabel empfunden würden. Im Gaza-Krieg diente die Behauptung, „keine Wahl“ zu haben, dazu, eine Politik der totalen Zerstörung, Aushungerung, Massentötung und Verhinderung humanitärer Hilfe sowie die Ablehnung von Waffenstillstandsabkommen und Geiselfreilassungen zu rechtfertigen. Der gesellschaftliche Diskurs ist zu einem Käfig geworden, der die Grenzen des Denkens absteckt und den Raum für abweichende Meinungen einschränkt.

Wenn angeblich nur noch zur Wahl steht, zu zerstören oder zerstört zu werden, wird die Möglichkeit, sich einen Raum der Koexistenz, der Versöhnung oder zumindest der Beendigung der Gewalt vorzustellen, verwehrt. Wer sich ein Ende des Tötens wünscht, muss also die Brutalität aufdecken, die sich hinter dem gängigen Diskurs in Israel und Deutschland verbirgt, und auf die Mechanismen der Verleugnung, des Schweigens und der Rechtfertigung hinweisen, die die Fortsetzung des Krieges ermöglichen. Die Erzählungen und manipulativen Sprachregelungen, die sich in den Medien, der Politik und im täglichen Sprechen verbreitet haben, müssen demontiert werden. Wie Victor Klemperer gezeigt hat, operiert die Beeinflussung mittels Sprache nicht nur durch offene Lügen, sondern insbesondere durch sprachliche Manipulation, die besonders in Krisenzeiten wirksam sind, wenn kollektive Ängste und Identifikationen die Fähigkeit zur kritischen Analyse der Botschaften, „Fakten“ und Positionen schwächen.

Demokratie lebt von präziser und freier Sprache

In Kriegszeiten, in denen der Konsens gestärkt und kritisches Denken geschwächt wird, ist es wichtig, den hegemonialen politischen Diskurs zu sezieren. Angesichts des Gefühls von Dringlichkeit und Not und der damit einhergehenden Vorstellung, „keine Zeit“ zu haben – keine Zeit zum Nachdenken, keine Zeit zum Abwägen, keine Zeit zum Diskutieren von Alternativen –, müssen wir ein anderes Denken vorschlagen, das nicht zu schnellen und gewalttätigen Handlungen drängt. Wenn Wörter ihrer Bedeutung beraubt und mit neuen Bedeutungen versehen werden, ist die Demokratie selbst bedroht.

Demokratie lebt von präziser und freier Sprache – deren Funktion nicht darin besteht, zu beschönigen oder zu verbergen, sondern darin, zu beleuchten und aufzudecken. Es gilt um das Recht zu kämpfen, die Dinge beim Namen zu nennen: Massentötung ist Massentötung, nicht „Reduzierung der Terrorinfrastruktur“; Transfer ist Transfer, nicht „freiwillige Migration“; Hunger ist Hunger, nicht „Verhinderung von Hilfe für den Feind“.

Inzwischen ist sogar das Wort „Krieg“ politisch aufgeladen. Ist das, was in Gaza geschieht, wirklich ein Krieg? Würden wir es als „Kampf“ bezeichnen, wenn ein Erwachsener ein wehrloses Kind auf der Straße angreift? Anstatt von „Krieg“ zu sprechen, sollten wir vielleicht überlegen, ob „Genozid“ nicht ein passenderer Begriff ist.

Aus dem Englischen von Ulrich Gutmair

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12 Kommentare

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  • Dankeschön für diesen aufschlussreichen Artikel.



    Sprache ist halt ein Werkzeug, von Regierenden & Mächtigen - leider immer wieder und schon zu oft zur Umsetzung ihrer Interessen, missbraucht.

