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Soziologe Philipp Staab über Klimakrise„Leben in einer Ära der Anpassung“

Wir sollten aufhören uns vorzugaukeln, dass wir in Zeiten des Fortschritts leben und uns eher den Problemen der Klimakrise widmen, sagt Philipp Staab.

Die Party im Klimawandel feiern, solange es geht, oder solidarisch handeln? Be­woh­ne­r:in­nen in Madrid Foto: Manu Fernandez/reuters
Stefan Reinecke
Interview von Stefan Reinecke

wochentaz: Herr Staab, die Ampel hat ihren Koalitionsvertrag mit „Mehr Fortschritt wagen“ überschrieben. Ist Fortschritt noch ein brauchbares Konzept?

Philipp Staab: Nein. Und die Ampel ist ein gutes Beispiel, dass der klassische Fortschrittsbegriff nicht mehr aufgeht. Sie ist ja rasant zu einer Regierung der Anpassung geworden. Zuerst zwang die Pandemie zur Anpassung, dann taten das Krieg und Energiekrise. Politik funktioniert zunehmend reaktiv. Der Fortschrittsbegriff beinhaltet aber die ständige Perfektionierung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Und das Versprechen: Die Zukunft ist offen, und wir können sie beschreiben wie ein weißes Blatt. Das ist vorbei.

Bild: Felix Noak/Suhrkamp
Im Interview: Philipp Staab

Philipp Staab, geb. 1983, ist Professor für Soziologie der Zukunft der Arbeit an der Humboldt-Universität zu Berlin und am Einstein Center Digital Future. Er schrieb Bücher über Digitalen Kapitalismus und über Macht und Herrschaft in der Servicewelt.

In den 1980er Jahren wurde der Fortschritt schon mal verabschiedet, kam dann aber als alltagspraktische Erfahrung mit digitaler Technik wieder. Ist Fortschritt nicht eher ein Zombie – eine Figur, die nie ganz verschwindet?

Das große Bild ist anders. Soziologische Studien und Umfragen zeigen, dass die Leute sich zwar die Verbesserung ihrer Zukunft und persönlichen Position erhoffen, aber nicht mehr an die Verbesserung der gesellschaftlichen Zukunft glauben. Das kann man Zombie-Fortschritt nennen.

Der Soziologe Andreas Reckwitz hat einen um die Erfahrung des Verlusts erweiterten Fortschrittsbegriff vorgeschlagen. Ist der brauchbar?

Die Frage bleibt: Was kommt denn nach der Akzeptanz des Verlustes? Antwort: Die Anpassung an das, was für die Selbsterhaltung der Gesellschaft nötig ist. Den Verlust zu betrauern, reicht nicht. Das große Menetekel ist der Klimawandel. Auch die Pandemie hat gezeigt, dass die moderne Gesellschaft ihre Steuerungsfähigkeiten überschätzt hat. Deswegen sollten wir aufhören, uns vorzugaukeln, wir würden noch in der Ära des Fortschritts leben. Das tun wir nicht. Wir leben in der Ära der Anpassung. Diese Anpassung ist nicht passiv, sie erfordert Handlungsfähigkeit. Psychoanalytisch ausgedrückt geht es darum, nach der Trauer das Realitätsprinzip zu akzeptieren und die Stärken des Ichs zu entfalten.

Wenn wir den Fortschritt beerdigen, fragt sich: Was wird aus der Selbstverwirklichung, die zum gesellschaftlichen Ideal geworden ist? Muss die mit ins Grab? Also mehr Gemeinschaft und Wir, weniger Freiheit und Ich?

In diesen ausgetretenen Pfaden der Alltagsrhetorik wird ein Gegensatz aufgemacht, der so nicht existiert. Die liberale Selbstbeschreibung dieser Gesellschaft lautet: Selbstverwirklichung ist das Kernversprechen, das dafür sorgt, dass Menschen begeistert mitmachen. Ich bezweifle das. Die kritische Soziologie erfasst weniger emphatische Selbstverwirklichung als Pathologien der Selbstentfaltung. Seit den 1980er Jahren wächst die Ungleichheit. Soziale Aufstiege werden prekärer, individuelle Positionen unsicherer. Es gibt zwar in der Arbeits- und Lebenswelt mehr Freiräume, die als Gewinn erlebt werden, aber auch als massiver Druck. Deshalb nehmen Erschöpfungssyndrome und Depressionen zu. Die Gesellschaft produziert permanent Selbstverwirklichungsüberforderungen.

