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Späterer UnterrichtsbeginnNiemand möchte aufgeweckte Schüler

Nadine Conti
Kommentar von Nadine Conti

In Niedersachsen wird mal wieder ein späterer Schulbeginn diskutiert. Der wäre zwar vernünftig, kommt aber bestimmt trotzdem nicht.

Ausschlafen ist nicht: Das gilt auch für diese Vorbereitungsklasse mit ukrainischen Schülern Foto: Marijan Murat/dpa

M alte Kern heißt der neue Vorsitzende des Landesschülerrates in Niedersachsen. In den letzten zwei Tagen trabte er vor allem mit einer Forderung durch die regionale Medienlandschaft: Unterrichtsbeginn erst um 9 Uhr. Wobei das ein bisschen unfair ist. Gesagt hat Malte Kern nämlich noch ganz andere bedenkenswerte Dinge in einem großen Interview mit der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ). Aber das lief dann so, wie es halt öfter geht: Die hübsche plakative Forderung landete in der Überschrift und machte großes Aufsehen.

Am Ende musste sogar das Kultusministerium reagieren und schob den Schwarzen Peter wie gewohnt weiter an die Schulen und Schulträger. Grundsätzlich gäbe es ja keinen Erlass, der den Unterrichtsbeginn auf 8 Uhr festlegt, die Schulen könnten das anders regeln, heißt es da. Mit den organisatorischen Problemen beim Schulbusverkehr und in der Tagesplanung von berufstätigen Eltern sollten sie sich dann aber auch auseinander setzen, findet das Ministerium.

Besonders neu ist diese Debatte natürlich nicht: Dutzende Studien und Modellversuche haben belegt, dass ein zu früher Unterrichtsbeginn sich ab der Frühpubertät ungünstig auswirkt. Die Kinder sind unkonzentriert und weniger leistungsfähig, weil sich ihr zirkadianer Rhythmus in diesen Jahren von der Lerche zur Nachteule verschiebt. So weit, so bekannt.

Geändert wird trotzdem nichts. Warum nicht? Meine These ist: Weil hier die Aversion gegen Veränderungen besonders hoch ist. Und weil in Wirklichkeit niemand aufgeweckte Schüler haben möchte.

Schule muss ja freudlos sein

Das Argument, da hätten berufstätige Eltern ein Problem, führt nämlich in die Irre. Um die Bedürfnisse berufstätiger Eltern kümmert sich dieses Schulsystem sonst nie: Es gibt in Niedersachsen kaum Schulen mit zuverlässiger Betreuung, die sich über einen ganzen Arbeitstag erstreckt, dafür aber dauernd Ausfälle und eine ausufernde Anzahl an Ferientagen.

Auch die Befürchtung, ein späterer Schulbeginn würde den Schultag zu weit in den Nachmittag verschieben, betrifft bei genauerem Hinsehen ja vor allem eine Gruppe: Die Kinder, die von Mutti zu ihren diversen, teuren Freizeitaktivitäten gefahren werden und möglichst ungehindert ihre privilegierte Kindheit genießen sollen. Wo kämen wir denn da hin, wenn an einer richtigen Ganztagsschule plötzlich jeder Ballett- und Klavierunterricht oder Schwimmtraining haben könnte?

Vor allem aber müssen die Schüler frühzeitig mit den dümmsten Auswüchsen unserer Arbeitskultur bekannt gemacht werden: dem Kult ums Frühaufstehertum zum Beispiel. Frühaufsteher gelten grundsätzlich als fleißiger, selbst wenn sie die ersten Arbeitsstunden nur mit Kaffeekochen und Blumengießen verbringen – und dabei jeden hereinkommenden Kollegen mit „Na? Auch schon da?“ begrüßen.

Das passt hervorragend zu einer Arbeitskultur, in der Anwesenheit oft wichtiger ist als Ergebnisse – in der es öfter darum geht, Fleiß zu simulieren und möglichst gestresst auszusehen, als tatsächlich etwas zu leisten. Wenn es nicht freudlos, anstrengend und ermüdend ist, dann darf man das nicht Arbeit nennen. Und auch nicht Schule. Früh übt sich, wer später klaglos Würmer fressen soll.