  • Sprache war schon immer und bleibt ein Mittel der Herrschaft, des Protests und der Manipulation. Dabei werden u.a. die Bedeutungen von Begriffen verschoben, Kommunikationen „geframed“ und ganze Narrative erfunden. Victor Klemperers „Sprache des Dritten Reiches“ sollten alle JournalistInnen und öffentlich Auftretende kennen und dabei nicht nur lernen, auf möglichen NS-Jargon zu achten. Sie sollten ihre eigene Sprache selbstkritisch prüfen und die konventionellen Sprechweisen grundsätzlich hinterfragen. Sie sollten sich dafür mehr Zeit nehmen und der (Auf-)Klärung von Sprache mehr Raum geben.

    Zum Beispiel Demokratie: Wie konnte es passieren, dass ab dem 19. Jahrhundert und verstärkt im 20. Jahrhundert aus bourgeoisen Republiken nach und nach sogenannte Demokratien und Wahlen, die zuvor als undemokratisch galten, zum „Fest der Demokratie“ wurden? Fortschritte bei der egalitären und emanzipatorischen Mitbestimmung von BürgerInnen hat dieser „semantic shift“ nicht gebracht. Im Gegenteil: Wir stecken fest in der Herrschaft einer elitären Parteienoligarchie. Demokratisierung? Nicht in Sicht! Der Kurs geht Richtung repressiver Herrschaft.

  • Völlig richtig. Die Sprache zeigt viel. Darum wollen wir auch daran erinnern, dass uns menschenverachtende Worte wie "Kollateralschaden" von Ländern wie den USA bekannt sind. Die ersten Male, die zumindest ich das Wort gehört habe, war in den 90ern (Serbienkrieg) und den 2000ern (Irak).



    Und nicht umsonst sind die USA die engsten Verbündeten Israels.

    Und Deutschland ist natürlich auch gut in der Kreation solcher Worte. "Entsorgungspark", "Remigration" etc. Oder der "Sozialtourismus", den unser kleiner sauerländischer Pascha geprägt hat.

  • Man mag sich wünschen, dass es alsbald eine Übersetzung d. Buches, zunächst in Englisch gibt.



    Deutschland hatte in puncto Sprachdevianzen schon historisch viele Erfahrungen gemacht. Die Sensibilität für Euphemismus, Diminutive u. falsche Gleichsetzungen blieb dennoch weitgehend auf der Strecke.



    Wir sind an verbale Assimilation in Krisen inzwischen gewöhnt.



    "Ein Wortschatz wie ein Waffenschrank



    Mit der Gartenarbeit auf Kriegsfuß stehen, an allen Fronten kämpfen, den Einkauf im Eifer des Gefechts vergessen: Unsere Alltagssprache steckt voller Krieg und Gewalt. Ist es an der Zeit, sprachlich abzurüsten?"



    sz-magazin.sueddeutsche.de



    Auch eine Brücke zwischen den Menschen:



    »Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte, achte auf deine Worte, denn sie werden Handlungen, achte auf deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten, achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter, achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal«.



    Es stammt nicht aus dem Talmud, wäre aber nicht unpassend. Der Autor ist Charles Reade. Man liest es oft, auch im Zusammenhang mit Viktor Frankl*.



    *„Wenn wir eine Situation nicht mehr ändern können, sind wir aufgefordert, uns selbst zu ändern"❗

  • Vor allem wird im Inneren der Code der Brutalität benutzt, um auf ein noch härteres Abwerten, Entrechten, Verhungernlassen, Töten, Vertreiben vorzubereiten. Keine Spezialität Israels, das gibt's auch anderswo, aber da liefert die Bundesrepublik meist nicht noch die Waffen dafür. Unmenschlichkeitspropaganda braucht eine Weile und wirkt dann auch über Wörter.

    Nach außen wird hingegen die PR-Sprache eingehämmert. Netanyahus Karriere fußte auf solcher Dauerrhetorik, zuerst als Vize-Botschafter in Washington. Siehe die ARD-Dokumentation.

    • @Janix:

      Ohne irgendeinen Code der Brutalität ist aggressiver tötender, vertreibender Nationalismus nie möglich.Das ist bei den religiösen israelischen Nationalisten auch nicht anders.

