Selenski zum Raketeneinschlag in Polen: Übers Ziel hinaus

Der ukrainische Präsident hat für den Einschlag in Polen schnell die Russen verantwortlich gemacht. Damit hat er seiner Sache keinen Gefallen getan.

Portrait von Selenski.

Diesmal kontraproduktiv: der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski am Montag in Cherson Foto: Ukrainian Presidential Press Service/reuters

Kaum jemand würde bestreiten, dass der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski in den fast neun Monaten von Russlands Angriffskrieg gegen sein Land bislang eine gute Figur gemacht und einen kühlen Kopf bewahrt hat. Doch mit seinen Äußerungen, die beiden Raketen, die am Dienstag versehentlich in Polen eingeschlagen sind, könnten gar nicht anders denn russischer Provenienz sein, ist er über das Ziel hinausgeschossen. Zu derart vorschnellen Interpretationen haben sich auch andere hinreißen lassen. Obwohl die Faktenlage noch unklar war, glaubten sie sofort zu wissen, wo die Schuldigen zu suchen sind: Klar, die Russen waren es.

Derartige Einlassungen sind nicht nur nicht hilfreich, sondern sogar kontraproduktiv. Denn Selenskis Vorverurteilung ist Wasser auf die Mühlen all derer, die die Ukraine bezichtigen, die Nato um jeden Preis in diesen Krieg hineinziehen zu wollen. Und die Kyjiw, selbst um den Preis von sehr weitreichenden Zugeständnissen, am liebsten schon heute am Verhandlungstisch sähen. Dieses Szenario ist genauso abwegig wie die Tatsache unstrittig, wer für diesen Krieg und dessen Folgen verantwortlich ist: Russland.

Mittlerweile ist Selenski übrigens etwas zurückgerudert und hat die Beteiligung ukrainischer Spezialisten an den Ermittlungen zur Causa Polen angekündigt. Das ist richtig und macht überdies den großen Unterschied zu Russland deutlich. Da ist Kooperation bislang Mangelware. So ist die Aufklärung über den Abschuss des Jets MH17 2014 über der Ostukraine nur ein Beispiel dafür, dass Moskau nicht gewillt ist, an Ursachenforschung mitzuwirken. Das dürfte auch in Zukunft so bleiben.

Die Nato-Staaten, allen voran auch Polen, tun gut daran, sich vornehm zurückzuhalten. Dennoch muss die Frage, welche Schlüsse aus den jüngsten Ereignissen zu ziehen sind, dringend beantwortet werden. Denn in einem Krieg kommt es leider auch immer zu sogenannten Kollateralschäden – für die unbeteiligten Betroffenen und deren Angehörige, wie jetzt in Polen, sind sie eine Tragödie. Ihr könnten weitere folgen …

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Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

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