Will sagen: Weniger Selbstverwirklichung ist eigentlich mehr Freiheit?

Ja, vielleicht. Zentral ist erst mal: Nachdem die Gefahr eines Atomkriegs aus der Welt geschafft schien, haben wir uns der Illusion hingegeben, dass es keine systemischen Selbsterhaltungsprobleme mehr gibt. Das war ein Irrtum. Die Frage der individuellen Selbstverwirklichung ist angesichts der Bedrohungen durch den Klimawandel zweitrangig. Selbsterhaltung kann nur als kollektives Projekt gelingen. Die konsumzentrierte Entfaltung der Einzelnen wird dahinter zurücktreten.

Also gibt es in der Gesellschaft der Anpassung keine Influencer mehr?

Nicht als Verbot, sondern als Reaktion. Als alle Angst vor Corona hatten, hat sich jedenfalls niemand für Influencer interessiert. Ich glaube aber, dass es in der Gesellschaft der Anpassung mehr kollektive Freiheiten geben wird. Kann ich eine Geschichte erzählen?

Gewiss.

Ich war kürzlich in Südkorea. Nach dem Koreakrieg war der Süden massiv entwaldet. In den 50er und 60er Jahren gab es eine Reihe von Fluten wie im Ahrtal, mit vielen Opfern. Und danach, zu Zeiten der Militärdiktatur, ein gigantisches Wiederaufforstungsprojekt, an dem die halbe Gesellschaft beteiligt war. Am Wochenende haben Eltern mit ihren Kindern Setzlinge gepflanzt. Südkorea ist heute dichter bewaldet als China, Indien oder das historische Europa. Ich habe in Südkorea kritische Soziologen getroffen, die als Studenten gegen das Militärregime rebellierten und unverdächtig sind, es zu glorifizieren. Ich habe sie nach diesem Wiederaufforstungsprojekt gefragt, und die Antwort war erstaunlich. Sie haben sich angesehen und ein Lied angestimmt, das sie immer sangen, wenn sie mit Eltern, Lehrern, Klassenkameraden Bäume gepflanzt haben. Das war eine Erfahrung kollektiver Freiheit und Mobilisierung.

Was bedeutet das für uns?

Man kann da über viel nachdenken – etwa das Technischen Hilfswerk zu einem Friedenskorps der Anpassung zu machen, bei dem, wer freiwillig hilft, massiv Steuern spart. Mir scheint auch Steinmeiers Idee der Pflichtdienste im Kern richtig zu sein.

Die Antwort auf die Klimakrise kann auch anders ausfallen. Wir leben weiter wie bisher, stoßen etwas weniger CO2 aus und investieren viel Geld in Maßnahmen, die die Folgen des Klimawandels mildern. Was spricht gegen diese egoistische Variante von Anpassung?

Es ist denkbar, dass sich Gesellschaften massiv nach außen befestigen und die Party solange feiern, wie es geht. Das ist offen. Die adaptive, solidarische Gesellschaft wird kein Paradies werden, aber sie bietet Chancen.

Inwiefern?

Menschen suchen in Krisen sinnhafte Formen politischer Lebensführung, die ihnen die Möglichkeit geben, nicht hilflos zu sein. Ich habe für mein Buch „Anpassung“ Interviews mit systemrelevanten Menschen wie Krankenpflegern, Polizisten und Polizistinnen und Erzieherinnen geführt – also den Experten und Expertinnen der Anpassung, die arbeiten gingen, als alle anderen während der Pandemie zu Hause blieben. Das Ergebnis: Sie fordern drei Dinge. Es soll weniger Ungleichheit geben. Das heißt nicht unbedingt: Ich brauche mehr Geld, sondern es soll insgesamt in der Gesellschaft gerechter zugehen. Dass Jeff Bezos als Krisengewinnler Milliarden verdient, während viele Menschen während der Pandemie im Krankenhaus das Risiko tragen, gilt als ungerecht. Zweitens: Es geht nicht, dass im Krankenhaus die Wände schimmeln und der Putz von der Decke fällt. Das ist eine Kritik an der profitorientierten Gestaltung von Gesellschaft. Der dritte Punkt ist eine Kritik des individuellen Egoismus und der Wunsch nach klarer politischer Steuerung von oben. Das ist kein neuer Autoritarismus, sondern der Wunsch nach funktionalen Hierarchien als Bedingung dafür, dass der Alltag der Anpassung gelingt. Weniger Ungleichheit, weniger Kapitalismus, mehr politische Steuerung.