  • Die pauschale Kritik an der „Forderung nach Symmetrie“ ist in hohem Maße problematisch. Wer Symmetrie als rhetorisches Ablenkungsmanöver darstellt, unterstellt einseitig Schuld und verweigert die Anwendung universeller Maßstäbe. Asymmetrien in Macht oder Opferzahlen rechtfertigen noch lange keine asymmetrische Moral: Auch die schwächere Seite kann Kriegsverbrechen begehen und Verantwortung tragen. Die Wahrheit leidet nicht unter dem Versuch, beide Seiten kritisch zu beleuchten – sie leidet unter ideologischer Einseitigkeit. Gerade eine demokratische Debatte braucht Vergleichbarkeit, Maßstäbe und Konsistenz. Die Forderung nach Symmetrie schützt nicht die Mächtigen, sondern unsere gemeinsame Verpflichtung zur Gerechtigkeit. Dass die Autoren selbst israelisch und jüdisch sind, ist irrelevant. Dies enthebt sie nicht der Pflicht zu argumentativer Redlichkeit und moralischer Konsistenz. Wer Symmetrie ablehnt, öffnet Tür und Tor für Relativismus und moralische Willkür.

    • @BrendanB:

      "Massentötung ist Massentötung, nicht „Reduzierung der Terrorinfrastruktur“; Transfer ist Transfer, nicht „freiwillige Migration“; Hunger ist Hunger, nicht „Verhinderung von Hilfe für den Feind“.



      Wohl wahr.



      Allerdings ist dann auch die antisemitische Agenda der Hamas und Co. kein antikolonialer Befreiungskampf sondern Pogrompolitik. Soviel Symmetrie muss schon sein.

    • @BrendanB:

      Sie kämpfen gegen Windmühlen.



      Was gemeint ist:



      Auch die Résistance hat Zivilisten getötet. Muss das erwähnt werden, wenn man von den Verbrechen der Nazis spricht? Nein.



      Sehr guter Artikel in jedem Fall.

      • @Schleicher:

        Ich bin da nicht Ihrer Meinung. VorletzterSommer Fahrradtour in der Correze, die Lokalzeitung La Montagne berichtet von Erschiessungen von deutschen Soldaten, Telephonistinnen etc, 1944 durch den Maquis. Einer der letzten Überlebenden des Maquis/FFI sollte mit fast 100 Jahren sein Gewissen erleichtern. Die forensische Abteilung der Gendarmerie fand das Massengrab. Ja, man muss alle Verbrechen erwähnen, oder die Geschichte verfälschen. Und immer daran denken, Man kann nicht Menschenleben gegeneinander aufrechnen.

        • @Jo Lang:

          Also in jedem Artikel zu den Kriegsverbrechen Nazideutschlands auch ein Absatz über die Kriegsverbrechen der Aliierten? Kann keine ernst gemeinte Forderung sein.

  • Eine exzellente Analyse der beiden Autoren.

    Vergessen wir nicht: Das Wort „Kollateralschaden“ wurde im Jahr 1999 zum Unwort des Jahres gewählt, und zwar mit Recht. Das wurde scheinbar inzwischen vergessen, taucht es doch auch in den Kommentaren unter den Artikeln zum Vorgehen Israels im Gazastreifen hier in der taz immer wieder auf, ohne dass sich Jene, die es benutzen, der Menschenverachtung, die dieser Begriff in sich trägt auch nur bewusst zu sein scheinen.

    „Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“

    schreibt Victor Klemperer in seinem Vorwort zu LTI, und genau so ist es.

    Netanjahu spricht von einem „totalen Sieg“ und als Deutsche sollten wir uns erinnern. Auch das Wort „total“ findet sich übrigens in LTI.

    Und noch einmal Victor Klemperer:

    „Das Gift der LTI deutlich zu machen und vor ihm zu warnen – ich glaube, das ist mehr als bloße Schulmeisterei. Wenn den rechtgläubigen Juden ein Essgerät kultisch unrein geworden ist, dann reinigen sie es, indem sie es in der Erde vergraben. Man sollte viele Worte des nazistischen Sprachgebrauchs für lange Zeit, und