Solidarität mit Kiew: Stricken für die Ukraine

Was tun, um die Ukraine gegen den russischen Angriff zu unterstützen? Manche fordern: Frieren. Doch das ist der falsche Weg.

Menschen mit Plakaten auf einer Demonstration.

Niemand will gern die eigene Hilflosigkeit demonstrieren: Anti-Kriegsdemo am 13.3. in Berlin Foto: Christian Mang/reuters

Was tun? An Tag 4 des Überfalls auf die Ukraine gingen in Berlin über 100.000 Menschen auf die Straße. Und es war schön, für einen Moment aus der Ohnmacht heraustreten zu können: Solidarität zeigen, etwas tun.

Jetzt sind wir bei Tag 17, 18, 19. Und es ist unwahrscheinlich, dass noch mal so viele Menschen auf die Straße gehen. Das ist verständlich, weil niemand gern die eigene Hilflosigkeit demonstriert. Vor allem aber, weil viele Fragen in der Linken (klein- und großgeschrieben) ungeklärt sind. Welche Verantwortung trägt man, und was folgt daraus?

Noch immer wiederholen sonst so kluge Linke ihr Mantra, dass die Osterweiterung der Nato ein Fehler war, dass man die Nato in den 1990ern hätte auflösen müssen. Dass es aktuell die Nato ist, die das Baltikum und Polen vor Russland schützt, dass diese Staaten eine selbstbestimmte Entscheidung getroffen haben, kommt bei ihnen kaum vor.

Immerhin, das andere Mantra der Linken, dass der Hauptfeind im eigenen Land stehe, es bröckelt. War es falsch, sich an der Nato abzuarbeiten? Aber was ist mit den Verbrechen der Nato-Mitglieder, mit Erdoğans Krieg gegen die KurdInnen und dem Irakkrieg, mit Abu ­Ghraib? Gleichzeitig wird vielen bewusst, dass die Bilder der Demonstration neben dem Bundestag nun auch als Legitimation für die Aufrüstung der Bundeswehr herhalten müssen. Wie kann man gegen diesen Krieg demons­trie­ren, ohne den Aktienkurs von Rheinmetall in die Höhe zu treiben?

Bei so vielen offenen Fragen fällt das Demonstrieren schwer. Was also tun? Einfacher und hilfreicher scheint es derzeit, zum nächsten Bahnhof zu gehen, jemanden aufzunehmen, zu spenden. Das ist gut. Aber reicht das?

Kann Gerhard Schröder stricken?

Frieren für die Ukraine, fordern nun manche Politiker. Nur, Joachim Gauck werden steigende Heizkosten nicht wehtun. Nichts gegen Energiesparen, aber der Appell an den Einzelnen ist auch ein Davonstehlen der Politik. Was ins Private verschoben wird, muss nicht reguliert werden.

Der Mechanismus ist bekannt: Die Klimakrise sollte gelöst werden, indem jeder nur noch CO2-freien Senf kauft, die Bewältigung der Pandemie hat man den Familien überlassen, statt Kliniken und Schulen besser auszustatten. Und die Energieversorgung? Regelt der Markt. Das muss sich ändern, mit Gesetzen, die die knappe Energie gerecht verteilen. Es muss nicht so bleiben, dass die erste Kilowattstunde, mit der ein Kühlschrank in der Zweizimmerwohnung versorgt wird, genauso viel kostet wie eine, mit der ein Whirlpool aufgeheizt wird.

Ja, Deutschland muss russische Energieimporte sofort stoppen. Aber die Folgen dürfen nicht auf den Einzelnen abgewälzt werden. Die Bundesregierung und ihre Vorgängerinnen haben die Lage zu verantworten. Sie haben den Ausbau der Erneuerbaren ausgebremst und die Abhängigkeit von Putin erhöht.

Ich will nicht frieren für die Ukraine. Ich will, dass Gerhard Schröder, Angela Merkel und Manuela Schwesig ihre Fehler eingestehen.

Klar, der nächste Winter wird trotzdem hart. Deshalb sollten sie jedem Deutschen einen Wollpulli stricken. Zu dritt ist das ein bisschen viel, das gebe ich zu. Aber es können ihnen die vielen helfen, die bei Geschäften mit Russland reich wurden: denen Mordanschläge, Kriege auf der Krim und in der Ostukraine nicht so wichtig waren. Stricken für die Ukraine!

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Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

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