Spannungen zwischen China und der EU: Pekings asymmetrische Antwort
Die nun verhängten gegenseitigen Sanktionen sind ein Wendepunkt. Doch Peking dürfte sich bei seiner Vergeltung verkalkuliert haben.
Ganz gleich, wie man zu den EU-Maßnahmen steht: Unter praktisch allen Fraktionen der China-Beobachter herrscht Konsens, dass es sich um einen Wendepunkt in den gegenseitigen Beziehungen handelt.
Matej Šimalčík von der slowakischen Denkfabrik Central European Institute of Asian Studies bezeichnet Chinas Vergeltungsaktion öffentlich als „schwerwiegende strategische Misskalkulation“. Zum einen, weil Pekings Antwort unverhältnismäßig ausfällt – die EU sanktionierte vier Personen, China hingegen zehn – und damit die Spannungen weiter eskalieren lässt. Zudem bringt Pekings Vergeltung die EU näher an die USA und lässt die Fraktion, die der Volksrepublik gegenüber gutmütig eingestellt ist, endgültig schwinden.
„Lasst es mich klar ausdrücken: Diese Sanktionen sind mein Ehrenabzeichen. Der Kampf geht weiter!“, schreibt etwa der französische EU-Parlamentarier Raphaël Glucksmann auf seinem Twitter-Account.
Größtes China-Forschungszentrum Europas betroffen
Wie kontraproduktiv Chinas Ansatz ist, demonstriert vor allem die völlig überraschende Sanktionierung des Mercator Institute for China Studies (Merics) in Berlin. „Es ist das größte China-Forschungszentrum nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa“, schreibt das ultranationalistische Parteiblatt Global Times: „Wenn dessen Beziehungen zu China abgebrochen werden, wird sein Einfluss kritisch getroffen“.
Was wie eine Jubelmeldung klingen soll, ist doch eher ein politischer Schuss ins Knie: Denn Merics ist eine der wenigen Institutionen, die trotz der aufgeheizten politischen Stimmung zu differenzierten Sichtweisen und gegenseitigem Verständnis aufrufen. Wenn der Austausch zwischen China und dem Westen also vollständig abgeschnitten wird, wie auch immer mehr Stimmen in den USA fordern, bleiben am Ende nur mehr die Hardliner übrig.
Pekings Vergeltung zeigt auch die unterschiedlichen Auffassungen der zwei politischen Systeme: Zwar kritisiert auch Chinas Regierung vermeintliche Menschenrechtsverbrechen des Westens und dessen Doppelmoral, doch würde sie niemals Politiker hinter Washingtons Angriffskriegen oder etwa dem Lager in Guantanamo sanktionieren.
Innenpolitischer Machterhalt, außenpolitische Umformung
Der Volksrepublik geht es fast ausschließlich darum, sich die Einmischung in „innere Angelegenheiten“ zu verbieten. Denn das, was die Kommunistische Partei vor allem umtreibt, ist die eigene Machtsicherung. Das bedeutet allerdings auch, dass sie zumindest in Teilen auf eine Umformung demokratischer Staaten hinarbeitet: Dort nämlich, wo die öffentliche Meinung den Herrschaftsanspruch der KP bedroht, möchte sie den Diskurs unterbinden.
Die Global Times widmet dem sanktionierten EU-Parlamentarier Reinhard Bütikofer (Bündnisgrüne) gar einen eigenen Artikel, der sich wie zu Zeiten der Kulturrevolution liest. Darin wird dem deutschen Politiker und Ex-Maoisten vorgeworfen, sein Sinologie-Studium nicht beendet zu haben, „hinter dem Aufruhr in Hongkong“ zu stecken und von der Nato als Vorhut gegen China eingesetzt zu werden.
Bütikofer bezeichnete das chinesische Vorgehen als „frech“ und „lächerlich“. „Die Führung will hier demonstrieren, dass sie die Meinungsfreiheit nicht nur im eigenen Lande unterdrücken, sondern durch Einschüchterung auch die Europäer daran hindern will“, sagte er dem Mannheimer Morgen.
Peking bestellt EU-Botschafter ein
Die gegenseitige Eskalationsspirale dreht sich unterdessen weiter. Ein für Dienstag angesetztes Treffen im Europäischen Parlament zur Diskussion des EU-China-Investitionsabkommens wurde bereits abgesagt. Gleichzeitig hat das Außenministerium in Peking den EU-Botschafter Nicolas Chapuis einbestellt.
An einer Aufarbeitung des Kernproblems, den Menschenrechtsverbrechen gegen die muslimische Minderheit der Uiguren in Xinjiang, ist Chinas Regierung nicht im Ansatz interessiert. Stattdessen wird jede Kritik grundsätzlich als Diffamierung und Lüge abgetan.
Am Dienstag sagte Außenministeriumssprecherin Hua Chunying, die Meinung der EU-Parlamentarier basiere auf „Lügen und Falschinformation“ und die „unschuldigen Opfer“ – also die chinesische Regierung – habe das „Recht, ihre eigenen Interessen und ihre Würde zu verteidigen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin