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Sofortprogramm vorgestelltLinke gegen „Bekenntnisquatsch“

Mindestlohn, Mietendeckel und Kindergrundsicherung würden die Linken sofort einführen – wenn man sie ließe. Bekenntnisse zur Nato finden sie absurd.

Janine Wissler und Dietmar Bartsch Foto: Clemens Bilan/Pool/getty

Berlin taz | Schließlich redeten sich die Spit­zen­kan­di­da­t:in­nen der Linken, Janine Wissler und Dietmar Bartsch, sogar ein wenig in Rage. Ob sie denn jetzt beide zum Nato-Hauptquartier fahren sollen, dort niederknien und sagen: Wir bekennen uns? „Wir sind kein Kasperletheater und mit diesem Bekenntnisquatsch soll man aufhören“, sagte Bartsch.

Das richtete sich vor allem an die Adresse von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, der im Tagesspiegel erneut bekräftigt hatte, wer Regierungsverantwortung übernehmen wolle, müsse sich klar zur Nato bekennen. Das zielte auf die Linkspartei und deren außenpolitische Positionen, zu denen die Auflösung der Nato zählt.

Dabei wollten Bartsch und Wissler doch am Montag unterstreichen, dass die Linke gewillt und bereit ist, mitzuregieren. Sie präsentierten in Berlin, auch im Namen der Ko-Fraktionsvorsitzenden Amira Mohamed Ali und Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow, ein Sofortprogramm für den Fall, dass man sie fragt. „Wir können uns ja auch Schöneres vorstellen, als mit dem Architekten der Agenda 2010 zu verhandeln“, stichelte Wissler in Richtung Scholz. Aber darum gehe es nicht, sondern darum, jetzt das Leben für die Mehrheit der Menschen im Land zu verbessern.

Was die Linke plant, liest sich wie ein vorgezogenes Sondierungspapier: Soziale Themen stehen im Vordergrund, wie ein Mindestlohn, ein bundesweiter Mietendeckel und eine Kindergrundsicherung. Hier gibt es große Überschneidungen mit SPD und Grünen. Ein anderes Bündnis als mit diesen beiden Parteien käme für die Linke auch nicht in Frage.

Über Mindestlohn herrscht Konsens

Die Linke wirbt für einen Mindestlohn von 13 Euro, SPD und Grüne fordern 12 Euro, da könnte man sich sicher einigen. Eine Kindergrundsicherung mit Aufschlägen für niedrige Einkommen wollen sowohl SPD als auch Grüne, die Linke schlägt von allen dreien den höchsten Garantiebetrag vor, nämlich 328 Euro.

Differenzen gibt es beim Thema Renten, die Linke will das Niveau nämlich im ersten Schritt wieder auf 53 Prozent anheben, Grüne und SPD versprechen lediglich, es bei 48 Prozent zu sichern. Die Linke will zudem die Renten der Menschen im Osten bis 2022 angleichen.

Die steuerpolitischen Vorschläge aller drei Parteien gehen dagegen in eine ähnlich Richtung: Alle drei versprechen, Vermögen wieder zu besteuern. In ihrem Sofortprogramm will die Linke zudem noch eine einmalige Vermögensabgabe für Multi-Millionäre einführen, um die Lasten der Corona-Krise gerecht zu verteilen.

Beim Thema Klima ist sich die Linkspartei vor allem mit den Grünen einig, dass es eine Energiewende mit verbindlichen Ausbauzielen brauche, die sich am 1,5-Grad-Ziel orientieren müsse. Dass die Wirtschaft bei den nötigen Transformationsprozessen unterstützt werden muss, dürfte Konsens in allen drei Parteien sein. Pikanterweise nimmt die Linkspartei im Sofortprogramm vor allem die Automobilindustrie in den Fokus und schlägt einen Industrie-Transformationsfonds von 20 Milliarden Euro pro Jahr vor, der vor allem den Zulieferern den ökologischen Umbau erleichtern solle.

„Nato“ taucht nicht auf

Das strittige Thema Außenpolitik hat die Partei im Sofortprogramm dagegen nach hinten gestellt. Das Wort Nato taucht dort gar nicht auf. Stattdessen heißt es in dem Papier, man wolle die Rüstungsausgaben um 10 Milliarden Euro senken. Das entspräche dem Rüstungsetat von 2018. Das Geld würde die Linke stattdessen in Schulen und Kitas stecken.

Auch die Forderungen aus dem Wahlprogramm, die Bundeswehr aus allen Auslandseinsätzen zurückzuziehen und Waffenexporte zu verbieten, finden sich in dieser Schärfe nicht im Linken Sofortprogramm. Dort heißt es abgemildert, man werde Rüstungsexporte in Krisengebiete stoppen und SPD und Grüne beim Wort nehmen, „die Auslandseinsätze der Bundeswehr auf den Prüfstand zu stellen.“

Bartsch forderte, statt Bekenntnisse zu verlangen, soll man doch lieber über konkrete Inhalte zu reden. „Was ist die Nato, was soll die Nato, wohin soll sie sich entwickeln.“ Die Linke wolle ein System kollektiver Sicherheit unter Einschluss Russlands. „Wenn wir dahin kämen, kann man es meinetwegen Nato nennen.“

Das ist allerdings Bartschs persönliche Meinung. Ohnehin würde am Ende von Koalitionsverhandlungen die Basis der Linken über einen Vertrag abstimmen. Und da denken längst nicht alle so pragmatisch wie Bartsch.