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Nadine Conti
Niedersachsen-Korrespondentin der taz in Hannover seit 2020
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23 Kommentare

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  • Tagesablauf am Biorhythmus der Schüler orientieren? Fehlanzeige. Lehrpläne an heutige Anforderungen einer Wissensgesellschaft anpassen? Fehlanzeige. Didaktik auf individuelles Lernen ausrichten? … Alles eine einzige Fehlanzeige.

    • @Phineas:

      Pauschalurteile? Keine Fehlanzeige.

      • @cazzimma:

        Wissen sie mehr zu dem angesprochenen Reformstau?

        • @Phineas:

          ... aber weder dieser Artikel, der sich über einen Aspekt des Schullebens aufregt, noch Ihr Pauschalbashing sind in irgendeiner Weise sinnvoll.

        • @Phineas:

          Ich arbeite in der Schule und kann nur sagen, dass im Berliner Bildungssystem von Seiten der Politik extrem viel versäumt wurde in den letzten zumindest zwanzig Jahren.

          Dennoch kann man nicht alles über einen Kamm scheren, was an den jeweiligen Schulen passiert.



          Sehr oft dank des Engagements von KollegInnen und Gremien an den entsprechenden Schulen gibt es auch positive Beispiele eines guten Schullebens. Aber das wird halt auch erkauft über das Engagement von LehrerInnen, die vielleicht irgendwann im Burnout landen.

          Keine Frage, dass Bildung und Schulsystem in Berlin schon lange extrem bedenklich bis katastrophal laufen



          Ihr verbales Bashing ist einfach nur indifferenziert und dumm.

          • @cazzimma:

            Dass Lehrer die Versäumnisse der Bildungspolitik ausbaden müssen, ist ein Teil des Problems! :-)

  • Mir fällt es gerade wirklich schwer, nach SO einem Artikel noch sachlich zu bleiben. Ich rate jetzt mal: Die Autorin hat selbst KEINE Kinder, oder zumindest keine schulpflichtigen UND kann anfangen zu arbeiten, wann sie will, anders kann ich mir diesen Artikel inhaltlich nicht erklären.



    Ich bin Lehrer und hadere auch mit den Anfangszeiten, ich würde selbst übrigens auch gerne länger schlafen. Fraglich allerdings, was dann unsere nicht in Schulen arbeitenden Freunde mit ihren Kindern bis zum Schulbeginn machen. Mehr Personal einstellen und für eine Frühbetreuung sorgen? Klar! Es ist ja nicht so, dass wir nicht jetzt schon massive Probleme bezüglich Personalmangel hätten. Und mir indirekt vorzuwerfen, dass ich mein Kind (ja, ich bin ein Mann und fahre tatsächlich EBENFALLS meine Tochter zu ihren Hobbys, das machen NICHT nur Frauen) zu „teuren Freizeitaktivitäten“ fahre, weil der Leichtathletikverein leider noch nicht im Schulgebäude integriert ist und die städtische Musikschule EBENFALLS nicht an JEDER Schule vertreten sein kann: Sich über so etwas lustig zu machen, ist einfach nur erbärmlich (meine Meinung, muss ja niemand teilen).



    Ist hier wie bei Richard David Precht, der sich bei Lanz eine Stunde über das deutsche Bildungssystem echauffiert: Keine Ahnung, kein direkter Einblick, aber Hauptsache mal 60 Minuten seine Meinung in den Äther blasen…

    • @Gregor von Niebelschütz:

      Ja, mir als Lehrerin ist aus ähnlichen Gründen die Hutschnur geplatzt.

  • Was dieser Artikel überhaupt nicht berücksichtigt, ist, dass inzwischen nicht wenige Schülerinnen abends bzw. nachts kein Ende finden, wenn es um's Zocken im Netz, um Netflix oder die Präsenz in sozialen Medien geht.



    Finge die Schule später an, würde auch dieses Verhalten sich noch weiter in die Nacht ziehen.



    Genug Studien sind zu dem Ergebnis gekommen, dass viele Jugendliche auch aus diesen Gründen (Suchtverhalten etc.) unter chronischem Schlafmangel leiden.



    Als Lehrerin erlebe ich die Konsequenzen dieses Verhaltens zur Genüge.



    Aber Hauptsache, man hat sich mal wieder ein bisschen an der freudlosen Schule abgearbeitet.

    • @cazzimma:

      "Inzwischen"? Das "kein Ende finden" ist unabhängig vom Ablenkungsangebot. Früher waren's Bücher und Heftchen, die man z.B. mit der Taschenlampe gelesen hat, heute halt elektronisches Zeuchs. Der Grund ist derselbe: Man kann Schlaf halt nicht erzwingen.

      • @Tetra Mint:

        Ich bin seit über zwanzig Jahren Lehrerin. Ich kann Ihnen versichern, dass sich da in den letzten 5 bis 8 Jahren Grundlegendes verändert hat, was das Schlafverhalten bzw. den Schlafmangel anbetrifft.

        • @cazzimma:

          Wie schön, eine Lehrkraft, die sich noch kümmert. Die tatsächlich regelmäßig die Schüler abends noch besucht, um das Schlafverhalten zu beobachten.



          Ist klar, das böse Insta ist an allem Schuld.



          Zur Uhr hätte ich das hier:



          www.spektrum.de/ne...zum-lernen/1344381



          Dazu passende Studien sind auch schon älter als Instagram, aber als Lehrkraft wissen Sie das sicher längst.



          Ebenfalls ein gern unterschätzter Faktor: In der Pubertät leiden (nach meiner völlig subjektiven Einschätzung) viele unter recht niedrigem Blutdruck, was es noch schwere macht, aus dem Bett zu kommen. Interessiert die Lehrer das? Nö. Nachdem ich in der 10. Klasse in der 1. Stunde umgekippt war (niedriger Blutdruck + Knie an der Schulbank angeschlagen = Dunkelheit) und ich meiner früheren Klassenlehrerin kurz darauf von der dazugehörigen Diagnose (besagter Blutdruck) berichtete, meinte sie nur, "Das wusste ich doch."



          Aha, woher?



          "Alle wissen das. Ist doch völlig normal!"



          Es INTERESSIERT die meisten mir bekannten Lehrkräfte einfach nicht, ob die Kinder munter und aufnahmefähig sind. Sie nehmen es hin, dass die Schüler auf der Schulbank oder hinter Büchern vor sich hindösen. So sind die Kinder wahrscheinlich einfacher zu handhaben, als aufgeweckte Schüler, die mal Fragen oder Kommentare zum Unterrichtsmaterial haben könnten.



          (In meiner Schullaufbahn gab es ganze VIER Lehrer*innen, die löbliche Ausnahmen waren. Einer davon war zufällig der, in dessen Stunde ich umgekippt war ...)

  • So ein Blödsinn. 7.30/ 8.00 haben Schüler im Unterricht zu sein, denn:



    1. Dass ist das reale Leben.



    2. Wenn die Eltern schon längst verschwunden sind, und Filius und Filuine und das diverse Filino gerade keinen Bock auf Schule haben, entzieht es sich der Kontrolle der Eltern.



    MAN BEGINNT DEN TAG IDEALERWEISE ZUSAMMEN!



    3. Muss nicht Mathe in der ersten Stunde sein, sondern vielleicht täglich Sport.



    4. Wenn der Schultag sich bis in den späten Nachmittag/frühen Abend zieht, dann IST DAS belastend und doof!



    Welcher Schwachsinn ist demnächst auf der Agenda?

    • @Vlora:

      "MAN BEGINNT DEN TAG IDEALERWEISE ZUSAMMEN!"