Klingt nach linker Sozialdemokratie. Aber bleibt die Gesellschaft der Anpassung eine Demokratie? Oder wird sie eine Autokratie, wie es Südkorea während der Aufforstung war?

Unser Verständnis von Demokratie wird sich verändern. Wenn Menschen ernsthaft mit Selbsterhaltungsfragen konfrontiert sind, öffnet sich gewissermaßen ein vordemokratischer Raum. Die Politisierung rückt in den Hintergrund und das technokratische Funktionieren in den Vordergrund. Das kann man auch bei Fridays for Future oder der Letzten Generation sehen. Anders als frühere soziale Bewegungen fordern sie letztlich nicht Demokratisierung, sondern „Listen zu ­Science“ – lasst die Wissenschaft durchregieren.

Wie weit ist diese Gesellschaft mit ihren vordemokratischen Räumen von einer Ökodiktatur entfernt?

Wenn Ökodiktatur Verbote meint, ist das grundsätzlich unproblematisch. In liberalen Demokratien wird ja viel verboten. Das Verfahren muss demokratisch sein. Das Verzichts- und Verbotsproblem erledigt sich in adaptiven Gesellschaften zum Teil von selbst. Wenn Selbsterhaltungsfragen zentral werden – wie derzeit bei der Energie –, ist die Frage, was die KI von Zalando für nächstes Jahr an Nachfrage prognostiziert, eher unwichtig. Wir reden im Winter über Energiemangel, im Sommer über Wassermangel. Je radikaler sich solche fundamentalen Probleme stellen, desto weniger werden Verzicht und Verbot als zentrale Gerechtigkeitsprobleme auftauchen. Als ungerecht wird unter Krisenbedingungen hingegen empfunden, wenn viele enorme Anpassungsleistung erbringen, während wenige riesige Gewinne machen. Das zerstört die Legitimität des politischen Systems.

Das Buch

Philipp Staab: „Anpassung“. edition suhrkamp, Berlin 2022, 240 Seiten, 18 Euro

Aber greift ein auf Dauer gestelltes Notstandsregime nicht die Demokratie an, weil viele Bereiche der demokratischen Entscheidung entzogen werden?

Müssen Demokratien plausibel machen, dass ihre politischen Apparate Selbsterhaltungsprobleme bearbeiten? Es ist absurd, sich eine Welt vorzustellen, in der individuelle Freiheit vor Selbsterhaltung geht. Wir leben jetzt schon in einer Welt, in der unser beider Selbstentfaltung etwas mit den Lebenschancen von einem Kind in der Coltan-Mine im Kongo zu tun hat. Aber innerhalb einer Polis sprengt das das Fundament. Ich kann mir keine Demokratie vorstellen, die darüber abstimmt, wer leben darf und wer sterben muss. Ein partizipativ demokratisches Regime der Triage in der Pandemie wäre doch der Horror. Das spricht für entpolitisierte Experten. Wir hören auf, humanitäre Demokratien zu sein, wenn wir Selbsterhaltungsfragen in dieser Weise demokratisieren.

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38 Kommentare

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  • Die klassischen Lehren des Buddhismus sagen: Selbstverwirklichung und das Entwickeln und Beüben von Mitgefühlt bedingen und fördern einander. Diese einfache Verknüfpfung zu überprüfen wäre ein möglicher Fortschritt. Ressourcen schonend und Gemeinschafts fördern.