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20 Kommentare

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  • Ernste Frage, warum muss es überhaupt eine Einigung in allen Punkten geben?

    Wieso gesteht man der Linken nicht zu, bei Abstimmungen zu allem was irgendwie Militär ist, frei abzustimmen?



    Wenn es notwendig ist, muss halt die Opposition gewonnen werden.

    Der Koalitionsvertrag muss doch nicht 100% Übereinstimmungen haben.



    Also einfach solche Punkte ohne Koalitionszwang aushandeln und fertig.



    Jop, Regierung hat dann für sowas keine eigene Mehrheit, aber das heißt ja nur mehr Kontrolle und bessere Begründung damit die Stimmen dann von zb der cdu kommen.

    • @Beowulf:

      Eine Regierungskoalition muss als Kollektiv funktionieren, wenn sie halten soll. Und da gilt wie überall, wo Kollektive gefragt sind, dass Ausnahmen NICHT die Regel bestätigen sondern sie erodieren.

      Konkret: Nimmt man die Verteidigungspolitik aus dem Koalitionsvertrag raus, folgt im Zweifel als nächstes die Außenpolitik, weil die nämlich ebenfalls anders funktioniert, wenn man sie partout nicht mit Waffenpotenzial untermauern will. Ist auch sie erstmal auf "Tagesmehrheitsbasis" gestellt, sind Europa- und Wirtschaftspolitik nicht weit. Es folgen Migration, Soziales etc.. Schließlich verlangt die Oppostion ja auch einen Preis dafür, dass sie der fluglahmen Regierung ständig unter die Arme greift. Eh man sich versieht, hat man eine effektive Minderheitsregierung oder eine inoffizielle "Kenia-Koalition".

      • @Normalo:

        Also soll man eine Regierung, die sich zu 80% einig ist, nur weil man in einem Punkt völlig auseinander geht?

        Heraus käme dann eine Regierung, in der man sich nur zu 30% einig ist.

        Es ist nun mal so, dass die Differenzen innerhalb von RGR wesentlich geringer sind, als in allen anderen Koalitionen. Man muss nur die Programme vergleichen.

    • @Beowulf:

      Das wäre die vernünftigste Lösung für Koalitionen überhaupt: Übereinstimmungen gemeinsam tragen, für kontroverse Themen eine demokratisch legitimierte Mehrheit im Parlament gewinnen. So könnte auch der "Juniorpartner" sein Profil wahren, anstatt sich bis zur Unkenntlichkeit zu verbiegen, wie es der SPD in der GroKo gegangen ist.



      Aber das wäre ja Demokratie statt Parteipolitik.

  • Ist die NATO Frage wirklich DAS große Problem, vor dem Deutschland steht?

    Haben wir wirklich keine anderen Probleme?

    Mir fallen Drängendere ein. Eine wirksame, sozial ausgewogene Klimapolitik, Bekämpfung von Armut, sichere Renten, um nur ein paar zu nennen.

    In der aktuellen Situation



    ständig über die NATO zu reden, ist, wie Macron es wohl ausdrücken würde, hirntot.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      "Ist die NATO Frage wirklich DAS große Problem, vor dem Deutschland steht? Haben wir wirklich keine anderen Probleme?"

      Dann kann man ja zustimmen. Um endlich die richtigen Probleme anzugehen! Das sollte es einem Wert sein!

  • Diese Bekenntnismasche ist absurd. Grüne und SPD beschneiden sich freiwillig einer Machtoption. Als ob irgendwer ernsthaft glauben würde, sobald die Linken in der Regierung sind bestünde Gefahr das die Nato abgeschafft würde.... Das ist nur ein vorgeschobener Grund oder einfach Dummheit...

    Wenn diese Forderung einem auf die Füsse fallen kann, dann den Linken, wenn sie regieren, dann wird denen das nämlich als machtoportunität ausgelegt und Verrat am Programm. aber naja strategisches Denken ist im "linken" Lager nicht so ausgeprägt, Grundsatzhaarspaltereien dafür umso mehr...

  • "Bekenntnisse zur Nato finden sie absurd"



    Als Bürger ist meine Meinung: Ein Verteidigungsbündnis ist gut. Aufrüstziele wie dieses 2% Ziel sind Schwachsinn, außerdem sollte man außer zur Vereidigung bei Bündnispartnern klar sagen: keine Auslandseinsätze. Afghanistan war eh illegal und auch die Anschläge von 911 kein Bündnisfall.