      Schöner Traum. Erklären Sie das mal den vielen Eltern, deren Arbeitsbeginn allein vom Schichtbeginn bestimmt wird und nicht von der Schule der Sprösslinge. Etwas Eigenständigkeit kann man auch schon von Schülern erwarten.

    • @Vlora:

      „Später Schulbeginn macht Lernen leichter - Um acht Uhr morgens fängt die Schule für fast alle Beteiligten zu früh an. Dabei steigern sich Leistung und Wohlbefinden schon mit ein paar Minuten mehr Schlaf.“



      Spektrum der Wissenschaft:



      www.spektrum.de/ne...n-leichter/1558684



      …sind ja nur wissenschaftliche belegte Erkenntnisse. Die werden in diesem Land ja gerne mal abgetan, - gibt ja Menschen, die auch in anderem Zusammenhang mit „hat mir nicht geschadet“ argumentieren —- Rücksicht auf die Bedürfnisse von Kindern, wo kommwa denn da hin…

  • Ich finde die Idee, später mit dem Unterricht zu beginnen, gut. 8.30 Uhr wäre ja schon besser. Ältere Schüler kommen sowieso allein zur Schule und alle anderen können wie jetzt auch schon in den Hort. Hobbys am Nachmittag betrifft Dank der Teilhabe und fairen Preisen für Sportvereine nicht nur die Superreichen. Aber das kann mit der Schule abgestimmt werden, z.b. für Kinder im Sportverein fällt der Sportunterricht an der Schule aus. Wer Lösungen finden will, findet welche.

  • Mein Gott, wo ist eigentlich das Problem?



    Eine Stunde früher ins Bett und schon fühlt sich 8 Uhr morgens wie 9 Uhr an.

    • @Rudi Hamm:

      Das hat noch nie funktioniert. Wenn der innere Tag länger ist als der äußere (z.B. 25 statt 24 Stunden), dann liegt man zwar vielleicht früher im Bett, aber rotiert nur rastlos herum und das Gedankenkarussell rödelt. Das Blöde dabei ist, dass man dann nicht nur die eine Stunde lang wachliegt, sondern gleich mehrere - mitunter die halbe Nacht. Am Ende klingelt der verfluchte Wecker und man steht völlig gerädert auf.



      Jetzt denkt man vielleicht, dass man wenigstens am nächsten Tag früher ins Bett käme?



      Nö, klappt leider auch nicht. Das zieht sich bis zum Wochenende, wenn man endlich mal ausschlafen kann.



      Besonders deutlich wird dieser Effekt, wenn die Nächte eher kurz sind. Dann spielt auch die ach so tolle Sommerzeit eine unbrauchbare Rolle: "Abends länger hell" bedeutet dann nämlich, abends weiterzumachen anstatt schläfrig zu werden. Biochemie interessiert sich halt nicht für Stundenpläne.

      • @Tetra Mint:

        Insta und Co. auch nicht.

      • @Tetra Mint:

        "Abends länger hell. Das ist echt putzig. Auch am 21.Juni ist es in Deutschland um 22.00 dunkel.

        Der Schlafmangel von Jugendlichen hat nicht was mit, so als Tipp, dem Fernsehprogramm oder Karl May und der Taschenlampe unter der Decke zu tun.

    • @Rudi Hamm:

      Jaja, so machen das die ganz Schlauen und stehen dann um 7:30 Uhr zusammen mit den anderen Geistesgrößen in ihrem 5m-3Tonner-SUV (selbstverständlich solo, außer sie bringen gerade ihre Bläger in die 500m entfernte Schule) im zähfließenden Verkehr und fordern wütend mehr Platz. - Hallo ihr Schlauberger, eine gute Stunde gibt es ihn, den Platz, echt. Das hinzubekommen ist überhaupt kein „Problem“ man muss nur ne Stunde Länger schlafen 😴.

    • @Rudi Hamm:

      Korrekt! Spielekonsole, PC und Extremfernsehschauing bis in die Puppen... Wer das eine will, muss das andere mögen.

    • @Rudi Hamm:

      Nö, eben nicht.