  • Der Einzelne ist da schon weiter, als Politik und Verwaltung. Ich versuche gerade eine kleine Solaranlage zu bauen. Verbot wegen Abstandsregeln der Landesbauordnung und Bundesbaugesetz (fiktive Baulinie). Im WDR wurde ein solches Thema schon vor Monaten verbreitet.



    Politik & Verwaltung schlafen weiter und verbieten - als hätten wir immer noch die schnöde Verschwendungsgesellschaft.



    Politik und Verwaltung behindern eben diese Reaktionen auf das was um uns passiert, das, was unbedingt sein muss. Treffend analysiert: Politik & Verwaltung befinden sich noch in der Schockstarre nach der "vernichtenden" Nachricht (=der Planet stirbt).



    Ich sage nur so viel: Bei der nächsten Wahl sehe ich ganz genau hin. Ein verhinderungskabinett wie diese Ampel will ich nicht nochmal haben!

    • 6G
      659554 (Profil gelöscht)
      @oldgeorgy:

      Gut. Ein Kreuz bei der Linken also.

  • Und natürlich ist ein Soziologieprofessor DIE Referenz wenn es um die Beurteilung technischer Möglichkeiten und damit des Potentials von Fortschritt geht! Kopfschüttel!



    Natürlich, wenn man Scheuklappen anzieht und sagt "per Definition sind Windräder und Solarzellen die einzige in Erwägung zu ziehende Energieform", dann sieht es nicht nur mit Fortschritt schwarz aus sondern auch mit dem auch nur annähernden Erhalt des heutigen Lebensstandards!



    Die Menschheitsgeschichte zeigt etwas anderes: Noch immer ist die Menschheit an Krisen und Herausforderungen gewachsen. Der Weg ist Vorwärts, nicht Rückwärts!



    Es gibt Wege aus der Klimakrise, aber vielleicht ist es nicht der von Deutschland eingeschlagene...

    • @JuergT:

      Welche Wege währen das? Aber bitte keine Zukunftstechnologien die in den Sternen stehen.

      • @Andreas J:

        Ganz einfach, ein gescheiter Mix aus Erneuerbaren und Kernkraft, welche sich gut ergänzen.



        Derzeit ist es halt noch Kernspaltung, in Zukunft irgendwann hoffentlich Fusion.



        Es bleibt noch ein nicht unerhebliches Problem der Speicherung, denn Kernkraft ist nicht schnell regelbar und Erneuerbare nicht vorhersagbar, aber da sprechen wir von Speicherung für Stunden, nicht für Monate, also machbar.

        • @JuergT:

          Kernkraft? Wollen wir wieder die Wismut aufmachen oder die Umwelt und Gesundheitsprobleme der Uranförderung doch lieber weiterhin anderen auf Auge drücken? Wo soll der Abfall hin? Wollen sie das man den Müll in ihrer Nähe verbuddelt?Davon abgesehen ist es die teuerste Energieform die nur beim Kunden günstig ankommt weil sie hoch subventioniert ist und Regierungen also der Steuerzahler für Zwischenfälle gerade steht. Es gibt nicht ein Versicherungsunternehmen das sich auf Kernkraft einlässt. Die Summe währe astronomisch hoch. Deutsche Energieunternehmen haben auch gar keine Lust mehr Kernkraftwerke zu betreiben. Die Zuverlässigkeit konnten wir in Frankreich bewundern. Unsere Rechnungen steigen weil wegen Frankreich in Deutschland Gas verstromt wird. Ebenso die Kosten und Bauzeit. 50% Ausfall. An Flamanville wird seit 2007 gebaut und ist noch nicht fertig. Die ursprünglichen Kosten sollten 3,4 Milliarden betragen und sind jetzt bei mehr als 19 Milliarden.

    • 6G
      659554 (Profil gelöscht)
      @JuergT:

      Fortschritt = Technik?



      Ich glaube Sie haben da etwas grundsätzlich missverstanden.

      • @659554 (Profil gelöscht):

        Tja, was denn habe ich missverstanden? Was ist denn Ihre Definition von Fortschritt? 100 Jahre zurück?