    Also ich bin nicht zu 100% auf der Linie der Linken, aber das werden noch nicht einmal alle Parteimitglieder sein. Außerdem stimmt man NIE mit allen Zielen einer Partei überein und die Linke ist weit davon entfernt alles umsetzen zu können. Aber SPD und Grüne können ein linkes Korrektiv SEHR gut gebrauchen! Da ist inzw. da deutlich zu viel CxU drin.

    • @danny schneider:

      "Aufrüstziele wie dieses 2% Ziel sind Schwachsinn"

      Die sind bitter notwendig. Wieviele einsatzfähige Hubschrauber hat die Bundeswehr? Zwei? Drei?

      Und Afghanistan hatte ein UN Mandat. In meiner Welt hat auch der Afghane ein Recht auf Freiheit, Bildung, Musik und Fußball.

      Keine Auslandseinsätze? Sie schauen bei Srebrenica, Ruanda und Kobane zu und beten ganz fest für die Opfer?

      • @Wonneproppen:

        "Wieviele einsatzfähige Hubschrauber hat die Bundeswehr?"

        Googeln Sie mal, wie viele einsatzfähige Hubschrauber andere Armeen mit 50.000.000.000€ hinbekommen. Es fehlt nicht an Geld. es fehlt an Hirn!

  • Bekenntnisse zur NATO sind absurd. Die Debatte gehört dringend vom Kopf auf die Füße gestellt: Es ist absurd, erst ein Budget - von 2 % der BIP immerhin! - zu beschließen, dann Kampfdrohne, Hubschrauber und Panzer zu bestellen.



    Um dann zu überlegen, wo wir unsere Soldaten denn wohl hinschicken könnten.

    Entweder gibt es eine Bedrohung. Dann braucht es eine klare Beschreibung, und einen klaren und realistischen Plan, wie wir damit umgehen. Oder es gibt keine Bedrohung. Dann stellt sich in der Tat die Frage nach Sinn und Nutzen eines Verteidigungsbündnisses.

    • @Peter_:

      Es ist ein Hauptverdienst der NATO, dass diese Fragen nicht mehr so leicht zu beantworten sind. Der klare militärische Feind, der eine nationalen Einheit darstellt, die man konkret benennen und bekämpfen kann, hat gegen sie keine Chance. Wenn man bedenkt, was die letzten "echten" Kriege dieser Art an Opfern gekostet haben und wie viel weiter die Kunst des massenhaften Tötens heute ist, kann man den Wert dieser "Unsicherheit" gar nicht hoch genug ansetzen.

    • @Peter_:

      Sinn und Nutzen eines Verteidigungsbündnisses: Dass es keine Bedrohung mehr gibt. Die NATO verbindet ja vor allem Staaten, die in der Vergangenheit Jahrhunderte miteinander im Krieg waren.

    • @Peter_:

      Die Welt ist voller Bedrohungen. Man darf auch mal helfen, wenn man selbst nicht betroffen ist, sondern Bosnier, afghanische Frauen, Kurden oder Tutsi. Eine Art internationale Nothilfe.

      • @Wonneproppen:

        "Eine Art internationale Nothilfe."

        Mit Bomben? Operation gelungen, Patient tot?

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          Es gibt halt Situationen, wo man Bomben auf die Krankheit schmeißen muss, damit der Patient NICHT stirbt.

          Dass das kein tauglicher Nationbuilding-Ansatz ist, haben hoffentlich jetzt Alle mal kapiert. Aber z. B. Völkermorde kann man auch verhindern oder zumindest massiv eindämmen, OHNE Tätern und Opfern hernach gleich alle vermeintlichen Segnungen des Westens zu oktroyieren. Nur geht das halt selten mit gutem Zureden, schon gar nicht wenn man nicht den Roosevelt'schen "Big Stick" glaubhaft mitschwingen lassen kann. Und "glaubhaft" heißt eben vor allem, ihn tatsächlich einsetzen zu können und zu wollen, wenn nichts Anderes hilft.

          • @Normalo:

            Die derzeitigen Ergebnisse sehen so aus, dass der Patient stirbt und die Krankheit sich weiter ausbreitet. Krankheiten mit Bomben heilen ist ungefähr so intelligent, wie eine Blindarmoperation mit einer Streitaxt.

  • Die Spekulationen um eine Rot-Gruen-Rote Regierung sind mir völlig unverständlich. Es wird sie nicht geben, egal wie das Wahlergebnis aussehen wird. Nicht mit Olaf Scholz! Da steht der für. Das dürfte doch wohl schon länger klar sein.



    Der will eindeutig die FDP mit im Boot haben. Und so wird es wohl auch kommen.



    Wetten werden gerne angenommen.

  • 0G
    04332 (Profil gelöscht)

    Was könnte ein UNHCR mit dem Budget einer NATO alles bewirken?

    Was könnte, kann und konnte die NATO mit dem Budget einer NATO alles bewirken?

    • @04332 (Profil gelöscht):

      Ich bin ganz dankbar, dass sie uns jahrzehntelang die Russen vom Hals gehalten haben.