        • @JuergT:

          Wir müssen uns von dem Fetisch des Fortschritts als Beherrschung der und Entfremdung von Natur verabschieden und unsere Abhängigkeit von endlichen Ressourcen und fragilen Ökosystemen anerkennen. Kernkraft ist eine Sackgasse, Fusion ist eine "Wunderwaffen" Fantasie.

  • Ich fürchte, Staab hat Recht.



    Von allen Problemen, ist die Abschaffung der Ungerechtigkeit das Schwierigste.



    Die beste Idee ist, dass Menschen, die ehrenamtlich die Probleme angehen, wie das Aufforstungeprojekt in Korea, Steuervergünstigungen erhalten. Damit ist auch ausdrücklich gemeint, etwas zu "machen" und nicht nur zu "reden". Es fehlt an Leuten, die anpacken.

    • @Eva Manhaimer:

      Ehrenamtliche gibt es viele. Aber die Infrastruktur dafür muss finanziert werden. Zur Zeit nimmt die Förderung von Projekten und Initiativen eher ab.

  • @YEAHYEAH

    Nicht auf dem Boden Ihres, aber auf dem meines Grundgesetzes.

    • @tomás zerolo:

      Es gibt kein Grundrecht auf ungerechte Verteilung und zügellosen Kapitalismus. Dass die notwendigen Forderungen der Stunde dem Grundgesetz zu wider laufen würden, halte ich für ein Schein-Argument.

      • @Christian Lange:

        Welche Forderung notwendig ist oder nicht ist ja weiterhin strittig. Im Grundgesetzt steht ja überhaupt nichts zu irgendeiner konkreten Forderung. Da steht allerdings was darüber wie der Prozess der demokratischen Willensbildung so abläuft in diesem Land. Solange das respektiert wird und Aktivisten Mehrheiten organisieren auf verfassungsrechtlich konforme Weise ist doch alles in Butter. Nur ein Durchregieren einer Expertenregierung und Umsetzung schmerzhafter Reformen gegen den erklärten Willen der demokratischen Mehrheit wird es dann halt nicht geben. Die Mühen der Ebene eben.

  • @Ingo Bernable



    „….Müssen Demokratien plausibel machen, dass ihre politischen Apparate Selbsterhaltungsprobleme bearbeiten? Es ist absurd, sich eine Welt vorzustellen, in der individuelle Freiheit vor Selbsterhaltung geht. …“



    Wer genau bestimmt das dann?

    • @YeahYeah:

      Was wäre das Gegenmodell? Individuelle Freiheit auch um den Preis des kollektiven Untergangs? Um zu erkennen, dass das keine Option sein sollte muss man nun beileibe kein Radikaler sein, der kategorische Imperativ genügt da vollkommen. Wenn die individuelle Freiheit dort endet wo sie anderen Schaden zufügt, muss sie wohl zwangsläufig dort enden wo sie nicht nur Einzelne betrifft, sondern die Lebensgrundlage nachvolgender Generationen zerstört. Ein politisches System das nicht in der Lage ist die Bewohnbarkeit des Planeten erhalten hat also wohl recht offensichtlich ein Ethik- und ein Legitimationsproblem.

      • @Ingo Bernable:

        Mehr ist dazu nicht zu sagen!

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    "Wenn Menschen ernsthaft mit Selbsterhaltungsfragen konfrontiert sind, öffnet sich gewissermaßen ein vordemokratischer Raum. Die Politisierung rückt in den Hintergrund und das technokratische Funktionieren in den Vordergrund. "



    Hoffentlich ist dann Olaf Scholz noch Kanzler - und Ulrike Herrmann wird seine Beraterin. Beide frei von Selbstverwirklichungsüberforderungen.

    • @95820 (Profil gelöscht):

      Das Festhalten am manischen Arbeitszwang/der Erwerbsarbeitsfokussierung (Ich arbeite also bin ich) in Verbindung mit dem perversen Schuldgeldsystem könnte ein Hindernis für eine lebenswerte Zukunft bleiben.

      Ohne ein bedingungsloses Grundeinkommen, ohne ein durch und durch positives Finanzsystem mit gewolltem Müßgiggang und inklusive starker steuerlicher Förderung von "Zuhause Bleiben Kultur", inklusive "Verwurzelungsförderung" (mit eigenen Garten/Gemüseanbau und Solarzellen) wird es in Zukunft in meinen Augen nicht gehen.

      So sieht für mich die kommende Ära der Anpassung aus. Doch nur in den gemässigten Breiten. Die Äquatorgegend und in Europa Süditalien/Südspanien/Südgriechenland werden wohl bald schon unbewohnbar (Wüste) sein.

    • @95820 (Profil gelöscht):

      ich plädiere für ein Beraterduo aus Herrmann und Flassbeck.

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    "Das spricht für entpolitisierte Experten." Klingt kräftig.



    Wie werden die denn im kapitalistischen Produktionsprozess hergestellt?

  • Danke für das augenöffnende Interview.

    In meinen Augen werden wir um demokratisch legitimierte Konsumverbote/Flugverbote nicht drum herum kommen.

    Als kleines Beispiel:

    Auch 2023 ist Flugbenzin für gewerbliche Zwecke vollkommen steuerbefreit. Es ist auch 2023 für jeden, der das nötige Kleingeld hat, möglich Montags nach Berlin/London/Paris/New York zu fliegen und Donnerstags/Freitags wieder zurück nach Mallorca/Teneriffa. Vollkommen von der Steuer befreit.

    Was soll das? Warum auch 2023 diese enorme, staatliche Subventionierung des enorm klimaschädlichen Flugverkehrs?

    • @Goldi:

      Da haben Sie völlig recht. 1000km mit dem Flieger sind klimaschädlicher als mit einem Mittellasse-Verbrenner. Aber das Fliegen hat einen ganz anderen Stellenwert und ist auch bei sonst ökologisch bewussten Menschen beliebt. Wir wollen was von der Welt sehen, das Völkerverständnis verbessern, Fliegen nicht nur für Reiche und ähnliche Argumente kommen dann. Der Gipfel ist, Passagierzuwächse an Flughäfen als Erfolg darzustellen.

      • @Zugpferd:

        Was von der Welt sehen kann man auch mit Bahn und Schiff. Aber das ist viel teurer.

    • @Goldi:

      die Frage ist doch dann, täten "die Reichen" das dann nicht, wenn Steuern auf das Kerosin erhoben würden?



      Ich vermute, die Flüge gäbe es dennoch, weil das nicht aus privater Tasche bezahlt wird sondern aus Firmenkassen oder der Familienholding. Das ganze lässt sich dann sowieso steuerlich absetzen. Der Preis ist dabei vermutlich egal.



      Bei dem Argument Subventionierung geh ich aber voll und ganz mit, wieso dürfen manche subventioniert fliegen, gilt auch für Warentransporte und andere nicht?



      Steuern auf Kerosin treffen alle und benachteiligen deshalb auch niemanden, wenn Bahnfahren dann rentabler ist, umso besser. Die Wirtschaft passt sich schon an.

      • @nutzer:

        Ja so einfach ist es wiederum nicht!



        Ja und es gibt welch, für die ist es kein Luxus große Strecken zu überwinden.



        Deren arbet wird gebraucht, die müssen zum Arzt. Individualverkehr ist beim Fliegen schon eher Luxus.



        Ist das gleiche wie mit dem Autoverkehr. nun der Individualverkehr hat vieles möglich gemacht was vorher nicht ging, so verteiltes Wohnen und Arbeiten. So wird Leben, wohnen und arbeiten auch fern von den Metropolen möglich. In den Meropolen kann fußläufig, fahradfahrend und mit ÖPNV doch alles erreicht werden. Individualverkehr ist da keine solche Freiheitseinschränkung, wie es im ländlichen Raum ist

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    "Es ist absurd, sich eine Welt vorzustellen, in der individuelle Freiheit vor Selbsterhaltung geht."



    Genau so absurd ging‘s seither ab. Die sogenannte individuelle Freiheit (v.a. der "Wirtschaft", die die individualisierte Entkopplung des Konsums braucht) ging vor der Einsicht, dass die Voraussetzungen für eine zukunftsfähige kollektive !! Selbsterhaltung beachtet werden muss. Wer das einforderte, wurde als nicht zukunftsfähig, keil fortschrittsfeindlich markiert. Marktkonforme Demokratie schon ever.

  • Was für ein grusliges Interview. Steht der Herr Professor denn noch auf dem Boden des Grundgesetzes?

    • @YeahYeah:

      "Weniger Ungleichheit, weniger Kapitalismus, mehr politische Steuerung.



      Klingt nach linker Sozialdemokratie."



      Da muss man sich die Frage nach der Verfassungstreue wohl schon mal stellen lassen... Aber zum Glück geht die Entwicklung ja ohnehin in die andere Richtung.

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Fortschritt ist, wenn die Anpassung so rechtzeitig erfolgt, dass sie den weiteren Fortschritt sichert. Man muss ihn rechtzeitig machen, damit und wenn man ihn noch machen kann.



    Nachhaltigkeit nennt man das inzwischen auch im Mainstream und v.a. auf der Angebotsseite des Marktes. Ein Schmiermittel für durch Vernunft unbeirrbaren Konsum.



    Was früher noch nicht damit etikettiert wurde, aber auf den Ansatz der Nachhaltigkeit gegründet war, wurde als Hindernis für "den Fortschritt" abgetan. Zu schnell zu viel weil möglich … geht disruptiv über in ganz schnell weniger als möglich gewesen wäre. In einfacher Sprache: "Wir" haben es gern gehabt zu übertreiben und über die Verhältnisse gelebt.

  • Nur mal so was mir grad durch den Kopf ging, Influencer sind doch kein Symbol für Selbstverwirklichung, eher das Gegenteil, oder?



    Das sind doch die Viehhirten, die die Herde in die gewünschte Richtung locken.....

    • @nutzer:

      Sie haben diese Wirkung auf den Rest der Gesellschaft.



      Sie entstehen jedoch aufgrund der Individualisierung und Selbsterhöhung. Ohne redaktionellen Hintergrund, ohne legitimierte Kontrolle.

      • @Herma Huhn:

        Grundsätzlich hat doch jede*r die Möglichkeit selbst zum Sender und damit zum Influencer zu werden. Ebenso hat doch jede*r nun wirklich komplett selbst in der Hand welcher Content rezipiert wird und welchen Leuten man ggf. auch folgt. Wäre es ein Fortschritt wenn Veröffentlichung nur noch als Teil einer Redaktion möglich wäre? Und welche Art von Kontrolle soll es denn sein?

      • @Herma Huhn:

        es ist schon einigermaßen paradox, dass die Individualisierung der Grund für so etwas wie Influencer ist, die dafür sorgen, dass letztlich wieder alle das selbe tun....



        daraus könnte man nun den Schluß ziehen, dass die Mehrheit sich ihre Grenzen und Uniformität selbst erschafft. Individualität für die meisten Menschen gar nicht in ihrer Natur liegt. Nur die Illusion der eigenen Individualität ist die Natur des Menschen... :)

        • @nutzer:

          @NUTZER + HERMA HUHN

          Und die Illusion ihrer eigenen Individualität, die wird ihnen auf dem Markt verkauft. Voila, der Zirkel ist geschlossen.

          Aber zurück zum interviewten Professor: Ich gehe in manchem mit, aber bei dem Ruf nach der Expertokratie, da klinke ich mich aus. Und zwar aus zwei Gründen: 1) Die Bolschewiken waren auch Experten für den Sozialismus. Sozialismus haben sie keinen gebracht, aber viel, was den Menschen wichtig war und was an Gemeinschaften gut sein kann, haben sie zerstört.



          2) Ich kann nicht glauben, dass diese Leute, die weitreichend urteilen - zum Beispiel über Triage - sofern sie das nicht anhand demokratisch bestätigter Regeln und Prinzipien tun und nicht justiziell eng überwacht werden, nicht Korrution zu ungeahnten Blüten treiben. Und Korruption ist vielleicht noch zerstörerischer als die Art von extremer Ungleichheit, die der Professor völlig zu Recht beklagt.

          • @JK83:

            Sie können doch nicht einfach die Sovjets mit den Expertokraten vergleichen. Das ist geschichtliche Unbildung.